Die Korinther. Nicole Kruska. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Kruska
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943362619
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zu wollen.

      „Es tut mir leid, dass ich in euren Garten eingedrungen bin. Ich konnte nicht mehr weitergehen. Meine Muskeln … manchmal … gehorchen sie mir nicht. Auch jetzt kann ich … mich kaum bewegen.“

      Er starrte auf seine zitternden Hände.

      „Wenn ihr erlaubt, … bleibe ich hier, bis es … mir ein wenig … besser geht.“

      Nikos ging vor dem Fremden in die Hocke.

      „Bist du etwa alleine gereist? Wo kommst du denn her?“

      Der Mann holte tief Luft.

      „Ich würde dir schon erlauben, dich hier weiter auszuruhen, aber das ist nicht mein Garten. Und du solltest auch nicht allein hier bleiben. – Kynthia, hol Demetrios. Um die Zeit müsste er schon zu Hause sein, um dort Patienten zu empfangen.“ Er wandte sich wieder dem Mann zu. „Mein Freund ist Arzt. Er wird dir helfen.“

      Der Fremde wollte sprechen, vermutlich widersprechen, brachte aber nur ein Stöhnen zustande.

      „Mach dir keine Sorgen“, sagte Nikos. „Er wird nichts dafür verlangen. Wie gesagter ist mein Freund. Er soll unbedingt nach dir sehen. Du kannst ja nicht einmal aufstehen und allein hier bleiben kannst du auch nicht. Ich warte bei dir.“

      Der Mann gab seinen Widerstand auf und sank wortlos wieder ins Gras.

      „Ich beeile mich“, sagte Kynthia leise, nahm die Schildkröte auf und drückte sie sich an die Brust. Der Gedanke, alleine mitten durch die Stadt zu laufen, behagte ihr nicht. Sie blieb unschlüssig stehen und starrte stumm vor sich hin. Nikos sah sie fragend an, und Kynthia lächelte verlegen.

      „Sehen wir uns nachher noch?“, fragte sie. Wenn Nikos mit seinem Freund Demetrios zusammentraf, konnte es gut sein, dass er mit ihm den Abend verbrachte, statt nach Hause zu kommen.

      „Mal sehen, wir müssen noch den Wagen abladen und vielleicht gehe ich noch mit Demetrios ins Bad. – Nun schmoll nicht. Immerhin kommt dein Mann dann wohl duftend nach Hause.“

      Kynthia warf einen letzten Blick auf den bedauernswerten Fremden, schüttelte ihre Enttäuschung ab und ging dann mit schnellen Schritten auf der gepflasterten Straße auf das Tor zu und unter dem Triumphbogen hindurch, auf dem der Sonnenwagen des Helios in der Sonne bronzen funkelte.

      Ein paar Augenblicke lang blieb sie noch stehen, beobachtete das rege Treiben auf dem Marktplatz, hörte den Händlern an den Ständen zu, die ihre Waren als die allerbesten anboten oder mit Kunden um Preise feilschten, beobachtete eine Gruppe von tratschenden Frauen in sehr schönen, sauberen Chitons in kräftigen Farben und dazu passenden Pallae in leichten, durchsichtigen Stoffen und ein paar Kinder, die Fangen spielten. Eine prächtige Sänfte schob sich ins Bild, getragen von acht Sklaven. Hinter den zugezogenen Vorhängen drang das Lachen einer Frau hervor. Der Anblick eines Mannes, der neben dem Stand eines Bäckers an einer Mauer lehnte und herzhaft in ein Stück Honigkuchen biss, erinnerte Kynthia daran, dass sie selbst hungrig war. Sicher spielte Leander zu Hause im Hof hinter der Werkstatt mit anderen Kindern, während die Sklavin Rubia das Essen für die Familie zubereitete. Rubia hatte sich schon um sie und Phaistos gekümmert, als sie Kinder waren, und jetzt kümmerte sie sich um Leander, wenn er von der Schule nach Hause kam und Kynthia noch in der Werkstatt oder im Laden arbeitete. Sie war schon ein paar Schritte gegangen, als ihr die Schildkröte wieder einfiel. Schnell machte sie kehrt und fand das Tier immer noch reglos auf dem Brunnenrand vor.

      Plötzlich kam es ihr albern vor, mit einer Schildkröte in der Hand die Agorá zu überqueren, und so hüllte sie das Tier in eine Falte ihrer Palla, sodass es genug Luft bekam, hielt es vor dem Bauch fest und wühlte sich mitten durch das frühabendliche Gedränge, an der nordwestlichen Stoa mit den dahinterliegenden Läden vorbei. Zwischen dem Tempel der Hera auf der linken Seite und der den Tempelbezirk des Apollon umgebenden Mauer auf der rechten hindurch ging sie, betrat dann eine enge Gasse, nun mit schneller klopfendem Herzen, wohl wissend, dass sie mit dem kürzesten Weg nicht den sichersten gewählt hatte.

      Selbst die Abendsonne schien diese fast über und über mit mehr oder weniger kunstvollen Wandmalereien verzierten Gemäuer zu scheuen, um deren Erhaltung sich niemand kümmerte. Überall saßen Bettler vor den Häusern, über ihr brüllten sich Nachbarn von einem baufälligen Balkon zum anderen an oder erzählten sich derbe Witze. Dort pinkelte ein Mann an eine Hauswand – wohl kaum seine eigene. Kynthia spürte ein scharfes Stechen in der Seite, lief aber dennoch weiter. Eine leicht bekleidete und stark geschminkte Frau stand mit verschränkten Armen an einer anderen Wand und pfiff eine Melodie, die sie sich anscheinend selbst ausdachte. Sie klang jedenfalls nicht nach einem richtigen Lied. Starrte die Frau sie an? Kynthia wagte nicht hinzusehen. Liebend gerne hätte sie sich die Palla tiefer ins Gesicht gezogen, aber sie hatte ja die Schildkröte hineingewickelt. Fiel sie wohl in der Menge auf? Sah es aus, als trüge sie etwas Wertvolles? Sie dachte kurz darüber nach, das Tier wieder auszuwickeln, damit jeder sehen konnte, dass es nicht so war, aber sie brachte es nicht über sich stehenzubleiben. Hätte sie doch nur die dumme Schildkröte nicht gesehen, dann hätte sie auch den Fremden nicht gefunden und wäre in Begleitung zweier Männer fröhlich unterhalb der Stadtmauer in Richtung Nordmarkt gezogen, nach Hause. Endlich kamen die Hauswände des Töpferviertels in Sicht, die sich zwar nicht sehr von denen in der Gasse unterschieden, aber ihr vertraut waren wie die Menschen, die hier wohnten, und so fasste sie endlich den Mut, stehen zu bleiben und durchzuatmen.

      „Gleich haben wir es geschafft“, sagte sie zu dem eingehüllten Panzer, ging dann schwer atmend weiter.

      „Mama!“

      „Was ist das?“, fragte er mit einem hoffnungsvollen Strahlen in den fast schwarzen Augen und zeigte auf das Bündel.

      Sie zwinkerte ihm zu. „Das möchtest du wohl gerne wissen. Komm, gehen wir nach oben, dann zeige ich es dir.“

      Leander lief ein paar Schritte voraus. Sie ging ihm nach, durch den mit Töpferwaren vollgestellten Laden hindurch und über die enge hölzerne Treppe hinter dem Laden in die Wohnung hinauf.

      * * *

      Zwei Tage später waren Kynthia und Nikos gerade dabei, Schüsseln im Regal zu stapeln, um Platz für neue zu schaffen, die sie gestern gebrannt hatten, als sie draußen vor dem Laden die Stimme von Demetrios hörten. Im nächsten Moment erschien sein volles Gesicht in der Tür.

      „Sei gegrüßt, mein Freund“, sagte Nikos und stellte