Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
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nicht die andern,

      die Bösewichte und Drangsalisten,

      die Massenmörder, die Usurpatoren,

      die Erzbombasten und Schlachtenmetzger,

      die Brüller und Prahler und Ruhmjongleure,

      die Kikerikis der Unmenschlichkeit,

      die Tamerlane jedweder Sorte –

      o Seele, vergiß ihre schmutzigen Namen! –

      Sind denn nicht auch sie

      getrieben im gleichen Frühbeet?

      Merk auf, Europäer!

      Erkenn deinen Motor!

      Eingefügt bist du

      in die weitreichend tiefgreifende,

      von keinem ozeanischen Anatom

      je bis ins letzte bloßzulegende

      Adernverzweigung

      kosmischen Saftes.

      Nutz ihn zum Guten!

      Die atlantische welle

      Das Meerwunder und die Wächter · Neben Nürnberg Augsburg · Putzpomade in Haiti · Arbeiterfrage schlicht gelöst · Karl braucht Geld · Werkspionage an Bord · El Dorado gesucht · Dalfinger, Hohermuth und Hutten · Der Ahne der Mau-Mau · Vier Fackeln lodern übers Abendland · Die erste Buße von Rang · Das Windauge als Tanzrad · Federmann kam nach Haus · Wohin mit dem Überhang? · Deutsches Blut in Übersee · Indische Kompanien · Golfstrom und Krieg · Der Neutrale lacht · Der Mühlsteinkragen weiß von nichts

      Der Wust menschlicher Unzulänglichkeiten möge für Augenblicke in die Finsternis sinken, wohin er für ewig gehörte, wäre nicht not, uns seiner zur Mahnung zum Besseren oft zu erinnern. Ein freundlicher Schein möge drüber wegstrahlen. Denn auch unendlich viel Großes und Gutes wurde angeregt vom Hauche des Golfstroms. Schon haben wir auf einige Überwinder der atlantischen Unruhe hingewiesen. Müßten wir nicht die gesamte Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte Europas in die Waagschale werfen und die Ergebnisse aller Wissenschaften dazu? Wäre ohne die Werke der Meister allen Geistes und Gemütes Europa nicht schon längst ein einziger Höllenpfuhl?

      Als ich Albrecht Dürers Kupfer „Das Meerwunder“ zum ersten Male sah, wußte ich noch nichts von der weltweiten Beziehung dieses manierlichen Götterpaares. Es gleitet majestätisch in heidnischer Nacktheit auf einem mitteldeutschen Flusse dahin, vielleicht, um dem Verbleib der Lachse nachzuspüren oder die Aalweibchen ins Meer zurückzugeleiten. Nur phantastisch, nur unvergleichlich gezeichnet und voll verkappten, bei Dürer so seltenen Humors schien mir das Blatt. Heute ahne ich, wie sehr sich darin die Fernsehnsucht des jungen Künstlers zusammenballte, nachdem er Venedig erlebt. Es ist ein Attest der Überwindung. Die Heilmittel dazu rühren weit aus der Antike her, vermählt mit altem heimischem Wassergeisterzauber. Nichts Christliches hat in solchem Zustande des Golffiebers verfangen. Und Heiterkeit der Genesung, der freiwilligen Beschränkung und Erkenntnis ist darin, die ihn zu seinem Werke zurückführte, das sich mit ungeheurem Ernst – seinem Typ entsprechend – auf die äußere und innere Figur sammeln mußte, um nicht abgelenkt zu werden im atlantischen Aufruhr des Jahrhunderts. Selbst in Antwerpen, das er als Bittsteller wegen einer im Regierungswechsel gefährdeten Jahresrente (Abzahlung für geleistete Arbeiten) aufzusuchen hatte, ist ihm derlei „Beschreyung innerster Versuchung“ nicht mehr eingefallen. Er hatte sie nicht mehr nötig. Er war auch darin zum Protestanten geworden, so sehr ihn andrerseits sein Tagebuch der Reise allseitig aufgeschlossen zeigt. Er befreundet sich an der grauen Küste mit dem Sekretär der portugiesischen Faktorei, Almado, und ließ sich eine Vorstellung dämmern von der Praxis, die neu entdeckten Ozeane und Kontinente zu bewältigen. Seine Frau war dabei. Ihr hätte sicher Vergnügen gemacht, das Rheinschiff mit einem größeren zu vertauschen und die Fahrt ins Uferlose fortzusetzen. Er aber dämpfte sich still. Sein Raum und sein Werk waren streng in ihm selber. Was für ihn noch zu erfahren war, hing an den Wänden der Paläste und Großbürgerhäuser und in den Ateliers der Kollegen und stand überall unabsehbar fordernd um ihn herum, festgehalten zu werden. Zwischen Italien und den Niederlanden war es seine Aufgabe, die europäische Schaubarkeit vom Grashalm und Eichhörnchen bis zum Gottesantlitz zu erhöhen, zu raffen, zu ordnen und zu erweitern und in ein weltgültiges Maß zu bändigen.

      Es ist inmitten der Zeit ozeanischer Erschütterungen. Niemand weiß damals um die natürliche Herkunft der Nervosität. Die Angst vor dem Weltuntergang und dem Jüngsten Gericht ist weit verbreitet. Überschwang ist das Zeichen anomaler Temperatur. Es ist die Zeit der Schwarmgeister und Wiedertäufer, der Kettensprenger aller Art, der Freiheitsberauschten und Freiheitsmißbraucher, der Abenteurer und Weitfahrer in Zonen aller Grade von derber Gier bis zu subtilster Geistigkeit. Den früh alternden Meister bedrängt das „Gebrause der Sphären“ und der Taumel der Erde. Er sammelt alle seine Kraft und Vielspältigkeit in eins und schafft die vier Wächter, die Vier Apostel, stellt sie gleichsam vor die Tür seiner errungenen Ordentlichkeit. Und schenkt sie dem Rat, nicht der Kurie seiner Vaterstadt. Welche Gnade, daß die beiden gewaltigen Tafeln bis zu uns herübergerettet sind. Wir sahen sie kürzlich zu München wieder, so, als seien sie gestern gemalt. Diese Hüter europäischer Würde. Diese Menschheitshüter. Die vier großen Abendländer in antikem Gewande. Sie zu deuten, reicht das Apostolische nicht aus. Mag sein, daß Dürer seinen eigenen wachsamen und gefährdeten Typ, geteilt in den blonden Grübler Johannes und den dunkeln Rechthaber Markus, in den Vordergrund gestellt hat, sich selber zur Mahnung, indes der Seefahrer Petrus den Schlüssel demütig in die gedruckte Botschaft zurückgibt, in das Wort, das sie „sollen lassen stahn“, und der Weltreisende Paulus heilsfanatisch die Weiten mustert. Das mildblitzende Schwert des ragenden Markus sieht übrigens aus, als wolle es sich eben in einen Pilgerstab verwandeln.

      Zwischen 1525 und 1526 wurde dieses ergreifende Werk geschaffen. Gerade rückten die Türken gen Europa, Karl V. gen Italien, Pizarro gen Peru, die armen Weinhäuer und Ackerpflüger aber gegen ihre adligen Bedrücker. Und es ist das gleiche Jahr, da Luther seine Schriften „Wider die himmlischen Propheten“ (Sektierer) und „Wider die räuberischen und mörderischen Bauern“ richtet und überdies mit dem bloßen Bildungsideal des Humanismus und der Anschauung des Erasmus vom „freien Willen“ brach, auch in voller Loslösung von Rom die Nonne Katharina von Bora heiratete und somit das protestantische Pfarrhaus gründete, daraus soviel Segensreiches entstehen sollte. Es ist das Jahr, da klar wurde, daß aus dem volkssaftigen Ingenium des Reformators, vom Golfstromhauch erregt, das – neben dem Apostelbild – Erstaunlichste jener Zeit erblühte, nämlich das, was seitdem Deutsche Sprache heißt.

      *

      Geist und Politik ist zweierlei: Die Tage, da ein Danziger Käptn den britischen Orlogdienst frisch aus den Riggen weg kaperte und englische Könige als Gefangene zum Bordfrühstück einlud, waren noch gar nicht lange dahin. Und eigentlich hätte man von so flotten Seelöwen wie Paul Beneke eine gewisse Anteilnahme der Hanse an den überseeischen Morgenröten erwarten sollen. Aber die einst so stolze deutsche Seegeltung zerpflückte ihre Segelflügel in kleinlichen Kompetenzreibereien. Sie verhielt sich zudem zu der Neuen Welt wie später die Kurie zur Abstammungslehre. Ihr Paradies und Weideplatz waren Ostsee und Nordsee gewesen. Daß so unbequem weit fort auch noch Land Kaufkraft und Exportmöglichkeit haben sollte, widersprach der Überlieferung und der Gemütlichkeit. Wer etwas von weitläufigeren Anschauungen genießen wollte, mußte mindestens nach Antwerpen, aber besser nach Iberien oder neuerdings mit einem Engelsmann segeln.

      Nicht daß es an deutscher Anstrengung gefehlt hätte, den Anschluß an den Welthandel nach Übersee alsbald zu gewinnen. Aber es konnte nur von einzelnen Wagehälsen geschehen, die sich aus den überall wankenden Staats-, Kirchen- und Zunftbindungen zu lösen vermochten oder sich deren Ohnmacht zunutze machten. Der Großunternehmer wurde damals geboren, der Finanzkapitän, der Kaufherr, der Kaisern und Königen aushalf, wenn sie knapp bei Kasse waren, und sich dadurch Vorrechte erkaufte, die vormals nur von Gemeinschaften hatten erworben werden können.

      1525 pachteten die Augsburger Großkaufleute Anton und Barthel Welser die Kupferbergwerke auf Haiti. Sie waren von dem phantastischen Schrei nach Gold, der