Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Schmitthenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642926
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Gesicht sie zu ihren Worten gemacht habe. Aber er ließ es sein. Er konnte sich ihre Miene denken.

      Er reichte dem Meister zum Abschied die Hand, und als er allein war, warf er sich verdrießlich auf seinen Stuhl. Er hatte keine Freude an seiner Kutsche mehr.

      Nachdem er mit dem Bürgermeister und dem Pfarrer die Räume des ehemaligen Karmeliterklosters begangen hatte, das von einem seiner frommen Ahnherren um der Gebete der Mönche willen gestiftet und von einem andern ebenso frommen Vorfahr um der Werkgerechtigkeit der Mönche willen aufgehoben worden war, und nachdem er mit den beiden Männern beraten hatte, was zu geschehen habe, damit der Verwahrlosung und Baufälligkeit gewehrt, und, was noch nicht in Gebrauch genommen war, zu Nutz und Frommen gemeinen Wesens verwendet würde, verabschiedete er die beiden Männer angesichts der Kutsche, die zu besichtigen sie ihn bis in den oberen Hof geleitet hatten, und zog sich noch früh am Abend in das Schlafgemach zurück.

      Es war das erstemal, seit er aufgehört hatte, Junggeselle zu sein, daß er sich allein zur Ruhe begab. Wie ihm sein Weib fehlte! Wie er sich sehnte nach den kleinen Geräuschen, die ihm sonst Ursulas Anwesenheit in irgendeinem Winkel des großen Gemachs bekundeten. Er lauschte, als müsse ihr Gewand hinter ihm knistern und dann von ihrem Lager her das eigentümlich sanfte Fallen und Streichen ertönen, das ihr Kleid verursachte, wenn es über die Lehne des Stuhles gelegt wurde, und ihre Hand, wenn sie die Falten glattstrich. Oh, wie sie ihm fehlte! Wie ihm zum wenigsten dieses Gemach, vielleicht aber auch die ganze Welt so leer war ohne das geliebte Weib.

      Er las noch ein Kapitel in der Bibel, kniete an ihrem Bette nieder und betete für sie und für die Frucht ihres Leibes. Dann legte er sich nieder.

      Lange lag er in Gedanken an seine Frau. Dann fiel ihm ein, daß er nicht schlafen könne, und er fing an zu lauschen auf irgendein Geräusch. Es war totenstill in der Burg, im Wald, im Tal. Die Stille quälte ihn. „Sie läßt mich nicht einschlafen“, sagte er zu sich, „ich bin an das Rauschen in der Wolfsschlucht gewöhnt. Nun gut, so will ich mich freuen auf morgen nacht. Da höre ich neben mir ihren stillen Atemzug, der weht mir süßen Schlaf herüber.“ — „Schläfst du, Ursula?“ fragte er laut und gab sich selbst die Antwort: „Ich schlafe, aber mein Herz wacht.“ Er hob den Kopf und sah hinüber. Das Bett war leer und schimmerte wundersam wie ein träumendes Geheimnis. Da waren all die zarten Fäden des heranschleichenden Schlummers zerrissen. Friedrich war völlig wach, und er gedachte an die Ärgernisse des vergangenen Tages.

      Wie war ihm doch so völlig mißlungen, was er zu vollbringen gehofft hatte! Er wollte den Einsiedler entfernen, damit er nicht an die Wiege des neuen Geschlechtes die Gespenster der Vergangenheit rufe. Statt dessen lud er den gefürchteten Mann auf seine Burg ein und mühte sich im warmen Drange seines Herzens, ihn alsobald mitzunehmen. Auch dies war ihm mißraten. Alles war beim alten geblieben, nur war es härter, schlimmer, feindseliger denn zuvor. — Und dann die Kutsche! Wie hatte er sich darauf gefreut, in diesem seltenen, stolzen Gefährt die Mutter seiner Kinder in das alte Geschlechterhaus zurückzuführen, und nun hatte jenes entsetzliche Weib ihre stillen Flüche um die Räder gewickelt und hinter die Kissen versteckt.

      Friedrich schlug Licht, entzündete die Kerze und las noch ein Kapitel in der Bibel. Es waren die tapferen Worte des Apostels Paulus, in deren Verlaufes heißt: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ Er löschte das Licht und lag eine Weile mit gefalteten Händen.

      „Ich soll diese Nacht durchwachen, wie es scheint. Es wäre die dritte Nacht meines Lebens, wo mich der Schlaf völlig flieht.“

      Friedrich gedachte an die erste Nacht, da ihm solches widerfuhr. Es war die Nacht vom 25. auf den 26. März 1589. Er ritt mit Nikolaus am Abend nach Zwingenberg. Er trug ein Schwert an der Seite und war trunken. Unterwegs, zwischen Eberbach und Lindach, wurde er nüchtern, ritt dicht heran an den Knecht und fragte ihn: „Wer war die Frau? Warum haben wir ihr so getan?“ — „Schweig“, sagte der Knecht; „denk an deinen Eid.“ In der Nacht konnte er kein Auge schließen. Er sah immer, immer in die namenlose Angst der Augen und auf die hochgeschwungene Braue, unter deren stolzen Bogen so viel unsagbares Weh verzitterte. Bis lange nach Mitternacht wälzte er sich auf seinem Lager. Dann stand er auf, zog eilends seine Kleider an und schlich sich zu Nikolaus in dessen Kammer hinüber. Als er leise die Türe, die des Schlosses ermangelte, aufzog, stieß der Knecht einen Schrei des Entsetzens aus. Er saß entkleidet in seinem Bett. „Nikolaus, ich kann nicht schlafen.“ — „Ich auch nicht, Junker.“ Und nun zog auch er sich an, und sie gingen miteinander in die Burgkapelle. Als sie die schwere Tür öffneten, schlug ihnen eine Welle kalter, dumpfer Luft entgegen wie aus einer Kerkergruft. Da warfen sie die Türe wieder zu und gingen in die Wohnstube. Nikolaus zündete ein Licht an, und sie salten nebeneinander auf der Bank am eichenen Tisch. „Du mußt nicht daran denken“, sagte Nikolaus. „Du denkst ja selber daran“, erwiderte Friedrich. Nikolaus schlang seinen Arm um den Knaben und zog ihn an die Brust. „Ich bin ein leibeigener Knecht“, sagte er, „aber du bist der Erbe, du armer, armer Junker.“ — „So mußt du nicht reden.“ — „Weißt du was?“ fing Nikolaus wieder an, „wenn wir daran denken, und das wird, schätze ich, immer sein, wenn wir allein sind, und wir sind bis dahin gekommen, wo ..., dann stellen wir uns, als ob wir nimmer wüßten, was eine Mauer ist und ein Loch, und wir sagen zu uns selber: ‚Jetzt weiß ich nimmer weiter, kein Wortlein mehr, es ist gar nichts mehr da‘.“ — „Das ist klug“, flüsterte der Knabe. — „Gar nichts mehr als eine kahle Wand“, raunte der Knecht.

      — „Hör auf!“ schrie Friedrich und hielt sich die Augen zu. — So saßen sie beieinander, bis der Morgen graute. Das war die erste Nacht, die er durchwachte.

      Und die zweite? Das war die letzte Nacht des vorigen Jahrhunderts. Er hatte eine Weile an der Türe des alten Kirchleins von Handschuhsheim gelauscht und sich dann ein Herz gefaßt und war eingetreten. Vor dem Altäre lag sein Freund und Ohm Johann von Handschuhsheim auf der Bahre. Dahinter stand dessen Mutter, die Beußerin von Ingelheim, zwischen dem Kurfürsten und einem Geistlichen. Sie redeten auf die Frau ein, die rasend war vor Schmerz und Zorn. Die Kirche war angefüllt von Edelleuten und von Handschuhsheimer Bürgern und Frauen; die weinten und klagten zusammen um den letzten Sproß des edlen Hauses. Friedrich ging an der Bahre vorüber und warf einen schmerzvollen Blick auf seinen toten Freund. Dann beugte er rasch vor dem Kurfürsten das Knie und warf sich vor der Mutter nieder auf die Stufen des Altars. „Bei Gott“, sagte er, „es tut mir leid. Gern gäbe ich mein Leben zur Sühne.“ Da ballte die Frau beide Fäuste gegen ihn. „Zwingenberger, Zwingenb erger, du hast wie ein Schelm an meinem Sohn getan.“Er sprang auf und trat der Wütenden dicht unter die Augen. „So wahr ich ein Hirschhorn bin, das hab’ ich nicht getan. Er selber würde dich Lügen strafen, Muhme.“ Sie aber hob die Hände zum Gewölbe empor und fing an, den Totschläger ihres Sohnes zu verfluchen, so greulich, daß der Kurfürst zornig einmal und noch einmal abwehrte und endlich der Pfarrer die Erschöpfte hinwegführte. Friedrich hatte sich vor der Flut der Verwünschungen zu dem Erschlagenen geflüchtet und dessen Hand ergriffen, gleich als ob ihm der tote Sohn Eidhelfer und Beistand wäre gegen seine eigne Mutter. Dann ging er still zur Kirche hinaus, gefolgt von den Blicken der lautlosen Menge. Der Abend dämmerte. Er ging zum Dorf hinaus in den schweigenden Wald und wanderte über das Gebirge der väterlichen Burg zu. Eine Stunde vor Mitternacht kam er an eine einsame Mühle. Er ging hinein. Der Mahlbursch wachte. Er setzte sich zu ihm und half ihm beim Einschütten, wenn ein Mahlgang Hunger hatte. Vor Morgengrauen ging er weiter. Er war der erste, der dieses Tages an das Tor klopfte. Grußlos ging er in das Zimmer, warf sein Schwert auf den Boden und setzte sich schweigend an den Tisch. Das war die zweite Nacht, die er durchwachte.

      Und jetzt sollte dies die dritte sein? Noch war kein Hahnenschrei erschollen. Noch war ein Rest der Nacht über für den Schlummer, wenn er nur noch kommen wollte. Warum sollte er nicht schlafen? War er nicht um so vieles glücklicher als damals und damals? Morgen um diese Zeit liegt neben ihm sein schlummerndes Weib. „Ursula!“ flüsterte er leise und streichelte das Lager nebenan. „Ursula!“ — Da war der Schlaf gekommen und hatte ihn gefangen. Ihm träumte, er sei in die neue Kutsche hineingestiegen. „Du hast gerade noch gefehlt, jetzt los!“ sagte Ursula. Die ganze Kutsche war voll, aber er konnte nicht recht sehen, wer es war; es war Kopf an Kopf, aber die Gesichter verschwanden im Helldunkel und kamen wieder, er wußte nicht,