Marianne lächelte schief. »Ist hier eine Bombe eingeschlagen?«
»Was?« Hardy runzelte die Stirn.
»Das ist es doch, was du denkst.«
»Ach Schatz.« Er ging auf sie zu, nahm ihr den Topf aus der Hand, stellte ihn zurück aufs Fensterbrett und drückte sie. »Als ob das noch wichtig wäre.«
Marianne brach in Tränen aus. »Ihr Handy ist immer noch ausgeschaltet. Heute ist Mittwoch, und seit Freitag ist sie weg!«
Er drückte sie noch etwas fester und wiegte sie leicht hin und her. »Die Polizei …«
»Ach, die Polizei!« Sie machte sich los. »Was tun die denn schon? Eine jugendliche …«, sie deutete Anführungszeichen mit den Fingern an, »›Ausreißerin‹. Ich hätte nicht erwähnen sollen, dass sie sich einmal nicht gemeldet hat, als sie erst am nächsten Tag nach Hause kam. Da ist ihr Handy-Akku leer gewesen, aber der Sesselpupser hat gar nicht zugehört. Für die ist das jetzt der Vorwand, nichts zu tun, dabei ist sie erst fünfzehn. Fünfzehn, Hardy! Und dann diese Fragen: ›Erzählt Ihnen Ihre Tochter alles?‹« Sie äffte den Tonfall des Beamten nach. »Verdammt noch mal, nein, natürlich nicht, aber …«
»Der wollte dich nur beruhigen, Marianne. Und ich bin sicher, die machen alles, um sie zu finden.«
»Na klar. Und warum ist sie dann nicht hier?« Sie machte eine heftige Armbewegung, um das »hier« zu verdeutlichen, und stieß dabei die Palme vom Fensterbrett. Sie starrte auf den zerbrochenen Topf, auf die Blumenerde auf dem Teppich. Das Bild verschwamm.
»Nicht weinen, mein Schatz, wir wissen doch noch gar nichts.« Hardy ging in die Knie, um die Scherben aufzusammeln.
Sicher, sie befanden sich noch immer im Grau des Zwielichts. Aber wie lange wollte sie sich etwas vormachen? Sie schloss die Augen. Mit jedem Tag wurde das Grau ein wenig schwärzer.
»Marianne?«
Sie öffnete die Augen wieder.
Er war aufgestanden und zeigte ihr ein Hundehalsband aus feinem, schwarzem Leder. »Das lag ganz hinten unter dem Sofa. Hat Charlotte sich einen Hund gewünscht?«
Sie hob die Brauen. »Das hat sie nie erwähnt. Außerdem weiß sie, dass Hunde hier nicht erlaubt sind.«
Als hätte Kitty das gehört, tappte sie ins Zimmer und strich schnurrend um Mariannes Beine. Geistesabwesend kraulte sie der Katze das Nackenfell.
Hardy untersuchte das Band. »Schau mal, da sind Initialen drauf, aber nicht ihre.«
An einer Seite des Bandes waren zwei goldene, ineinander verschlungene Buchstaben angebracht. »Kennst du jemanden, zu dem diese Initialen gehören?«
Marianne überlegte. »Nein, aber ich weiß auch nicht mehr, mit wem sich Lotte trifft. Sag mal, ist das etwa echtes Gold? Das sieht nicht aus wie Messing.«
Er schürzte die Lippen. »Ziemlich edel für ein Hundehalsband. Ist das überhaupt … für einen Hund gedacht?«
»Was meinst du, Hardy? Wofür denn sonst?«
Anstelle einer Antwort nahm er sie in den Arm.
Freitag, 25. Oktober
Kommissarin Nina Tschöke lächelte der Tante ihrer Freundin Hanna mangels Ideen zur Konversation höflich zu und zupfte an der Blütendeko auf dem Tisch. Walzerklänge setzten ein.
»Ein schönes Paar, nicht? Und jetzt eröffnen sie den Tanz.« Die Tante, deren Namen Nina schon wieder vergessen hatte, richtete sich auf, um einen besseren Blick auf die Tanzfläche zu erhaschen, wo sich das Paar raumgreifend im Takt des Wiener Walzers drehte. Der zur Tante gehörende Onkel erinnerte Nina an den Kollegen Ottfried »Shanty« Weber: Wie Weber hatte er sich die wenigen Haare quer über die Halbglatze geklebt. Sein Blick war fest auf sein Handy geheftet, es ging um Fußballergebnisse, soweit Nina das erkennen konnte. Wieso unterhielt der sich nicht mit seiner Frau?
Nina nickte der Tante zu und gähnte unterdrückt. Sie hatte Hanna eine dermaßen traditionelle Hochzeit gar nicht zugetraut. Und die Miete des Bad Salzufler Kursaals musste ein Vermögen gekostet haben. Obwohl sie Hanna die Feier von Herzen gönnte, hatte sie wenig Lust verspürt herzukommen. Es begann schon mit der Wahl der Garderobe: In Ninas Kleiderschrank fanden sich fast ausschließlich Jeans und Hoodies und ähnlich Praktisches. Ihre Brille hatte sie vor Kurzem beim Tae Bo geschrottet und notdürftig mit Sekundenkleber und Tesafilm repariert, und die Neue war noch nicht fertig. Außerdem war ihre Freundin Michaela, die Einzige außer Hanna, die sie hier wirklich gut kannte, gerade unterwegs, um irgendwelche lustigen Fotos von sich schießen zu lassen und den Eintrag ins Hochzeitsbuch vorzunehmen.
»Und um Mitternacht wirft die Braut den Strauß.« Die Augen der schwergewichtigen Tante glänzten. »Da müssen sich alle unverheirateten Frauen versammeln.« Sie zwinkerte ihr zu.
Sehe ich so unverheiratet aus?, dachte Nina. »Ach wirklich?«, sagte sie, um etwas zu sagen.
»Aber ja.« Die Tante strahlte und senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Und ich habe aus zuverlässiger Quelle gehört, dass es nicht verabredet ist.« Sie nickte ihr auffordernd zu.
»Wie? Verabredet? Was?«
»Sonst wird doch oft verabredet, wer den Brautstrauß fangen wird. Als Wink mit dem Zaunpfahl für den Freund sozusagen. Aber dieses Mal nicht, das macht es noch viel spannender. Der Höhepunkt des Abends!«
»Ach so.« Albern. Verstohlen warf Nina einen Blick auf ihre Uhr. Vielleicht konnte sie sich noch vor Mitternacht verdrücken.
»Na, Polizeihauptkommissarin Tschöke, amüsierst du dich gut?« Zum Glück war Michaela zurück. »Was machst du überhaupt für ein Gesicht? Du hast Urlaub.«
»Ja, und ich hatte dummerweise endlich Zeit, diesen Wälzer von Eva Illouz zu lesen: Warum Liebe wehtut. Deprimierend, sag ich dir. Das Ende aller naiven Vorstellungen von der großen Liebe.«
»Seit wann liest du Herzschmerzromane?«
»Herzschmerzromane? Unsinn. Meine Liebe, es geht um die sozioökonomischen Faktoren, die dazu führen, dass Frauen in unserem Alter praktisch keine Chancen mehr auf dem Beziehungsmarkt haben.«
»In unserem Alter … Hanna ist doch auch schon vierunddreißig.«
»Ausnahmen bestätigen die Regel.«
»Ach, Nina, ich wette, du denkst immer noch an Stefan. Ich sag dir was: Ruf ihn einfach an.«
»Er wäre dran, sich zu melden – und nein, ich denke ganz sicher nicht mehr an Stefan! Er ist offensichtlich nicht der Richtige für mich.«
»Klar, und wieso hab ich überhaupt gefragt? Sieh es mal so: Du fliegt bald nach Malle, und ich komme in zwei Tagen hinterher, und dann machen wir einen drauf, besaufen uns hemmungslos und angeln uns zwei Latin Lover.«
»Du vergisst, dass ich mich da ja auch um Kai und Bine kümmern muss.«
»Erstens helfe ich dir. Zweitens finde ich, dass dein Bruder und seine Freundin für zwei Downies ziemlich selbstständig sind.«
Nina wollte gerade einwenden, dass der Schein trüge, als sich Wo de Nordseewellen trekken an den Strand … kakophonisch unter An der schönen blauen Donau mischte. Nina griff nach ihrem Handy. »Ah, das ist Stefan«, rief Michaela.
»Quatsch, das ist mein Kollege!«
Michaela nahm ihr das Handy aus der Hand und drückte das Gespräch weg. »Da gehst du doch jetzt wohl nicht ran? Du bist im Urlaub, kapier das doch endlich. Hast du nicht vor Kurzem noch gejammert, dass du zu viel arbeitest und das Leben an dir vorüberzieht?«
Nina blinzelte. »Ja, na ja …« Sie fuhr sich durch das kurze Haar.
»Was ist das überhaupt