Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
Скачать книгу
nur ein Teil die Segnungen der Zivilisation im Zwischendeck der Karavellen überstand.

      Doch war dies Unterfangen noch milde zu nennen gegen das, was später der Golfstrom an Sklavenfracht erlebte. Übrigens war es fünfzig Jahre nach diesem Zwischenfall dem Satan Soto zu danken, daß die zwei Millionen Bewohner Kubas bis auf den letzten Säugling ausgetilgt wurden.

      Und so wie dort ging es fast überall, wo die europäische Gier Gold und Schätze witterte. Und es bedurfte nur einer Handvoll Strauchritter und massiver Kanonenhengste, um die ganzen alten, feinnervigen Kulturen Mittelamerikas in den Schmutz zu treten.

      *

      Zu Tomebamba in Ekuador

      weilte Huana Capac,

      der letzte der großen Inkakönige.

      Ihn hielt von der Heimat fern

      und fern von beiden Meeren

      die Liebe zu Tlaloca.

      Sie war die schönste seiner zweihundert Frauen.

      Da erreichte ihn die Nachricht,

      Götter seien gelandet,

      weißen Gesichts und bärtig,

      aus gewaltigen schwimmenden Häusern

      dem Meere entstiegen.

      Und viel Kleidung sei um sie

      und der Donner bei ihnen

      in ihren Speeren und ehernen Balken.

      Betroffen sann da der Inka

      und verschloß sich lange.

      Doch dann machte er sich auf zur Küste,

      voll Bebens und dennoch gewillt,

      mächtig zu bleiben.

      Da, unterwegs schon, nahte ein Bote,

      schwarz bemantelt,

      und brachte ein Kästchen aus Gold.

      Und sagte, er sei vom Himmel gesandt,

      es dem Inka zu geben.

      Öffne es nicht! sagte ein Weiser:

      Schick es denen, die da gelandet!

      Aber Tlaloca, die schönste, sagte: Ach, Unsinn!

      Und sie lupfte neugierig den Deckel –

      Hu! Eine Wolke von Mücken und Motten

      stob da heraus und umtanzte den Inka

      und wirbelte über die Binde der Stirn

      und die rote Quaste aus Lamawolle

      und löschte das Heilige aus und den Willen.

      Und warf eine Seuche auf ihn und die Heerschar,

      wie die Sage berichtet,

      die bis Korea vor ähnlichen Finten

      sich keineswegs scheut,

      um die Stärke des Gegners

      und seinen Ruhm

      zu verkleinern.

      *

      Die Tat des Kolumbus war eine Anregung. Seine Entdeckungen waren überall nur halb. Er hielt das Karibische Meer für eine abgeschlossene Bucht und ließ sich das Betreten Yukatans, Mexikos und Floridas, ja selbst die Floridastraße und die Enthüllung des Golfstroms entgehen. Er entließ das Boot der Maya, das ihm vor Trinidad begegnete und das reizvolle Kulturzeugnisse aufwies, uninteressiert, weil nirgends Gold bei der Besatzung zu entdecken war. Er kam nicht dazu, den Schritt über die Landenge zu tun und von dort, wie nur drei Jahrzehnte später Saavedra, den Weiterweg nach Java und dem wirklichen Indien zu erspähen, Anschluß zu finden an die Gleicherströmung im Pazifik, an die Fortsetzung der Westströmung, die zu verlassen er sich nicht getraute, so sonderbar es klingen mag. Es war, als wolle er in seinem Innersten nicht zurück, obwohl er tatsächlich viermal heimgekehrt ist, wenn auch nur, um schließlich einsam, vergessen und verbittert, obschon begütert, in Valladolid zu sterben, keine anderthalb Jahrzehnte nach seiner „Propagandatat“. Sein Traum, über Suez und Alexandrien nach Hause zu gelangen, hatte sich nicht erfüllt. Aber er mußte noch erleben, daß Calicut 1499 von Vasco da Gama und ein Jahr darauf von Cabral um Afrika herum erreicht wurde, in Weitreisen, gegen die seine nachträglich ein Kinderspiel schienen. Immerhin, er war gleichsam der Schneeball, der die lange am Golfstrom lauernde Lawine ausgelöst, der die Löwin geweckt hatte, die nun von Europa aufsprang und ihre Tatze vernichtend in eine vom abendländischen Hochmut bisher verschonte Welt schlug. Auf den Wunden und Narben dieser Neuen Welt wuchs sein gigantisch ruhloser Geist weiter bis auf den heutigen Tag.

      Die Rache der Unterdrückten hat freilich nicht auf sich warten lassen. Gering war zwar, was Speer, Keule und Giftpfeil gegen Arkebusen, Stahlschwerter, Streitrosse, Panzerschienen, Kanonen, Bluthunde, Grippe und Lungenpest ausrichteten. Mit all dem waren die weißen Götter indianischer Verheißung oder Erinnerung an Land gestiegen, um sich bald als Teufel zu entpuppen, ausgehungert über die nackten Weiber herzufallen und das gelbe Metall, das dem Rost widerstand, erst noch gegen Glasperlen und Kinderschellen eingetauscht, mit Gewalt an sich zu bringen. Überall trafen diese Eroberer auf das Schlangensymbol. Den Europäern war die Schlange die Verführerin Evas und damit schuld an aller Sünde. Der Begriff Midgardschlange war seit Hunderten von Jahren untergegangen und ihr atlantisches Dasein vergessen und noch nicht wiederentdeckt.

      Somit zertraten die weißen Horden die heiligen Zeichen in christlichstem Eifer, nicht anders als die Giftschlangen, an denen es überdies nicht fehlte. Aber eine sehr winzige Schlangenart entging ihrem Auge. Es hat vierhundert Jahre gedauert, bis überhaupt ein menschliches Auge sie sah. Erst der Deutsche Fritz Schaudinn entdeckte sie, die kleinen heimtückischen Racheschlangen der unterjochten Terra nuova, die Spirochäten der Syphilis.

      Hinter den beiden Söhnen des Colon her, die, geadelt, als Pagen bei Hofe erzogen wurden, riefen die Heimkehrer und Verseuchten von den Bettelstufen der Alhambra: Da seht die Zierstengel des Admirals von Moskitonien, die Seidenaffen des Betrügers, des Totengräbers edler Spanier!

      Es erging dem Alten dennoch besser als den meisten der Entdecker. Sie pflegten nicht wie er im Bett, sondern im Blutbad von Aufständen, Meutereien, Heimtücke und Hinterhalt ein unnatürliches Ende zu finden. Er starb – wie W-Typen nicht selten – an Herzkrampf, wahrscheinlich an Angina pectoris. Die eigentlichen Racheschlänglein hatten ihn verschont. Sein letztes Jammern um entgangene Millionen verhallte in einem eigenen stattlichen, aber gottverlassenen Hause. Immerhin hatte der Webergeselle es bis zu folgender Unterschrift unter sein Testament gebracht:

      Der Admiralmajor des Ozeans und Vizekönig und Generalstatthalter des Königs und der Königin, meiner Herren, für Inseln und Festland von Asien und Indien, und ihr Generalkapitän zur See und Mitglied des Rates.

      S.

      S. A. S.

      X.M.Y.

      po Ferens.

      Diese Mischung aus Selbsterhebung und Zauberformel paßt in den Rahmen seines Typs.

      Spanische Grandezza verwehrt übrigens einem direkten Nachkommen des Kolumbus, der heute als schlichter Leutnant in der iberischen Marine dient, keinen der ererbten Titel. So durfte denn kürzlich der „Vizekönig von Westindien“, der junge Don Cristobal Colon, bei seiner Trauung in der Uniform eines „Admirals der Ozeane“ erscheinen, ohne daß von seiten anderer Seemächte Einspruch erhoben wurde; handelt es sich doch nur um einen kleinen märchenhaften Abglanz von einst.

      Biographen und Apostel

      Die unbewußte Lenkung · Die Arbeit der Dummen · Überschall und Golfstromtempo · Peter Martyr · Neue Welt · Wie entstand der Name Amerika? · War Waldseemüller musikalisch? · Auch Bristol will nach China · Spuk bei Florida · Juvenal und Westindien · Gold per Eilboten · Satan Soto · Der Tarzan der Konquistadoren · Das Hirtenamt · Die Ventile platzen daheim · Bartholomäus, der Schirmherr der Metzger · Der Hugenotten erste Freistatt drüben