Автор: | Greg F. Gifune |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783958350885 |
müssten Sie mir das sagen können, Sie haben den Doktortitel!« Seth versuchte, seine beginnende Angst hinter einem süffisanten Lächeln zu verbergen. »Ich zumindest habe noch nie von so etwas gehört.« »Tatsächlich gibt es aber eine ganze Reihe von Störungen, die mit Dunkelheit in Verbindung stehen, und manche davon treten auch grundsätzlich nur nachts auf. Viele Menschen, auch Erwachsene, haben Angst vor der Dunkelheit, Seth.« »Es war mehr als nur Dunkelheit.« Sie schwieg für eine ganze Weile, als würde sie den Wahrheitsgehalt seiner Aussage abwägen. »Wäre es Ihrer Meinung nach zutreffend zu behaupten, dass die Vorfälle in Ihrer Vergangenheit – in Verbindung mit dem Tod Ihrer Eltern – die Grundlage für das bilden, was Ihnen jetzt im Kopf herumspukt?« Seth zuckte nervös. Seine Handflächen schwitzten bereits. »Ja.« »Und jetzt meinen Sie, es könnte eine Verbindung zwischen diesen aktuellen Träumen und Erinnerungen mit dem Urlaub geben, den Sie mit Raymond vor …« Sie legte eine kurze Pause ein, um auf ihren kleinen Notizblock zu schauen, »… einem Jahr gemacht haben?« »Ich glaube, dass es möglich ist. Ich habe Raymond seitdem nicht gesehen. Wir haben ein paarmal telefoniert, und einmal hat er mir einen Brief geschrieben. Ich mache mir seitdem Sorgen um ihn, ich – ich meine, ich mache mir eigentlich immer Sorgen um Raymond, er …« »Er hat Schwierigkeiten.« »Das ist noch milde ausgedrückt.« »Würden Sie mir gerne etwas über diesen Urlaub erzählen?« Seth schloss seine Augen; ein fruchtloser Versuch, die aufflackernden Bilder vom Gesicht seines Bruders in jener Nacht zu unterdrücken. »Es kam mir vor, als hätte er den Verstand verloren.« Er wartete einen Moment, bis die Worte ihre Wirkung getan hatten, und erinnerte sich selbst an die Abmachung, alle Vorkommnisse bezüglich Christy zu verschweigen. Sie hatten vereinbart, niemals jemandem davon zu erzählen, und er wollte sein Wort nicht brechen. »Wir waren nur einen Tag da, und nachts ist er aus der Hütte verschwunden, ohne jemals eine verständliche Erklärung dafür zu liefern. Es war gerade ein Schneesturm im Gange, den die Meteorologen eigentlich für später angekündigt hatten. Wir hatten das Ganze voll abgekriegt, und Raymond ist einfach da raus gegangen.« Als Antwort kam nur Schweigen, also fuhr Seth fort, und erzählte die Vorkommnisse jener Nacht, so weit es ging. Als er damit fertig war, fragte sie: »Meinen Sie, es könnte vernünftige Erklärungen für dieses Verhalten geben, Seth?« »Ja, ich – ich habe mir ja selbst schon einige zusammengereimt«, gab er zu, »aber nichts fühlt sich richtig an. Eigentlich fühlt sich gar nichts an dieser Nacht richtig oder echt an. Heute genau so wenig wie damals. Ich war nie in der Lage, dieses Gefühl loszuwerden. Im Laufe der Zeit ist es sogar schlimmer geworden.« »Meinen Sie, dass dadurch vielleicht Ihre schlimmen Kindheitserinnerungen wiedergekommen sind? Weil Ihr Bruder wieder nachts nach draußen gegangen ist, wie ein Kind, das vor Albträumen davon läuft?« »Ganz sicher.« Sie nickte leicht. »Lassen Sie uns einen Moment das Thema wechseln. Nach dem Tod Ihrer Eltern war Raymonds Leben von anhaltenden Problemen geprägt, aber bei Ihnen lief es gut.« »Ja, überwiegend schon.« »Bei Raymond wurde es aber nicht besser.« »Nein.« Ziemlich abrupt fragte sie: »Sind Sie in einer besonders religiösen Familie aufgewachsen?« »Nicht wirklich. Mein Vater war ein Hippie. Oder ein Ex-Hippie, schätze ich. Er hatte seine eigene Sicht auf alle Dinge, Religion eingeschlossen. Mutter Erde und so weiter.« Ein Moment des Nachdenkens verging, bevor er weiterredete. »Meine Mutter war katholisch erzogen worden, ist dann aber in ihren Zwanzigern zum Kongregationalismus übergetreten. Sie ist regelmäßig in die Kirche gegangen, hat im Chor gesungen und so weiter. Trotzdem habe ich sie nie als besonders religiös empfunden – eher als offen für Spirituelles. Sie hatte so eine Ausstrahlung für mich.« »Wie war das bei Ihnen und Raymond?« »Als ich klein war, spürte ich eine starke Verbindung zu Gott. Ich hatte einen fast unerschütterlichen Glauben. Aber als Erwachsener bin ich eher pragmatisch geworden. Raymond war hingegen immer sehr spirituell geprägt, damals wie heute.« »Sprechen Sie bitte weiter.« Seth lächelte gequält. »Unsere Großmutter, die Mutter unseres Vaters, war der einzige Teil unserer Großeltern, den wir kennengelernt haben. Die Eltern unserer Mutter waren schon sehr alt und sind gestorben, als Raymond und ich sehr klein waren. Ich kann mich leider nicht bewusst an sie erinnern. Unsere Nana war die religiöseste Person in der ganzen Familie, aber sie kam auch aus der alten Welt – Italien – und glaubte eine ganze Menge von diesem Hokuspokus. Sie und Ray waren immer sehr vertraut, viel mehr als ich es war. Ich fühlte mich damals stärker von klassischer Religion angezogen und ging gerne mit meiner Mutter in die Kirche. Nanas exzentrischer Glaube passte viel besser zu Raymond als zu mir. Sie sagte immer, er sei etwas Besonderes.« »Und was glauben Sie, hat sie damit gemeint?« »Vielleicht einfach nur, dass er ihren Blödsinn glaubt. Zumindest hörte er ihr zu. Aberglaube, Magie und so weiter.« Seth dachte einen Moment nach und sammelte seine Erinnerungen. »Nachdem Raymonds nächtliche Panikattacken aufgehört hatten, ist er noch introvertierter geworden, und das noch vor dem Tod unserer Eltern. Er hat sich benommen, als wüsste er irgendwas, als könnte er Dinge sehen, die sonst niemand sehen kann. Er hat manchmal gesagt, dass er Dinge wüsste, bevor sie passieren; dass ihn manchmal dunkle Vorahnungen plagten. Ich habe ihm das natürlich nicht geglaubt, und meine Skepsis muss er gespürt haben, da er mit mir nur sehr selten davon sprach. Nana war die Einzige, die ihn dazu ermutigt hat, und manchmal dachte ich, dass das Rays Probleme noch schlimmer gemacht hat. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vor sich ging, aber es war sicher so einiges.« »Gute oder schlechte Dinge?« »Beunruhigende Dinge.« »Hatte es Raymond als Kind schwer deswegen?«, fragte sie. »Mal ganz abgesehen von den eigentlichen Panikattacken.« »Ja.« Ein Schauer aus Schuldgefühlen durchfuhr ihn. »Er war ein komisches Kind, immer ein Außenseiter, er hatte kaum Freunde. Ich meine, ich war schon nicht sehr beliebt, habe nie zu den angesagten Leuten gehört, aber für Ray war es noch um einiges schlimmer. Es war traurig, aber er war so anders als alle anderen, dass er immer herausstach. Die Grundschule war schon nicht einfach, aber auf der Highschool wurde es dann extrem schwierig. Sie dachten, er hätte Lernschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsdefizite, weil er immer so abwesend schien. Raymond konnte direkt vor einem sitzen, aber manchmal schien es, als wäre er Millionen Meilen entfernt. So ist er heute noch manchmal.« »Und haben Raymonds Probleme in der Schule auch für Sie Konsequenzen gehabt, Seth?« Seth schloss die Augen und konzentrierte sich, bis sein Gehirn die Erinnerungen verdrängt hatte, mit denen er in diesem Moment nicht konfrontiert werden wollte. »Es war hart«, sagte er. »Er war mein kleiner Bruder, was konnte ich schon machen? Aus irgendeinem Grund sah er immer zu mir auf, er wollte, dass ich für ihn da bin. Um auf ihn aufzupassen und ihn im Extremfall zu verteidigen.« »Und, haben Sie das gemacht?« Eine weitere Welle von Schuldgefühlen überkam ihn, diesmal so heftig, dass ihm fast schwindelig wurde. »Irgendwann hat Ray gelernt, alleine seinen Mann zu stehen, aber er hat es übertrieben. Er geriet in Schlägereien, nahm Drogen und trank zu viel.« »Was würden Sie sagen, welche Gefühle es bei Ihnen hervorgerufen hat, wie andere Menschen Raymond wahrnahmen?« »Sie dachten alle, er wäre ein Spinner, ein Verrückter, aber …« Seth brauchte einen Augenblick, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. »Für mich war es auch schwer. Vor allem, als wir noch jung waren. Ich stand immer unter dem Druck, alles richtig zu machen, nach ihm zu schauen, sein Verhalten zu erklären. Es ging immer um ihn.« Sie nickte. »Erzählen Sie mir mehr darüber.« Seth zuckte mit den Schultern, er fühlte sich bedrängt. »Es war einfach schon immer so. Ich schätze mal, wenn man jemanden mit Problemen in der Familie hat, dreht sich immer alles nur um diese Person. Alles steht irgendwie mit ihnen in Verbindung. Ich habe mich nicht nur für mein Leben verantwortlich gefühlt, sondern auch für das von Raymond. Und das wurde noch stärker, nachdem unsere Eltern umgekommen waren. Da war er dann wirklich verloren und hat sich zum ersten Mal von mir entfernt. Es klingt furchtbar, aber manchmal ist es leichter, von ihm getrennt zu sein. Das verschafft mir erst einmal Erleichterung, aber die hält nicht lange – denn dann bekomme ich deswegen Schuldgefühle.« »Hätten Sie denn mehr tun können, um ihm zu helfen? Und könnten Sie heute noch mehr tun?« »Man kann doch immer mehr tun.« »Empfinden Sie so?« »Ich habe große Schuldgefühle, wenn es um Ray geht.« »Warum Schuld?« »Auf eine Art habe ich ihn gehasst. Es hat mich wütend gemacht, dass er so war, wie er war … wie er ist. Aber egal, was ich tat, er schaute immer zu mir auf und benahm sich so, als könne er immer auf mich zählen.« »War das falsch?« »Teilweise.« »Haben Sie ihn denn jemals im Stich gelassen?« Seth schaute auf den Boden aber antwortete nicht. »Seth?« »Ich liebe meinen Bruder«, sagte er schließlich. Sie schaute ihn eine Weile prüfend an, bevor sie fortfuhr. »Haben Sie oder Ihr Bruder nach dem Tod Ihrer Eltern professionelle Hilfe in Anspruch