Die Korinther. Nicole Kruska. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Kruska
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943362619
Скачать книгу

      Über Demetrios‘ gesellige Abende wollte Kynthia lieber nicht nachdenken, welche Bezeichnung auch immer zutreffen mochte. Hin und wieder folgte Nikos den Einladungen seines väterlichen Freundes zu dessen Festen, forderte seine Frau aber äußerst selten auf mitzukommen. Dass er außerdem nie von diesen Abenden erzählte, ließ Kynthia vermuten, dass Hetairai und Tempelhuren vom Berg zu Demetrios‘ Feiern geladen wurden. Und selbst wenn nicht: Auch die stets leicht bekleideten Sklavinnen des Arztes und seine hübschen, jugendlichen Sklaven hatte Kynthia deutlich vor Augen. Es fiel ihr nicht leicht, Nikos‘ Freundschaft zu dem Arzt zu dulden. Sie gab sich größte Mühe anzunehmen, dass er sich bei diesen Gelegenheiten ausschließlich dem Genuss von Demetrios‘ edlem Wein hingab.

      Nachdem Demetrios sich verabschiedet hatte, dachte Kynthia über das nach, was Phaistos über den Gott der Juden gesagt hatte.

      „Sag, was weißt du noch über diesen HaSchem?“, fragte sie. Phaistos hörte auf zu pinseln und sah sie verwundert an.

      „Seit wann interessierst du dich für solche Dinge?“

      Wann würde er endlich aufhören, sie für ein einfältiges Mädchen zu halten, das zu nichts anderem fähig war, als Lehm in Figuren und Gefäße zu verwandeln?

      „Sagen wir, seit heute die Sonne aufging“, versetzte sie kühl.

      „Also gut. Sie haben nur einen einzigen Gott, die Juden. Er hat viele Namen, aber es ist nur einer. Und sie behaupten, dass er das Volk Israel, wie sich die Juden auch nennen, vor allen anderen auserwählt hat.“

      „Auserwählt wozu?“ Phaistos sah ins Leere und dachte nach.

      „Hm. Vielleicht könnte man sagen: zu seinem Lieblingsvolk.“

      Was das wohl heißen mochte? Eine Weile arbeiteten beide schweigend weiter. Dann erinnerte Kynthia sich:

      „Bruder, damals, als wir Paulos kennenlernten, hieß es, er hätte eine gute Nachricht für uns. Die irgendetwas mit seinem Gott zu tun hat. Was könnte er damit gemeint haben?“

      Phaistos zuckte die Schultern. Kynthia kam eine Idee.

      „Was hältst du davon, wenn wir ihn einladen zu uns? Dann kann er es uns erklären.“

      Das schien Phaistos zu erheitern. „Meinetwegen gerne, aber denk an deine Schwiegermutter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kassandra begeistert sein wird von einem Gott, der keine anderen Götter neben sich duldet. Da kann die Nachricht von ihm noch so gut sein.“

      In der Tat war Nikos‘ Mutter äußerst eigenwillig und mitunter geradezu wehrhaft, was Zweifel oder Kritik an ihren Lieblingsgottheiten betraf: die ägyptische Göttin über Geburt und Tod, Isis, deren Kult längst in Kórinthos Einzug gehalten hatte; Pallas Athene, die Göttin der Weisheit und des Handwerks, und Merkur, der Gott des Handels. Letzterer erfuhr von ihr sehr viel mehr Zuwendung, seit Nikos sich zu den Korinther Großunternehmern zählen durfte.

      „Nikosthenes!“, empörte Kassandra sich regelmäßig, weil ihr Sohn weder den Zorn der alten Götter noch den der neuen fürchten wollte und es nicht lassen konnte, Kassandra wegen ihrer Hingabe an sie zu necken.

      „Eines Tages wirst du deine Respektlosigkeiten noch bereuen. Ich hoffe inständig, dass ich deine Bestrafung durch die Götter nicht erleben muss.“

      Ein junger Mann betrat den Laden und gab mit zitternder Stimme Grabschalen für seine sterbende Frau in Auftrag. Während er mit Phaistos Art und Dekoration der Gefäße besprach, kam Nikos zurück, warf einen flüchtigen Blick auf Leanders Werk und nickte zufrieden.

      „Ach, bevor ich es vergesse“, sagte er zu Kynthia. „Wir haben eine Einladung für morgen Abend.“

      „Von Demetrios?“

      „Nein, von Gaius.“

      „Oh.“

      Gaius war sehr reich, und Kynthia überlegte ein wenig besorgt, ob sie etwas Passendes zum Anziehen hatte. Nikos erriet ihre Gedanken.

      „Keine Sorge: Es wird keine besonders förmliche Angelegenheit. Wenn mich nicht alles täuscht, will Gaius mit dem Essen nur ein paar Zuhörer anlocken für seinen Onkel, der gerade bei ihm zu Gast ist, den Weisen Eumelos. Phaistos darf auch mitkommen.“

      „Das wird er sich nicht entgehen lassen“, vermutete Kynthia.

      „Und bist du auch dabei, Liebes?“

      Sie nickte. Dem Geschwätz der meisten Philosophen konnte sie zwar wenig abgewinnen, aber für einen Abend in gepflegter Gesellschaft war sie immer zu haben.

      * * *

      Am nächsten Abend überließ Kynthia es der alten Rubia, dafür zu sorgen, dass Leander früh genug ins Bett ging, tauschte ihre ungefärbte grobe Arbeitskleidung gegen ihren grünen Ausgeh-Chiton mit der dazu passenden hellgrünen Palla, die bei Sonnenlicht ihr Haar und den dunkleren Chiton durchschimmern ließ. Sie freute sich über Nikos anerkennenden Blick und sein Zwinkern, als sie vor ihm stand. Während sie ihm dafür einen Kuss auf die Wange hauchte, hörte sie schon Phaistos‘ Schritte auf der Treppe, die vom Laden in die Wohnung hinaufführte. In Begleitung der beiden Männer machte Kynthia der Weg durch die Nebenstraßen vom Nordmarkt zur Agorá nichts aus, und in ihrer besten Kleidung überquerte sie gern den riesigen Marktplatz. Es war schon wieder viel zu lange her, dass sie und Nikos ausgegangen waren.

      Gaius‘ Stadtvilla lag in einer sauberen, gepflasterten Straße hinter der südwestlichen Ladenreihe an der Agorá. Hinter einer Vierergruppe von Gästen, die alle deutlich vornehmer gekleidet waren als sie selbst, betraten sie über drei Marmorstufen den Eingangsbereich. Das Vordach wurde von zwei Säulen in kräftigem Rot getragen. Von einem bemerkenswert gut gekleideten Sklaven wurden sie durch die schwere Eisentür und durch die Eingangshalle ins Atrium geführt. Kynthia hatte Gaius noch nie in seinem Zuhause besucht. Sie hatte ja gewusst, dass er sehr reich war. Dennoch war sie überwältigt von der Pracht dieser Villa und fragte sich einmal mehr, ob Nikos jemals der Gedanke kam, dass er sich mit einem Geschäftspartner zusammengeschlossen hatte, dem er in keiner Weise das Wasser reichen konnte. Sie sah ihn von der Seite an, hoffte zu erkennen, wie er sich in dieser Umgebung fühlte. Aber ein Mann, den Kynthia nicht kannte, trat von der anderen Seite an sie heran und begann ein Gespräch mit Nikos. Er stellte sie kurz vor, aber sein Name sagte ihr genauso wenig wie sein Gesicht.

      „Ich sehe mich hier mal ein wenig um“, raunte sie Phaistos zu. „Ich finde euch dann schon wieder.“

      Vor jeder der vier Marmorsäulen, die das derzeit wasserlose Impluvium in der Mitte des Raumes umrahmten, stand eine Grünpflanze in einer schlichten Keramikschale. Auf der Längsseite, an der Kynthia stand, streckte eine Marmorstatue mit einem vollkommenen, von kurzen Locken umrahmten männlichen Gesicht in wallender Toga sehnsuchtsvoll die Arme nach seiner Geliebten auf der anderen Seite aus. Diese schien nachdenklich in das Impluvium zu blicken, die linke Hand locker an der Seite, während die rechte ihren Chiton raffte, der so immerhin ihre zarten nackten Zehen den Blicken des Betrachters preisgab. Kynthia hob den Blick zu den Wänden um das Impluvium herum: Große Rechtecke in kräftigem Grün waren durch goldfarbene Umrahmungen in kleinere Rechtecke unterteilt. Zur Decke hin schlossen sie in einem wulstigen Vorsprung ab.

      So viel Marmor, staunte Kynthia und sah einen Augenblick lang ihre eigene Wohnung vor sich: Wände aus Sandstein, gelb getüncht und längst renovierungsbedürftig, kein einziges Ornament und natürlich keine Spur von Marmor.

      Zu ihrer Rechten führte eine dreistufige Treppe zu einem schmalen Säulengang hinauf. Durch mehrere, mit verschnörkelten Eisenstangen vergitterte Öffnungen fiel das letzte Tageslicht herein. Sie ging die Treppe hinauf und versuchte einen Blick in einen Raum zu erhaschen, aber der Eingang war mit einem Vorhang aus schwerem Stoff verdeckt. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihn ein Stück zur Seite schieben sollte, widerstand aber der Versuchung und sah sich stattdessen im Säulengang um.