Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
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später. Die Pariser Bevölkerung zeigte, was sie vermochte, wenn es galt, amtlich sanktioniert im Blute zu wühlen. Was die spanische Inquisition mehr auf Schleichwegen betrieb, das wurde hier auf einen Hieb geleistet. An die zweitausend Hugenotten mußten auf scheußlichste Weise daran glauben. Und wie ein golfisches Feuer fraß die Mordlust um sich. In wenigen Tagen häuften sich zwanzigtausend zerfetzte Leichname in den Straßen der Provinzen. Wie bezeichnend für den europäischen Geist „jener Zeit“ ist die schlichte Bemerkung des „Brockhaus“ zu dieser Sache: „In der katholischen Welt rief die Bartholomäusnacht großen Jubel hervor.“

      Immerhin wurde durch diesen Jubel La France in die Schmach und den Wahnsinn eines jahrhundertlangen Bürgerkrieges gestürzt, dem seine besten Geister zum Opfer fielen. Und so ähnlich war es überall im golfstromgeheizten Europa, wo man Sprechen und Schreiben nur dazu gelernt zu haben schien, um giftig aneinander vorbei zu pamphletisieren und sich um bloßer Worte willen die Schädel einzuschlagen, obwohl derselbe Begriff dahinter stand, der des armseligen Menschen und seines Hochmuts. Ein Grad zuviel an Temperatur brachte das Blut zum Sieden und die Scheiterhaufen zum Entflammen, und keine Gemeinheit, Folterei und Henkersroheit war zu höllisch, um nicht die Rechthaberei glorios zu krönen, hie wie da mit dem Schein höherer Weisung und Belohnung. Wenn nach Grillparzer ein gerader Weg vom Nationalismus zum Bestialismus führt, so nicht minder vom Konfessionalismus jeder Art. Der bohrende K-Typ Luther hatte die Morschheit des Jahrhunderts erkannt, und das Fegefeuer war schon auf Erden über alle gekommen, und kein atlantischer Hauch brachte Kühlung, so sehr die Sehnsucht wuchs, sich an ihm zu erquicken.

      Coligny, dem gekrönten Weibe nie ganz trauend, hatte schon 1562 seinen Kapitän Ribault an die nordamerikanische Küste geschickt, um dort Siedlungsmöglichkeiten für eine Hugenottenkolonie zu erkunden. Und Ribault segelte als erster einen ungewöhnlich geraden Kurs von Le Havre über die Azoren und die Bermudasinseln, was vermuten läßt, daß der Golfstrom damals weniger geschlossen und fühlbar ihm entgegentrat, sondern sich weit ausgebreitet hatte und in breiter, sachter Front ganz Europa umspülte. Der Kapitän erreichte ohne Schwierigkeiten die Gegend nördlich Florida, die er flugs Neufrankreich taufte. Von Kap St. Roman segelte er dann auf dem Golfstrom heim.

      Wirklich kamen dort in der Neuen Welt die ersten Freistätten der Verfolgten zustande. Aber Admiral Menendez sah nicht lange untätig zu und vernichtete bald zu Ehren der Jungfrau Maria und der spanischen Finanz die ganze Anstrengung.

      *

      Beschließen wir den Blick auf die europäische Innerlichkeit und Innenpolitik jener Tage mit einem Intermezzo freundlicher Art. Es mutet an wie eine samtene Golfstromnacht zwischen zwei Orkanen querab Blackbeards Island. Die blutige Katharina Medici soll ein paar Jahre nach jener Schreckensnacht an der Seine ein paar Bußpsalmen bestellt haben. Die Medicis hatten schon immer eine Ahnung gehabt von der Reinigungskraft der Kunst. Als Komponist kam selbstredend nur der zu seiner Zeit berühmteste in Betracht, Orlando di Lasso. Und wenn auch kein Engelschor und kein Orgelspiel der heiligen Cäcilie selber das von zweiundzwanzigtausend Ermordeten befleckte Gemüt der Grande Dame rein zu waschen imstande gewesen wären, so entstanden doch sieben Psalmvertonungen, die – als gebe es dennoch einen Ausgleich aller Missetat durch das schöpferische Genie – „sieben granitene Gipfelwerke ewiger Tonkunst“ darstellen (so sagt der Musikkenner Hans Joachim Moser).

      Dieser Meister di Lasso hieß, bevor Kaiser Maximilian ihn geadelt hatte und er Münchener Hofkapellmeister geworden, Roland Lass und war geborener Flame. In Rom – alle Musikstudenten strebten damals nach Rom – wurde der junge Musiker von einem Kapellmeister und französischen Geheimagenten dazu beschwatzt, sein hübsches Talent in den Dienst einer diplomatischen Aufgabe zu stellen. Er reiste mit ihm nach London, wo denn Lassus – jetzt hieß er schon Lassus – eine wunderbare Komposition mit Gesang und Orchester bis zu den Ohren der Königin Maria weitergereicht sah. Leider ist sie nicht erhalten. Sie soll eine machtvolle Anklage gegen Philipp den Finsterling aufs eingängigste zu vertonen gewußt haben. Durch die Macht der Töne sollte nämlich eine drohende Angelegenheit hintertrieben werden: die Heirat der – ebenfalls – finsteren Maria (sie hatte gerade dreihundert Protestanten auf den Scheiterhaufen geschickt) mit dem spanischen Infanten.

      Die Antihymne aber zündete nicht. Die beiden Hochzeitsentbitter mußten froh sein, sich von einigen musikliebenden Lords ohne Kommentar nach Antwerpen verfrachtet zu sehen. Dort widmete der Tonmeister seinen verschmähten Erstling, wahrscheinlich mit leichter Textänderung, dem Staatssekretär Kaiser Karls V., Granvella, späterem Ministerpräsidenten Philipps II. Denn alle Kunst ist politisch blind und lebt, so sie wirklich Kunst ist, auch unter geändertem Vorzeichen fort, wie etwa die Eroica Beethovens, die später nicht mehr Napoleon gewidmet war.

      Die nicht verhinderte Fusion der beiden Golfstrommächte Spanien und England, der welkenden und der werdenden See- und Kolonialmacht, währte nur vier Jahre. Maria starb erbenlos. Ihre Nachfolgerin in England war Elisabeth, die erste große Protestantin Europas, die, gestützt auf die freizügigen Handelsinteressen ihrer Hafenstädte und ihnen hold und von ihnen finanziert, Nebenbuhlerinnen geringeren Horizontes umbringen ließ, die Admiräle erzog und sie belohnte oder erledigte, je nach Verdienst, und die große Golfstromepoche Englands einleitete, die Zeit des englischen Empire, deren Strömungssystem die Welt umfassen sollte.

      *

      Merk auf, Europäer!

      Sieh dein Gesicht

      im Spiegel der Geschichte,

      erschrick und geh in dich

      und geh dann heraus aus dir als ein andrer,

      als einer, der weiß und der darum

      nachdenkt

      und sein Handeln mißtrauisch

      und lenkend besser beachtet

      von nun an!

      Daß Mächte unwägbarer Kraft

      dein Maß seit je dir überfüllen,

      das wisse!

      So sieh deine Aufgabe,

      schwerer ist sie als sonst in der Welt,

      den Einfluß zu dämmen,

      der unsichtbar ist!

      Auch dies ist Hypothese?

      Vielleicht.

      Denn das Gültige fließt

      und ist schwer zu fassen.

      Sieh sie dir an, die großen Europäer,

      wenn dir dein Antlitz zu unbedeutend dünkt:

      den Griechen Platon,

      den Juden Paulus,

      den Italiener Dante,

      den Portugiesen Camöes,

      den Spanier Cervantes,

      den Engländer Shakespeare,

      den Franzosen Voltaire,

      den Deutschen Goethe,

      den Russen Dostojewskij,

      den Schweizer Burckhardt,

      den Flamen Maeterlinck,

      den Dänen Kierkegaard,

      den Schweden Strindberg,

      den Norweger Fridtjof Nansen,

      den Iren Shaw ...

      – nur einige sind genannt derer,

      die das geheimnisvoll Kränkelnde unserer Breiten,

      das Anomale erlitten und meisterten

      und darüber auszusagen wußten,

      uns zur Erleuchtung.

      Getriebene waren sie alle,

      kultiviert von atlantischer Feuchte,

      die mit golfischer Zunge

      unsere Küsten beleckt

      und hinreicht mit ihrem Atem

      bis zum