Ursula war nicht gerade erbaut durch die Anwesenheit ihrer Namensschwester. Mit einem Gemisch von Neugier und Widerwille sah sie die Dirne an, die nicht wußte, wie der Vater ihres Kindes hieß, weil er ihr zu schnell verbrannt war. Die Gesichtszüge stießen sie ab; auch die Art, wie das Mädchen ihr Kind liebkoste, hatte etwas Tierisches. Ursula ließ sich das Töchterchen herüberreichen. Sie wiegte es auf den Armen, und das Herz schwoll ihr bei dem Gedanken, daß sie nun selber bald ein solches Geschöpf ihr eigen nennen dürfe. Sie hob das Kind in das Licht und betrachtete sein Antlitz. Das Muttermal über der linken Braue schien gewachsen zu sein. Wie eine aufzüngelnde Flamme schlug es hinter den Augen empor. Das süße Gesichtchen bekam dadurch etwas Gewaltsames und Zerrissenes. ‚Wenn das Dirnlein zu Jahren kommt, werden sich die einen vor ihm fürchten‘, dachte Ursula, ‚den andern wird es das Herz verbrennen.‘
Und nun sann sie wieder nach über die Ursache des Males. War es der Feuerruf oder war es der Flammenschein? Eine große Angst kam über ihr Herz, denn sie wußte, daß jener Todesschrei, der sie aus den Armen ihres Gatten schleuderte, den innersten Kern ihres Lebens geschlagen hatte. Sie legte die Hand unter ihr Herz und schloß die Augen.
In fürchterlicher Weise wurde sie aus ihrem Sinnen und Träumen geweckt. Ein Schrei wurde ausgestoßen, worinnen sich Grauen und Jubel mischten. Dicht neben ihr. Es war die Dirne. Sie hatte ihr Kind in Ursulas Schoß geworfen und klopfte an die Wagentüre und rüttelte an ihr. Ursula war bis ins Mark erschrocken. ‚Das ist der Tod, der geschrien hat, er verlangt nach meinem Kind‘. So fuhr es ihr durch den Sinn. Mit zitternden Händen umfaßte sie das fremde Kind und sah entsetzt das Gebaren des Mädchens, das außer sich schien vor Lust und Angst.
„Ich will hinaus, ich will hinaus“, schrie sie.
Die Kutsche hielt. Der Kutscher kletterte herunter und öffnete. Friedrich hielt die scheu werdenden Pferde. Kaum hatte sich die Türe ein wenig geöffnet, so stürmte Ursa hinaus mit solcher Gewalt, daß der Knecht in den Graben fiel, und sie lief wie ein Flüchtling, der um sein Leben rennt, den Weg zurück, einem Reiter nach, der an ihnen vorübergeritten war und in scharfem Gang die Straße dahintrabte. Einen Augenblick waren alle dergestalt bestürzt, daß sie sich verwundert anschauten oder der Dahinlaufenden tatenlos nachblickten. Friedrich hatte sich zuerst gefaßt. Er sprengte der Enteilenden nach, holte sie ein, faßte sie am Arm und führte das heulende, sich windende Mädchen zur Kutsche zurück. Der Reiter ritt davon, ohne sich um den Vorgang zu kümmern.
Alle schrien zu gleicher Zeit auf Ursa ein und begehrten Aufschluß.
„Er ist es, er ist es!“ schrie sie.
„Wer ist es?“
„Der Vater von meinem Kind, der in unserm Hause verbrannt ist.“
„Wen meinst du, den Reiter, der an uns vorüber ist?“
„Ja“, heulte sie. „Er ist es, er ist es.“
„Das ist nicht möglich“, sagte der Knecht, der die Kutsche führte. „Ich war selber dabei, wie man die verkohlte Leiche des Fremden gefunden hat.“
„Er sieht ihm ähnlich“, beruhigte sie Friedrich. „Aber du täuschst dich, Ursa.“
„Er hat mir den Namen gegeben. Ich will zu ihm. Laßt mich gehen.“
„Denk an dein Kind“, sagte Friedrich ernst.
„Was liegt mir an meinem Kind? Ich will zu meinem Kerl, ich will zu meinem Kerl.“
Es blieb nichts andres übrig, als die Ungebärdige in die Kutsche einzusperren. Sie setzte sich in einen Winkel und heulte vor sich hin. Ihr Kind rührte sie nicht mehr an. Ursula hielt das arme Wesen in ihrem Schoß. Sie beugte sich, angstvoll lauschend, darüber. Träne um Träne fiel auf das Flammenzeichen nieder. Kein Wort wurde in der Kutsche gesprochen.
Friedrich erkundigte sich derweilen nach dem Reiter.
„Er gehört zu dem Regiment Ottenburg“, sagte einer der Knechte. „Das Regiment sammelt sich in Mosbach. Nächster Tage soll es nach Holland reiten.“
Friedrich seufzte. „Als ob wir Überfluß an Menschen hätten. Wir gehen selber den schwersten Zeiten entgegen. Und da läßt der Kurfürst in pfälzischen Landen die Werbung zu für einen fremden Krieg. Was gehen uns die Spanier und die Niederländer an?“
Unmutig gab er seinem Roß die Sporen und ritt voraus, damit die Wohngemächer instand gesetzt seien, bis die Herrin käme.
Eine halbe Stunde nachdem er in den Burghof gesprengt war, rollte die Kutsche herein. Friedrich hob seine Gemahlin aus dem Wagen. Sie sah bleich aus und hatte einen ängstlichen Schein in den Augen. Sie flüsterte ihrem Gatten etwas ins Ohr. Sein Gesicht wurde ernst. Er schickte eine Magd hinunter in die Stadt zu der kleinen, behenden Frau in der hinteren Gasse. Die ganze Nacht hindurch brannten die Lichter in den Gängen und auf den Stiegen, in der Küche und in den Kammern, und das Feuer im Herd ging nicht aus. Es war ein merkwürdiges Türausundein, Treppaufundab, Gefrag und Geraune, Gewerb und Gemächte in der Burg.
Am frühen Morgen kam die alte Barbara, der die Zwingenberger Dirne mit ihrem Kind zur Obhut übergeben worden war, voller Bestürzung die Treppe herauf. Vor der Türe stieß sie mit einer Magd zusammen.
„Die Ursa ist in der Nacht entwichen“, sagte sie in hastiger Entrüstung „Das Kind hat sie dagelassen.“
„Was liegt uns daran“, erwiderte das Mädchen, und es fing zu weinen an. „Das eine Kind ist tot, das andre liegt im Sterben. Es sind zwei Knaben.“
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