Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
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nautische Offizier des Ponce war Alaminos. Dieser tüchtige Seemann wurde in den folgenden Jahren der kenntnisreiche Lotse der spanischen Flotten in den Gewässern des mexikanischen Golfes und der Floridastraße. Er wurde auch der Obersteuermann des berühmt-berüchtigten Cortez. Und seinen Mitteilungen verdankte die spanische Marineleitung die Grundlage einer ersten „Segelanweisung“ für das neue „Mittelmeer“. Darin wird gesagt, man könne die Karibische See, mit der Strömung fahrend, der ganzen Länge nach in vier bis fünf Tagen durchsegeln. Der Rückweg aber sei so mühselig, als ob die Schiffe einen Berg hinauf und gegen die Kraft Neptuns selber ansegeln müßten.

      Peter Martyr, der auch dies berichtet, war ein Weltmann jenen Grades, wie Spanien ihn hin und wieder hervorbrachte oder nährte (etwa vom Format eines Ortega y Gasset). In der Universität hörten siebentausend Studenten seine Vorlesungen über Juvenals Satiren, die allerdings geeignet waren, den abendländisch-nationalen Hochmut zu fördern und den werdenden Konquistadoren unter den Hörern das nötige moralische Rüstzeug zur Behandlung derHeiden“ zu liefern. Der Eingang zum überfüllten Hörsaal war meistens so verstopft, daß der Professor über die Schultern der Hörer zum Katheder gelangen mußte. Die Begierde nach Wissen schwoll unaufhaltsam wie die Gier nach Gold und Macht. Alles war im Neubeginn: Erdkunde, Mathematik, Medizin, Astronomie, Philosophie und Politik. Man hatte sich zu Spanien das Feld frei gefegt, man hatte unter Zitieren der jüdischen Propheten und Psalmensänger deren Nachfahren vertrieben und ausgerottet, genau wie die Mauren, und schämte sich nicht, beider Wissen und Überlieferungen mit den römisch-griechischen zu einem schmackhaft abendländischen Brei zu verrühren. Daß der Golfstrom die nötige Mischungsflüssigkeit dazu lieferte, war keinem bewußt.

      Auch nicht, als Alaminos als erster über eine Heimfahrt auf diesem geheimnisvollen Strom berichtete. Sein Flottenchef, der ehrgeizige amtliche, doch behutsame Großräuber Cortez, wünschte 1519, seine hinter Vera Cruz gemachten Goldfunde „per Eilboten“ der spanischen Majestät anzuzeigen. Bisher waren alle heimkehrenden Schiffe dem alten Kolumbuskurs zwischen Haiti und Kuba der Windward Passage gefolgt. Ungerechnet aber, daß auf den Inseln einige ausgepichte Neider des Cortez lauerten, begierig, seine Nachrichten abzufangen und zu hintertreiben, sah Alaminos eine bessere Gelegenheit. Er wagte den Vorstoß um Kuba herum durch die gefürchteten Engen der Korallenbänke an den Bahamas hin – von denen Kolumbus anscheinend hinreichend Ahnung gehabt hat, um sie wie die Pest zu meiden. Er segelte mit dem schnellsten Schiff der Flotte am denkwürdigen 26. Juli 1519 zum bekundeten ersten Male durch die Floridastraße und weiter auf dem Rücken des Golfstroms durch das „weite und endlose Meer“ (wie der spanische Geschichtsschreiber Herrera, sich auf den Augenzeugen Las Casas beziehend, äußert). Alaminos gelangte an den Azoren vorbei in zwei Monaten nach Spanien, was damals als schnelle Reise galt.

      Von jenem Datum an war der Golfstromweg als der bequemste Heimweg von Westindien nach Europa in Gebrauch. Obwohl die Klagen über Stürme auf dieser Strecke nicht aufhören. Und da nach wie vor der Gleicherstrom mit seinen stetigen Passatwinden an den Kanaren vorbei die beliebte Anfahrt blieb, war zum ersten Male öffentlich der atlantische Strömungskreis zur Handelsstraße erhoben. Dieser natürliche Zirkel der Schiffahrt bildete, solange Segel sich blähten, die große dienliche Route zwischen der Alten und der Neuen Welt, den Golfstromweg. Das schließt nicht aus, daß er oft wegen seiner Tücken (zumal auf der Rückfahrt) geschmäht, ja mißachtet und vergessen, doch immer wieder neu entdeckt und gepriesen wurde und bis in unsere Dampfer- und Turbinentage nie ohne Respekt genannt und noch heute selbst von den modernsten Luxusriesen bei jeder passenden Gelegenheit zur Verbesserung des Etmals, das heißt der getätigten Tagesmeilen, herangezogen wird.

      *

      Es sei erwähnt, daß bald darauf auch die Strömungen jenseits der großen „Barre“ von den Spaniern erkannt und benutzt wurden. Andres de Urdanete wurde der erste abendländische Lotse des Stillen und des Indischen Ozeans und segelte als erster, nachdem man die Gleicherdriften gen Indien und China schon lange kannte, mit dem Japanstrom, dem Kuro-Schio, nach Amerika zurück.

      Die Stromverhältnisse diesseits wurden der Seefahrt bald so vertraut, daß lange keine Worte mehr darüber verloren wurden. Daher findet man bei den Geographen, die damals wie die Maler noch „im Atelier“ arbeiteten und die Freiluft erst entdecken sollten, an die zweihundert Jahre lang kaum noch eine Erwähnung der atlantischen Strömungen. Das ganze Augenmerk ist auf die Länder, auf die Abrundung der Entdeckungen gerichtet, und jedes Jahr gelangen atemberaubende Nachrichten von neuen Unerhörtheiten auf dem Golfstromwege ins alte bebende Europa. Einer der wildesten Raubteufel namens Soto, den Ämtern daheim schier unentbehrlich, drang gierig den Mississippi aufwärts, aber er kam nicht wieder.

      Ein paar Sonnenminuten südlicher kann Expeditionen das noch heute passieren. 1953 verscholl eine Gruppe Wissenschaftler von zwanzig Mann, die sicher friedlichere Absichten verfolgte als Soto, zu Guatemala im Flußlauf des Motagua spurlos. Von einer Nachsuche hat man nichts gehört. Man vermutete bei den Teilnehmern sicher keine Geheimpläne über Goldminen und Tempelschätze, wie etwa bei jenem „Mehrer der Krone“ Soto, nach dem man viele Jahre vergebens forschte. Immerhin fand man statt seiner unermeßliche Landstrecken, nichts als Land von Yukatan bis Labrador.

      Schon 1559 kann der Historiker Oviedo eine erstaunliche Schilderung der ganzen nordamerikanischen Festlandküste darbieten. Von den Meeresströmungen erwähnt er keine Silbe. Und die Hydrographen behaupten – aller seemännischen Erfahrung zum Trotz –, alle Meerwässer eilten beständig vom Pol dem Äquator zu, da – wie schon Albertus Magnus bezeuge – der Norden höher sei und mehr Wasser anhäufe als der Süden, wo die Sonne viel Wasser verzehre.

      *

      Immer hat auch die Schöne Literatur eine Rolle im Getriebe der Staatsmaschinen gespielt, ohne daß die Hebeldreher und Heizer es ahnten, so wenig sie die wahre Golfstromfeuerung ahnten. So war die eigentliche Bibel der Konquistadoren der Ritterroman „Amadis“. Im Jahre der Entdeckung Amerikas bearbeitete der Spanier Montalvo drei schon vorhandene Bücher und fügte ein viertes hinzu. Die Ursprünge liegen im Keltischen, im Schatten des Golfstroms, in der Irischen See auf der Waliser Insel Anglesey. Dort wurde der Typ des ritterlichen Liebhabers geprägt, der bis heute durch kein anderes Ideal zu ersetzen war, es sei denn etwa durch ... Tarzan, dessen Abenteuer sich ähnlich als buchgängig erwiesen wie jene des Amadis und auf ähnlicher „Gebärde“ beruhen, auf der Sucht, muskulöse Untaten mit bonbonfarbenen Flören zu kaschieren. Im Laufe des Jahrhunderts der „Landnahme“ wuchs die Bändezahl des Amadis auf vierundzwanzig und lockte als positives Ergebnis den Spott eines Cervantes in die Weltliteratur. Die Redewendungen der Militärführer und Kriegsberichterstatter seit Bernal Diaz, dem wackeren Feldwebel des Cortez, wirken, zumal wenn es sich um Dinge wie Tapferkeit, Ruhm, Ehre und Treue handelt, wie direkte Entlehnungen aus dem Amadisschwulst, der sich in zahllosen Übersetzungen über das ganze Golfstromgebiet verbreitete und bis in die heutige amtliche Journalistik hinein gespenstert.

      *

      Obwohl die Spanier eifersüchtig ihre angemaßten Rechte auf die neuen Entdeckungen zu monopolisieren suchten und keine Gewalt scheuten, andre von den Ausbeutungen fernzuhalten, wurde der Golfstrom bald die Straße der Freibeuter aller Nationen, die Helgen für Weitfahrschiffe besaßen. Was hatte es der grausamen Saugpumpe Spanien viel genützt, sich mit den Metall- und Steinwerten der unglücklichen Kariben, Azteken, Tolteken und Mayas die Staatssäckel zu füllen? Es war alles in den Wind gegangen, vergeudet nicht einmal in Denkmalen üppiger Baukultur, sondern verschlampt im Negativsten, was es gibt, in Krieg und Massenmord.

      Mag sein, daß der Golfstrom magisch die Schätze zurückgeschluckt hat, zu deren Raub er verführte.

      1524 erschienen die Franzosen in Westindien selber, geschickt von Franz I., um zu sehen, was mit Liebe oder Gewalt abzubeißen sei vom vollen Tisch der Spaniolen. 1538 raubten sie Habana aus, jene nahrhafte Gründung am „Ausfall“ des Golfstroms, in der lange Zeit Diego Colon, der legitime Sohn des Entdeckers, den ererbten Titel Admiral von Indien geführt und als Statthalter und Vizekönig eine Pfründe verzehrt hatte, indem die Proviantlager, Ausbesserungswerften und Steuereinnahmen ihm unterstellt waren. Auch warfen gelegentliche Razzien in den Hafenkneipen und Bordellen der Behörde manchen Beutel geschmuggelten Goldstaubs und manches unverzollte Schmuckstück ab, das sich den