Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
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alt, in einem spanischen Hospital an der Lues.

      Es soll hier angefügt werden, daß Fernando, der Illegitime, nichts geerbt und empfangen hatte an Würden außer dem schon im Welken begriffenen Adelstitel Don. Er hatte mit dreizehn Jahren den Vater auf der letzten Reise begleitet. Anstatt zu nehmen, sammelte er später die wahren Schätze jener Zeit, die Dokumente zur Geschichte der Entdeckungen, die er dann nicht dem Staat, sondern den Dominikanern vermachte.

      Nachdem die französischen Marodeure die ganze, aus bestem Pitchpine gebaute Ansiedlung der späteren Zigarrenstadt samt allen Slips, Budiken, Werften und Zollgebäuden niedergebrannt hatten, legten sie längs der Golfstromküste eigene Raubnester und Niederlassungen an, was den Spaniern nicht wenig mißfiel, hatten sie doch immerhin ein Privileg des Papstes vorzuweisen – Kaufpreis sieben Millionen Goldpeseten – für sämtliche Landentdeckungen nördlich des Amazonas, woran sich zu halten die übrigen Nationen genau so wenig Lust zeigten wie heute in gegebenen Fällen bei den Weisungen der UNO.

      *

      Hat das Christentum versagt? Die Frage müßte wohl lauten: Haben seine Lehrer und Verweser versagt? Der spanische Dominikaner Las Casas, einer der aufgeklärtesten Menschen seiner Zeit, dem die menschliche Kreatur erbarmenswert schien ohne Unterschied des Glaubens oder vielmehr der Glaubensformeln, sah empört, wie die Neue Welt von Raubmördern, Folterknechten, Steuereinnehmern und Sklavenhaltern besetzt wurde. Er sah auch, daß die Priester, die ihnen beigesellt wurden, allzusehr Angestellte des Staates oder zumindest des Kirchenstaates waren, um mildernd genug einzugreifen. Oft bestand ihre Hirtentätigkeit nur darin, die Zwangsvollstreckungen zu segnen und den gemarterten Delinquenten – denen weiter nichts vorzuwerfen war, als daß sie keine Goldschätze zu verraten hatten – ein Lippenbekenntnis wenigstens zur goldenen Glorie des Heilandes abzuzwängen und, wenn nicht anders, den noch zuckenden Leichnam mit Taufwasser zu besprengen, in der befriedigenden Überzeugung, dem Himmel wieder eine Seele gerettet und das Tagespensum an guten Werken absolviert zu haben. Einer der Heiden hatte, schon unter Bewachung am Taufbecken angetreten, den Mut gefunden zu fragen, ob er denn seine neuen „Freunde“ in dem ihm in Aussicht gestellten Paradies wiedertreffen würde. Auf das brusttönende „Aber gewiß doch!“ soll er vorgezogen haben, sich ungetauft schlachten zu lassen. Der schlicht menschliche Betrachter wird gern bereit sein, die christlichen Symbole zu achten, und sie jedem nach Gebühr gönnen wie auch die göttliche Gerechtigkeit, die sicher nicht verfehlen wird, jene armen Seelen aller Kolonisationsopfer beim Jüngsten Gericht geschlossen gegen ihre Peiniger samt deren Ordensassistenten auftreten zu lassen.

      Die Übersättigung der karibischen Provinzen mit Priestern hat übrigens in den Jahrhunderten ihren Rückschlag erfahren. Noch heute kommt in Spanien auf je neunhundert Einwohner ein Geistlicher, etwa soviel wie in Westdeutschland. In Mittelamerika ist es einer auf fünftausend.

      Indes in Übersee die Ausbeutung und Ausrottung der eigentlichen Besitzer und ihr Ersatz durch afrikanische, brutal entheimatete Neger einer ozeanischen Sättigung der so überheizten wie gedrosselten Berserkernatur des Abendländers zustrebte, barsten auch in den Mutterländern die Ventile.

      Die Bartholomäusnacht zu Paris ist nur ein Beispiel dafür. Der französische Admiral Coligny hatte in spanischen Gefängnissen die Inquisition und ihre Lenker hassen gelernt. Er wurde nach seiner Flucht Kalvinist und trat an die Spitze der von der Schweiz ausgegangenen Bewegung in Frankreich. Deren Anhänger erhielten den Spottnamen „Eidgenossen“, der französisch verbalhornt wie „Ügnotten“ klingt, was man gebildet „Hugenotten“ schreibt. Die Geschichte wandelte die Beschimpfung in einen Ehrentitel.

      Nun war Coligny ein Haudegen wie andere und gedachte die christliche Nächstenliebe und die Achtung vor dem Eigentum Schwächerer keineswegs in die Politik zu übernehmen. Er ermaß die Gelegenheit, dem verhaßten spanischen Nachbarn, der so wenig Vorbildliches mit den ergatterten Ländern anzufangen wußte, den Raub abzujagen und – zum Ruhme Frankreichs – die fanatischen Greuel der Kirche drüben durch kalvinistische Strenge zu ersetzen.

      Gerade regierte in Frankreich eine Frau. Deutschland hat derlei nie erlebt, ohne doch besonders betrübt darüber sein zu müssen. Immer haben sich jene europäischen Herrscherinnen als wahrhaft golfische Verkörperungen erwiesen. (Als deine Inkarnation, Tlaloca.) Meistens war der Strudel der Geschichte mit gewaltigem Kochlöffel umgerührt und mit magischem Kamme durchfurcht, wo Weiber auf dem Throne saßen.

      Doch ist die Frage, ob es nicht einer natürlichen Ordnung gemäß sei, Völker – wie bei den vorbildlichen Bienen – durch Königinnen zusammenzuhalten. Es scheint, daß gerade England damit gute Erfahrungen gemacht hat.

      Zu Paris war es Katharina, ein Sprößling der Florentiner Bankierfamilie Medici. Sie war anfangs so begeistert von Colignys Triumphplänen wie Elisabeth zu London von Drake und wie Isabella – es war schon eine Zeit her – von Kolumbus, genannt Cristobal Colon. Doch bald ließ sie sich von ihrem Beichtvater das Fegefeuer heizen, das zu löschen kein Golfstrom reichen würde. Sie merkte nebenbei, daß der aufgeklärte Admiral auch politisch vom schweizerischen Geist genossen und dem absoluten Monarchismus keine Ewigkeitsdauer prophezeite.

      Wo Fortschritt in der Luft spukt, sprießen die Gegner wie Löwenzahn. Katharina hatte einen Sohn von mäßiger Begabung. Und der Sohn hatte einen Freund, den Herzog von Guise, einen Ehrgeizling, der rein aus Gegensatz zu dem Marinegünstling für Spanien schwärmte. Der unbedarfte Jüngling schwärmte mit und ließ sich das alleinseligmachende Gottesgnadentum wie Honig um den kaum keimenden Bart wischen. Er war erst dreizehn Jahre alt.

      Coligny aber nahm den Dauphin beiseite und gewann sichtlich Einfluß, indem er von den Meeren der Welt, vom Segeln im Passat und von den Wundern der fernen Inseln erzählte, die der leuchtenden Grande Nation viel besser in die Embleme passen würden als dem Finsterling Philipp.

      Fast wäre ganz Frankreich protestantisch geworden.

      Aber Katharina fand inzwischen den kalvinistischen Gottesdienst reichlich schmucklos, war auch nicht sicher, ob sie, wegen einiger mediceischer Schandtaten nicht ganz reinen Gewissens, auf die Liste der auserwählten Himmelsanwärter und prädestinierten Gnadenempfänger gehören würde. Die römische Kirche war darin großzügiger als die „Eidgenossen“. Somit nahm auch sie den Knaben beiseite. Es war mitten in den Hochzeitsvorbereitungen für seine Schwester, die ausgerechnet einen Protestanten heiraten wollte. Ein Wagen nach dem andern mit den besten Familien des Landes (alles Reformierte) war schon in der Hauptstadt eingetroffen. Die Hotels waren überfüllt, und auch privat blieb kein Bett unbelegt. Gerade trat der Beichtpater ein und legte stillschweigend die Liste der Angekommenen auf den Tisch. Säuberlich war hinter jedem die Anschrift verzeichnet, die ja zugleich den Namen der ebenfalls „abtrünnigen“ Gastgeber enthielt.

      Katharina zögerte. Sie ließ die prächtige Feier verstreichen. Gut so! lächelte der Pater. Jetzt sind alle in Sicherheit gewiegt. Keiner will Paris verlassen, ehe die Woche der Feste zu Ende ist.

      Genügt nicht der eine? fragte Katharina schaudernd.

      Der Admiral? Vielleicht.

      Aber Coligny war auf der Hut. Er erledigte die gedungenen Mordbuben und begab sich mit ihren abgeschnittenen Zungen zur Königin. Er warf die blutigen Fetzen vor ihr auf den Tisch, lachte verbindlich, sagte, er wolle den Frieden und keinen Aufruhr, und er wolle stumm sein wie diese Schurkenzungen, solange die Paraden und Feuerwerke und Tanzmusiken währten. Wenn aber nur das Geringste an Anschlag noch einmal passiere, werde er das Nötige veranlassen.

      Katharina faßte sich, dankte ihm, daß er schweigen wolle, tat im übrigen, als wisse sie von nichts, versprach jede Nachforschung und Genugtuung, ließ die Zungen abräumen und begab sich zu ihrem Sohne, den sie schon fast umgestimmt fand, in wohlwollendem Geplauder mit dem Guiser Herzog. Es war nicht schwer, den Knaben davon zu überzeugen, daß man einer Dame nicht derartige Geschmacklosigkeiten auf den Tisch werfen dürfe und auch, daß der Hof in höchster Gefahr stehe.

      So kam es zur Bluthochzeit, sechs Tage nach der glorreichen Vermählung – in der Nacht nach St. Bartholomäus, der nicht nur Patron der Fischer ist und in jenem sagenhaften Indien, um dessen Schätze es letzten Endes ging, lebendig gehäutet wurde, sondern auch Patron der Metzger. Jeder gute Katholik war verständigt