Sie schüttelte den Kopf.
„Seine Schwester bin ich.“
„Wo ist dein Mann?“
„Ich habe keinen Mann.“
„Ach!“ rief Ursula und trat zurück. Sie versuchte eine strenge Miene zu machen. „Aber du wirst doch hoffentlich bald einen Mann bekommen? Dein Bräutigam wird dich doch heiraten?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
„Warum denn nicht?“
„Weil er tot ist.“
„Oh du Ärmste!“ rief Ursula, und sie setzte sich neben das junge Weib, um das holde Bild des trinkenden Kindes besser zu schauen.
„Seit wann ist er tot?“
„Seit dazumals.“
„Was meinst du damit?“
„Ha!“ sie lachte und beugte sich tiefer auf ihr Kind herab.
„Wer war er denn?“
„Ich weiß nicht.“
„War er von hier?“
„Nein.“
„Woher war er?“
„Ich weiß nicht.“
„Wie hieß er?“
„Ich weiß nicht.“
„Wie, du weißt das alles nicht?“
„Nein; er ist mir zu schnell verbrannt.“
„Verbrannt!“ rief Ursula entsetzt.
„Ja, als unser Haus verbrannt ist.“
„Da war er bei dir?“
„Freilich.“
„Zum erstenmal?“
Das Mädchen nickte mit dem Kopf.
„Seit wann hast du ihn gekannt?“
„Seit einer halben Stunde.“
„Du bist ein böser Balg!“ sagte Ursula entrüstet.
„Hast du genug, liebe Magd?“ plauderte das Mädchen in seinen Schoß hinein. „Willst ein bißchen ausruhen? Komm, komm, es ist noch Futter da!“
Der Edelfrau traten die Tränen in die Augen. Sie hatte Mitleid mit dem verwahrlosten Geschöpf.
„Wie konntest du nur so gottlos handeln?“ fragte sie mit ernstem, mildem Ton.
Das Mädchen schaute verwundert auf, wie wenn es nicht begriffe.
„Ich bin von der Wiese heimgegangen“, erzählte sie, „da kam er hinter mir her, und wir hatten unsern Spaß miteinander, und er gefiel mir so gut. Da nahm ich ihn mit. Als er bei mir war, schrie es ‚Feuer!‘ vor meiner Kammer. Alles stand in Flammen. Ich sprang hinaus und rettete mich. Er machte zu lang und fand die Türe nicht im Qualm und ist verbrannt.“
„Entsetzlich!“ sagte Ursula. Sie schüttelte den Kopf. Dies Mädchen war ihr ein Rätsel. „Und du kannst leben und lachen?“ fragte sie vorwurfsvoll.
„Ich habe mein Kind!“ sagte das Mädchen und lachte hellauf.
„Und vorher warst du brav?“
„Immer. Gott weiß es.“
„Und nachher?“
„An mich kommt keiner mehr heran“, sagte sie und warf trotzig den Kopf in die Höhe. „Wozu denn auch? Ich hab’ ja mein Kind, mein Kind!“
Sie flüsterte es, aber jubelte dabei.
Ursula traten die Tränen in die Augen.
„Zeig mir dein Kind.“
Die Kleine war eingeschlafen. Sie kugelte auf den Rücken und lag in der Mutter Schoß. Es war ein herziges Dirnchen. Aber wie erschrak Ursula, als sie ins Gesichtchen schaute. Über dem rechten Auge hatte das Kind ein Muttermal. Es war eine rote, gezackte Flamme, die von unten nach oben emporschlug, über die ganze Stirne hinauf.
„Der Feuerruf hat mein Kind gezeichnet“, sagte das Mädchen.
„Nein“, erwiderte Ursula heftig, „der Flammenschein.“
„Das muß ich am besten wissen“, sagte die Dirne und wurde blutrot. „Der Feuerruf vor meiner Kammertür ist es gewesen.“
Ursula lehnte sich zurück und schloß die Augen. Sie nahm ihren Kopf zwischen beide Hände und verzog schmerzlich den Mund. Derweilen tändelte das Mädchen mit dem Kinde. Nach einer Weile fing Ursula an:
„Stell dir einmal vor — wie heißest du doch?“
„Ursa.“
„Ursa?“
„Eigentlich Ursula.“
Die Edelfrau zog die Brauen zusammen.
„Aber er hat gesagt, ich müßte eigentlich Ursa heißen.“
„Weißt du, was Ursa heißt?“
„Ja. Von ihm. Die Bärin.“
Das Mädchen lachte hellauf.
„Also, Ursa, stelle dir einmal vor, dein Bruder, der Lips, den du liebhast“ — die Dirne nickte mit dem Kopfe — , „der Lips wäre in jenem Augenblick ertrunken und du hättest statt des Feuerrufs deines Bruders Todesschrei gehört, was wäre dann mit deinem Kinde geschehen?“
„Dann hätte meines Bruders Todesruf mein Kind gezeichnet.“
„Wie ist ein Kind, das also gezeichnet ist?“ fragte Ursula leise.
„Was weiß ich?“ rief das Mädchen.
„Ach, da bist du ja“, rief der Junker in diesem Augenblick. „Welch holdes Bild! Hier willst du mir künden, was du mir Köstliches vorbehalten hast? Es gibt keine heiligere Stätte.“
„Nein, hier nicht“, sagte Ursula hastig. „Draußen, wenn wir alleine sind. Wir wollen fort. Zu Pferd!“
Friedrich folgte kopfschüttelnd seiner vorauseilenden Gattin nach.
Die Sonne schickte sich zum Untergang, als die beiden Gatten nebeneinander durch Lindach trabten. Die Straße leuchtete vor ihnen wie Gold, und der Neckar dichtete im Dahinfluten ein wunderbares Gedicht von Erdenherrlichkeit und Himmelsglanz.
An dem letzten Hause von Lindach hielt eine große Kinderschar.
„Wir danken schön! Wir danken schön!“ riefen sie den Reitern entgegen.
Sie hielten ihre Rosse an.
„Die Kinder in Zwingenberg“, sagte der Junker zu den aufhorchenden Kindern, „die haben uns ein gar schönes Lied gesungen: ‚Mit Jesu fang ich an, mit Jesu will ich enden.‘ Könnt ihr uns auch ein Lied singen?“
Die Kinder schwiegen. Endlich rief eines: „Wir können nur ein einziges gut; das singen wir, wenn man die Leut’ vergräbt.“
„Danke schön!“ lachte der Ritter.
Nun trat das Mägdlein vor, dem Ursula das Beutelchen gegeben hatte. Das Kind hatte aus beiden Händchen ein Schüsselchen gemacht, das war angefüllt mit Silberlingen.
„Zweiundvierzig Weißpfennige sind übriggeblieben“, sagte es. „Da!“
„Was machen wir nun damit?“ sagte Ursula. „Ich habe kein Beutelchen mehr. Weißt du was? Du bringst die Weißpfennige dem Schultheißen von Lindach und sagst ihm einen Gruß von mir und er solle den Lindacher Kindern Brezeln backen lassen, drauf und drein, bis das Geld alle ist.
„Das ist recht“, rief ein Knabe.
„Wenn