Die Korinther. Nicole Kruska. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Kruska
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943362619
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zu erlernen. Das war noch schwierig genug. Gemeinsam mit Vater hatte er raffinierte Vorrichtungen gebaut, mit denen sich die Gefäße während der Arbeit feststellen ließen, aber auch diese Gerätschaften hatten ihre Grenzen, und für die letzten Arbeiten an großen Amphoren brauchte Phaistos einen Gehilfen, der sie für ihn festhielt – meistens rief er nach Iago. Kynthia hatte der Vater das Töpfern beigebracht und bald erfreut festgestellt, dass sie sich außerordentlich geschickt dabei anstellte. Dennoch war es ihr als Kind sehr schwergefallen, still zu sitzen und zu lernen, wie man Ton zu Figuren oder Gefäßen formt. Ebenso wie Leander, den Nikos mit seinen sieben Jahren jetzt schon regelmäßig nachmittags in die Werkstatt kommen ließ.

      Phaistos hatte wohl nicht mehr damit gerechnet, dass sich eine Frau für ihn finden würde. Auch Danaë gehörte nicht zu den begehrtesten unter den noch ledigen Korinther Mädchen: Abgesehen von ihren Narben schielte sie manchmal und war kurzsichtig. Auch das waren Folgen der Krankheit, aber obwohl nicht zu erwarten war, dass sie den Makel an ihre Nachkommen weitergeben würde, machte er sie als Braut wenig begehrenswert. Deshalb lebte sie mit ihren fünfzehn Jahren immer noch bei ihrem Vater. Das schien sie jedoch überhaupt nicht zu bedrücken, und als Kynthia der temperamentvollen jungen Frau vor einigen Monaten bei einem Fest zum ersten Mal begegnet war, zögerte sie nicht, sie ihrem Bruder vorzustellen. Er zeigte sich zurückhaltend, und auch Danaë war nicht im Geringsten interessiert, aber ihr Vater umso mehr. Es wurde eine annehmbare Mitgift verhandelt, und so stand fest: Danaë und Phaistos würden heiraten.

      „Nicht bevor wir wenigstens bei den Isthmischen Spielen waren, Papa“, hatte sie ihn angefleht. Und Lydias war einverstanden gewesen. Kynthia hoffte nicht zuletzt, dass ihr Bruder durch die junge temperamentvolle Frau aufblühen würde.

      Am Abend saß die ganze Familie zu Tisch. Auch Phaistos war, wie an den meisten Abenden, zum Essen herübergekommen. Nikos hatte schlechte Laune.

      „Leander!“, fuhr er den Jungen nun schon zum wiederholten Male an.

      „Sitz still beim Essen! Und gerade!“

      Leander starrte auf seinen leeren Teller. „Ich bin sowieso fertig. Darf ich gehen, Mama?“

      „Jetzt schon?“ Kynthia ließ ihren Löffel sinken. „Du hast mir noch nicht erzählt, wie es heute in der Schule war.“

      „Och, es gab nichts Besonderes in der Schule. Ach doch!“

      Leander strahlte plötzlich.

      „Ich weiß jetzt, wo Achilleus herkam.“

      Phaistos hob fragend die Augenbrauen.

      „Na, ich dachte, das wusstest du schon lange. Er war der Sohn der Meeresnymphe Thetis und …“

      „Nein, nicht DER Achilleus, Onkel.“ Leander machte eine wegwerfende Handbewegung. „Mein neuer Schildkröterich. Ich habe ihn Achilleus genannt, weil er die schnellste Schildkröte aller Zeiten ist.“

      Die Erwachsenen lachten, und Kynthia freute sich zu sehen, dass auch Nikos schmunzelte.

      „Und? Wo kam er nun her, dein Achilleus?“, fragte Nikos‘ Mutter Kassandra.

      „Er gehörte einem Jungen aus der Schule.“

      „Und will er ihn denn gar nicht wiederhaben?“

      „Nein, Großmama, er hat gesagt, ich kann ihn behalten. Er findet Schildkröten sowieso dumm, und zu den Saturnalien schenkt sein Papa ihm diesmal ganz bestimmt eine eigene Ziege. Mit einem Wagen. Dann kann er mit seinen Schwestern um die Wette fahren.“

      „Na, wie schön für ihn.“

      Kynthia ahnte, welche Richtung das Gespräch nehmen würde.

      „Du, Mama?“

      Leander kam um den Tisch herum und stellte sich dicht neben sie. Kynthia ließ den Suppenlöffel sinken und sah Leander fest an.

      „Nein. Du hast die schnellste Schildkröte aller Zeiten. Sei zufrieden damit.“

      „Ach, Mama!“ Er schlang ihr beide Arme um den Hals und schmiegte seine Wange an ihre.

      „Solange ich keinen Werkstattsklaven bekomme, kriegst du auch keinen Ziegenwagen. Und auch keine Ziege ohne Wagen“, kam sie seiner nächsten Frage zuvor, „oder sonst ein hungriges Tier. Verstanden?“ Sie fuhr ihm mit der freien Hand durch die schwarzen Locken, was er nicht ausstehen konnte, wie sie sehr wohl wusste. Tatsächlich trat er einen Schritt zur Seite.

      „Gute Nacht“, sagte Kynthia und lächelte ihn an.

      Mit gesenktem Kopf wandte sich Leander zum Gehen.

      „Halt, Sohn!“

      Wenn Nikos Leander zurechtwies, klang seine Stimme noch tiefer als gewöhnlich. Der Junge kam langsam zurück und stellte sich vor Nikos hin, den Blick immer noch auf seine sandalenlosen Füße geheftet. Nikos hob sein Kinn mit einem Finger und zwinkerte ihm zu.

      „Gute Nacht, Leander!“

      Der Junge lächelte erleichtert. „Gute Nacht, Papa! - Gute Nacht, Großmama. Onkel“, sagte er lächelnd. Dann verbeugte er sich vor den Erwachsenen und ging eilig davon.

      Nikos zog sich an diesem Abend früh zurück. Während die Sklavin Rubia den Tisch abräumte und sich in der Küche zu schaffen machte, Phaistos nach Hause ging und sich in seine Schriften vertiefte und Kassandra sich ihren abendlichen Riten am Hausaltar zuwandte, ging Kynthia hinauf und sah ins Schlafzimmer. Nikos lag bereits im Bett, war aber noch wach. Kynthia schob den Vorhang beiseite, der Leanders Teil des Schlafzimmers abteilte. Er hatte schon ein eigenes Zimmer gehabt, aber als Nikos‘ Vater vor drei Jahren gestorben war, hatte Kassandra es übernommen. Leander schlief tief und fest. Kynthia zog den Vorhang an seinem Bett zu und wandte sich lächelnd zu ihrem Mann um. Den Kopf auf den Unterarm gebettet, starrte er an die Decke. Einen Moment lang sah sie ihn still an und überlegte, wie sie seine Aufmerksamkeit gewinnen könnte, denn sie hatte sehr klare Vorstellungen davon, wie dieser Tag zu Ende gehen sollte. Ein Lied kam ihr in den Sinn. Gerade so laut, dass die Melodie sein Ohr erreichte, summte Kynthia das Lied, während sie auf das Bett zuging und dabei die Bänder löste, die ihren Chiton über den Schultern zusammenhielten. Sie sah ein Lächeln auf seinen Lippen, legte sich neben ihn und sang ihm, ganz leise, ins Ohr, während sie ihre Finger sachte über seine Haut wandern ließ.

      „Bald wird er in den Arm und an die Brust mir sinken und innig kosen, wird durch seine heißen Küsse mein Herz gewinnen …

      Kynthia küsste Nikos auf Stirn, Wange und Mund.

      Sie ließ ihre Lippen an seinem Hals hinunterwandern. Noch immer wandte er sich ihr nicht zu. Sollte sie ihn in Ruhe lassen? War er heute einfach zu müde? Sie legte den Oberkörper auf seinen und suchte seinen Blick. Sein Atem ging jetzt schneller, er lächelte sie an, rührte sich aber nicht. Spielte er mit ihr? Oder hatte er wirklich keine Lust? Einerlei. Sie wollte ihn. Jetzt. Unbedingt. Sie ließ die Lippen von seinem Hals abwärtswandern, sanft zuerst, dann immer fordernder. Sie würde ihn Zahlen und Ziegel vergessen lassen. Sie, seine Frau und Geliebte, wollte ihn gefangen nehmen. Hände und Mund, die seinen Körper so gut kannten, setzten alles daran und siegten.

      Nachher, als ihrer beider Atem wieder gleichmäßig ging, lag sie neben ihm, den Kopf auf seinem Arm, studierte sein Gesicht und drehte dabei die Haare auf seiner Brust zu Löckchen.

      „Jetzt erzähl mal, warum du schon wieder diese Sorgenfalte zwischen den Augen hast.“

      „Stephanas war heute in der Ziegelei.“

      „Der Mann vom Bauamt?“

      „Ja, genau. Die letzte Lieferung – die Ziegel für die neue Latrine – war zu einem Drittel fehlerhaft. Stephanas wollte Gaius und mich daran erinnern, dass die nächsten Ziegeleien nicht so weit weg sind, als dass er für den Bau der öffentlichen Gebäude auf uns angewiesen wäre.“

      „Und stimmt