Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Schmitthenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642926
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da“, rief ihr Mann und sprang vom Pferd. Er wollte das Dirnchen in die Höhe heben, aber es schaute verlegen in seine Händchen hinein und wußte nicht wohin mit seinem Reichtum.

      „Komm!“ rief ein Bube und hielt eine Mütze unter.

      Das Mädchen schüttelte sein Schüsselchen aus. Dann wurde es zu der Frau hinaufgehoben, schlang seine Ärmchen um ihren Nacken und gab ihr einen langen, langen Kuß.

      Der Ritter dachte, es sei nun genug, und setzte die Kleine ab.

      Da rief Ursula: „Nun schaut, Kinder, was ich jetzt mache!“

      Sie beugte sich nieder, schlang ihre Arme um den Hals ihres Gatten, sagte zu ihm: „Du lieber, lieber Junker!“ und gab ihm einen langen, langen Kuß. Der wollte schier kein Ende nehmen.

      „Das ist schön!“ rief eines der Kinder. Ein andres rief: „Hui! Hui!“

      Endlich löste Ursula ihre Lippen von dem Mund ihres Mannes, hielt sie ihm an das Ohr und flüsterte:

      „Du bist nicht mehr der einzige lebendige Hirschhorn.“

      Da schwang er sein Barett und jauchzte: „Ursula!“

      „Ursula! Ursula!“ jubelten die Kinder hinter den Enteilenden her.

      Schweigend ritten die Gatten durch den verglimmenden Abend gen Hirschhorn zu.

      Als sie dem Dörflein Pleutersbach gegenüber waren, klang eine singende Männerstimme über den dunkel gewordenen Fluß. Sie hielten die Pferde und lauschten. Jedes Wort war zu verstehen:

      „Mein liebes Herz,

      Was ist mit dir?

      Auch du hast keine Ruhʼ

      Es quillt in dir,

      Es schwillt in dir,

      Es welkt und blüht,

      Es friert und glüht,

      Du bist bald traurig,

      Bist bald froh.

      Was ängstigt dich?

      Was quält dich so?

      Ach, was mir fehlt und was ich will,

      Und was mein Sinn und Wunsch und Ziel,

      Ich selber kann’s nicht sagen.

      Es preßt und engt,

      Treibt mich und drängt

      Ohn’ Rast und Ruh’;

      Weiß nicht wozu.

      Es müht mich und zieht mich;

      Weiß nicht wohin.

      6

      Noch ehe die rauhen Tage kamen, hatte die Übersiedlung von Hirschhorn nach Zwingenberg stattgefunden. Die Felsenburg war enger und unbequemer als das Herrenschloß. Schon lange hatten keine Frauen mehr in den Gemächern gehaust. Hundegekläff war in den Höfen daheim und im Treppenturm der plumpe Tritt der Knechte. Das alte Gemäuer wollte sich nicht recht schicken in die neue Art, die mit der Herrin einzog, es sah verdrossen aus in dem tiefen Herbstschatten, aus dem nur die Spitze des Bergfrieds in den Sonnenschein ragte, als ob es die rauhe Gesellschaft der früheren wilden Tage zurücksehne. Auch Ursula hatte Heimweh; sie sehnte sich zurück auf die sonnige Höhe, in deren Glanz sie den Brautschleier getragen hatte, und nach dem munteren Städtlein mit seinem Marktgewühl und seinem Glockengeläute. Sie war oft allein. Der Junker ritt alle vierzehn Tage nach Hirschhorn zum Gericht, auch sonst nicht selten zu Zusammenkünften mit den Vögten, Schultheißen und Amtleuten seiner Dörfer. Da war er immer den ganzen Tag weg von ihr, und manches Mal war Mitternacht vorüber, bis sie den Huf schlag seines Rosses unter der Burg vernahm. War er von Geschäften frei, so ging er aufs Weidwerk. In der ersten Zeit begleitete sie ihn mitunter, bald aber wurden ihr die Gebirgspfade zu steil und zu beschwerlich. Da wartete sie dann sehnsüchtig auf den Klang seines Hifthorns.

      Der Winter war unerfreulich. Ein rascher, hoher Schnee verschwand im Nu, wie er gekommen war, und dann strömte Woche um Woche unendlicher Regen herab. Aus den Höfen der Burg entwich die Nacht kaum am Mittag, die Wolken hingen schwer und dick über den Zinnen, und in den Gängen heulte der Wind. An diese finsteren Tage dachte sie aber mit ganz besonderer Freude zurück, denn da blieb ihr Gatte zu Haus. Des Tags über arbeitete er mit seinem Sekretarius in der Burgkanzlei und ritt ein wenig, wohlverwahrt in seinen Wolfspelz, nach Gerach hinauf. Aber am frühen Abend kehrte er zu seiner Gattin zurück. Da saßen sie beieinander vor dem warmen Kachelofen beim traulichen Ampellicht, und sie lasen miteinander in schöner Abwechslung Lutheri Kirchenpostille, die Chronik des Sleidanus und die lustigen Büchlein des Johann Fischart. Mit Freuden erkannte Ursula den überlegenen Geist ihres Gatten, seine reichen Kenntnisse und seine ehrenhafte Gesinnung.

      Aber heimisch wurde sie nicht auf Zwingenberg. Vor allem verlangte sie zurück nach ihrem Hirschhorner Schlafgemach. Wenn sie in ihrem Bette lag und auf das Rauschen des Wassers lauschte, das durch die Schlucht herniedertoste und das heisere Heulen der Bestien hörte, die sich bis unter die Fenster der Burg wagten, dann dachte sie an Leonhard und sehnte sich danach, wieder seine Klage zu hören und miteinzustimmen in den Ruf: „Mutter!“

      Als sie einmal ihrem Gatten hiervon redete, fragte er sie: „Ist dir die Erinnerung an deine erste Nacht auf Schloß Hirschhorn nicht ein unheimliches Ding?“

      „Im Gegenteil“, sagte sie, „die Erinnerung ist mir wert, und deine Burg ist mir dadurch ein heiliger Ort geworden.“

      Die Weissagung der Jäger, daß der heurige Winter kein Ende nehmen werde, erfüllte sich nicht. Der Frühling kam mit den ersten Tagen des März. In der Wolfsschlucht wurde es grün, und zwischen den aufsprießenden Veilchen blühten Anemonen. Ursula saß des Tages über viel in ihrer Kemenate mit erfahrenen Weibern aus dem Dorf und nähte Kindszeug. Die Gatten hatten beschlossen, in der Mitte des Monats nach Hirschhorn zurückzukehren, damit Ursula in den Tagen ihrer Niederkunft und ihrer Wochen Hilfe und Bequemlichkeit habe. Friedrich hatte sich vorgesetzt, den Einsiedler Leonhard vor der Übersiedlung seiner Gattin aus der Gegend zu entfernen, damit die Vergangenheit, der er entwichen war, mit dem Verschwinden des Einsiedlers endgültig abgetan sei.

      Es war ein lustiger Frühlingsmorgen, als er zu Ursula sagte: „Ich mache heute einen Pirschgang über das Gebirg nach Hirschhorn, und weißt du, was ich dir heute abend mitbringe? Deine Kutsche.“

      „Sie soll mir hochwillkommen sein!“ rief Ursula fröhlich.

      Von einem Wolfshunde begleitet, die geliebte Armbrust über der Schulter, sprang Friedrich die Schlucht hinunter. Ursula hörte das Rauschen im dürren Laub, und bald darauf empfing sie vom gegenüberliegenden Hang noch einmal das Bild des Geliebten und den Scheidegruß aus seinem Mund und von seiner Hand. Friedrich stieg auf die Höhe des Gebirges und hinunter in das Ittersbachtal, dann wieder hinauf auf den Kreuzberg und auf die hohe Warte und hinunter in das Tal des Gammelbachs und wieder auf die Höhe, immer durch Wald und Heide oder an frisch gerodetem Neubruch vorüber. Die Wanderung war herzerquickend. In der Nähe der Trümmer der Emichsburg schoß er einen Hasen. Er hing ihn über die Sdiulter und freute sich, denn nun hatte er etwas mitzubringen. In seinem Dörfchen Rothenberg machte er Mittag. Zuerst besuchte er seinen Hundemeister. Schon von weitem grüßte ihn das vielstimmige Gekläff. Sein Weidmannsherz lachte ihm im Leib. Der Wolfshund lief schweifwedelnd voraus und liebkoste stürmisch seinen früheren Wärter. Friedrich freute sich an seiner Meute. Dann besprach er mit dem Schultheißen dies und jenes und lud sich durch ein Büblein bei dem Ffarrherrn zu Gast. Es gab Pfannkuchen, junge Hühner und Ackersalat und köstliches Brunnenwasser. Von dem wackeren Mann ein Stück Weges geleitet, wanderte er nach Hainbrunn hinunter, dann hinauf auf den Dammberg und den steilen Hang hinab durch den jungen Eichwald in das liebliche Laxbachtal. Er stieg hinunter an das Bächlein, zog seine Stiefel aus und badete die ermüdeten Füße. Mit seinem Schuhwerk in der Hand ging er durchs Wasser hinüber auf das andre Ufer, zog die Stiefel an und stieg nun gemächlich durch den sprießenden Buchenwald, dessen Spitzen wie Morgenrot leuchteten. Er war nahe an seinem Ziel. Plötzlich rauschte es vor ihm, und aus dem Busch tauchte der, den er suchte.