Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Schmitthenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642926
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auf einem schmalen grünen Weg an einem Bächlein hin. Rechts und links ging es den Berg hinauf. Mein Vater ritt voraus. Er war gerüstet, wie ich ihn nie gesehen hatte, mit Harnisch und Helm und hatte ein Schwert an der Seite. Vor sich hatte er meinen Bruder Leonhard auf dem Pferde. Hinter dem Vater ritt meine Mutter. Dann kam der Knecht. Auch er war gerüstet, und er trug mich an der Brust, in seinen Mantel gewickelt. Ich tat mir weh an seiner Harnischschnalle, wachte auf und weinte. Dann klagte ich über Hunger. Meine Mutter reichte eine Flasche her, die voller Milch war, und der Knecht ließ sein Pferd halten und tränkte mich. Die andern waren schon weit voraus. Auf einmal schleuderte der Knecht die Flasche weg und gab seinem Roß die Sporen. Bald hatte er die Vorausreitenden eingeholt und schrie: ‚Sie sind uns auf den Fersen!‘ Nun ritten wir drauflos, was die Pferde laufen konnten. Auf einmal riß meine Mutter ihr Pferd zur Seite, ließ es traben und schließlich im Schritt gehen und klagte und weinte, ich glaube nicht vor Angst, sondern vor Schmerzen. Du, wenn ich mir sie vorstelle, wie sie neben mir die Gartenstufen herunterging, während ich mich an ihrer Schürze festhielt, so vermute ich, daß sie damals hochschwanger war“

      „Ist dir dies gewiß?“ fragte Friedrich gedrückt.

      Ursula sah ihn forschend an.

      „Es hat mir ja nur geträumt“, sagt sie nach einer Weile.

      „Fahre fort.“

      „Wir waren über sie hinausgeschossen, kehrten aber um, als sie uns nicht nachkam, und ritten langsam zu ihr zurück. Im Nu waren die Verfolger da. Mein Vater und der Knecht zogen die Schwerter. Ich verkroch mich in den Mantel, aber ich hörte das Krachen und Dröhnen und das Sausen der Schwerthiebe. Ein Hieb hat mich verletzt; daher rührt die Narbe, die du kennst, nicht von einem Fall in ein Garteneisen, wie mir meine andre Mutter gesagt hat und wie du von mir vernommen hast.“

      „Wie viele waren es, die euch angegriffen haben?“

      „Ich habe ihnen entgegengeschaut, wie sie heransprengten. Sie hatten schwarze Gesichter und alte, rostige Rüstung und Wehr, solche, wie sie auch in unsern Speichern ungebraucht und abgetan beim Gerümpel lag und hing. Es waren ihrer viele.“

      „Mehr als acht?“

      „Sicherlich; etwa dreizehn oder fünfzehn.“

      Friedrich atmete auf.

      „Weiter!“ sagte er und wich einem Hühnlein aus.

      Sie waren an den ersten Hütten von Lindach angelangt.

      „Nachher“, erwiderte Ursula. „Jetzt bin ich die Frau des Herrn von Lindach.“

      Die meisten Bewohner des Dörfleins waren auf den Wiesen. Alte Leute saßen hier und dort vor den Häusern und hüteten die Kinder, die in den Höfen und auf der Straße spielten. Die Männer lüpften ihre Kappen und standen schwerfällig auf. Die Frauen hielten im Stricken inne und nickten grüßend mit dem Kopf. Man sah es den Leuten an, daß sie ihren Herrn gern hatten und die Herrin willkommen hießen, und Ursula schwoll das Herz.

      Das erste Kind, an dem sie vorüberritten, war ein hübscher kleiner Blondkopf von ungefähr sechs Jahren. Ursula ließ ihr Pferd halten, winkte das Kind zu sich heran und reichte ihm ein seidenes Beutelchen.

      „Da“, sagte sie, „funkelnagelneue Weißpfennige sind drinnen. Jedes Kind in Lindach bekommt einen. Willst du meine ehrliche Schaffnerin sein und alles schön austeilen?“

      Das Kind nickte ernsthaft mit dem Kopf.

      „Bekommen die kleinen Kinder auch?“ fragte das Mägdlein.

      „Allerdings, die Wickelkinder auch.“

      „Aber die großen Buben kriegen nichts?“

      „Nein, die großen Buben und die großen Mädchen, die schon bei der Herrschaft arbeiten —“

      „Aha, die vierzehnjährigen —“

      „Ja, die vierzehnjährigen, die bekommen von mir nichts, denen gibt der Herr etwas wie allen großen Leuten.“

      „So?“ lachte Friedrich.

      „Und wenn etwas übrigbleibt?“

      „Dann gibst du mir’s heute abend zurück. Wir reiten wieder durch Lindach, so um die Zeit, wenn die Sonne untergeht. Hast du alles gut verstanden?“

      Das Kind sagte ja und empfing in beide Hände das Beutelchen.

      Ein zwölfjähriger Knabe, der dem allen zugesehen hatte, wandte sich vor den Pferden um und sprang wie ein Schnelläufer, die nackten Beine hoch in die Luft werfend, auf der Straße hin gen Zwingenberg.

      „Wir werden angemeldet“, sagte Friedrich.

      „Wie weit ist es noch?“

      „In einer kleinen halben Stunde sind wir dort. Kommst du mit deiner Geschichte zu Ende?“

      „Ich bin sogleich fertig. Ich fahre fort, sobald wir das Dorf hinter uns haben.“

      „Dort kommt das letzte Haus.“

      „Nun also. Ich muß durch den Stoß betäubt worden sein, denn ich weiß nichts mehr. Als ich wieder zu mir kam, rauschte ein Strom. Der Knecht hatte mich auf dem Arm, das Pferd stand daneben. Wir waren auf einem großen breiten Brett. Es muß eine Fähre gewesen sein. Du, jetzt glaube ich ganz bestimmt, daß wir damals über den Neckar gefahren sind.“

      „Über den Neckar?“ rief Friedrich betroffen.

      „Ja. Die Berge waren gerade wie hier, unten grün und lustig, oben gelb und grämlich. Wir fuhren auf ein Städtlein zu, ich erinnere mich an Mauern und Türme.“

      „War ein Schloß auf dem Berge?“

      „Davon weiß ich nichts.“

      „Und dann?“

      „Ich weiß nichts andres mehr, als daß ich dann immer auf der Burg Kürnbach gewesen bin.“

      „So müßte jenes Städtchen Gmünd gewesen sein“, sagte der Junker.

      „Was geschah mit den andern?“

      „Ich weiß es nicht. Ich habe sie niemals wiedergesehen.“

      „Und der Knecht?“

      „Ich vermute, daß er in jenem Kampfe eine tödliche Wunde davongetragen hat. Denn ich erinnere mich noch, daß mich meine neue Mutter in eine Kammer brachte. Es war ein Bett an der Wand, darinnen lag der Knecht und hatte einen roten Kopf. Er begehrte, daß man mich zu ihm ins Bett lege. Das tat meine neue Mutter und weinte. Er rührte sich nicht, aber sah mich in einemfort an und lachte. Ich sehe noch heute seine weißen Zähne und seinen schwarzen Schnurrbart. Auf einmal schnappte er nach Luft und verdrehte die Augen und lag ganz stille da. Er sah so wunderlich aus, daß ich zu weinen anfing. Meine Muhme kam her, sah ihm ins Gesicht und erschrak. Dann nahm sie mich schleunigst aus dem Bett und trug mich zum Zimmer hinaus.“

      „Hast du nie etwas von deinen Eltern gehört?“

      „Gehört nie; aber gesehen habe ich sie an der Wand. Mein zweiter Vater hat sich von einem Maler aus Weilderstadt einen Stammbaum seines Hauses abschildern lassen in Gestalt einer großmächtigen Eiche. Du weißt, er war der letzte männliche Zweig des Geschlechtes. Seit er die Augen geschlossen hat, bin ich die einzige meines Stammes. Ganz oben am Ende der Baumkrone ist er gemalt als grüner Zweig, der in eine dürre Spitze ausläuft. Unter seinem Namen steht der seiner Gattin; ein einziges Blättchen entsprießt diesem Zweige, das bin ich. Daneben aber wächst noch ein anderer Zweig, ein jüngerer, aus dem elterlichen Holze heraus: das ist mein wirklicher Vater.“

      „Wie war sein Name?“

      „Otto von Sternenfels. Meine Mutter hieß Luitgard von Ehrenberg. Was ich da habe“ — Ursula fuhr sich mit der Hand über die Brauen und Augen — „das ist ehrenbergiseh.“

      „Die drei Sterne der Sternenfeise und der Sporn der Ehrenberge finden sich mehrmals in den Wappenschildern meiner Ahnfrauen; doch erzähle zu Ende.“

      „Nach