Luramos - Der letzte Drache. Carina Zacharias. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Zacharias
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960743767
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griff unter ihr Hemd und holte den blauen Stein hervor. Kühl lag er in ihrer Hand und sie betrachtete ihn eingehend. Erst nach einigen Herzschlägen wurde ihr bewusst, dass sie insgeheim darauf hoffte, dass er wieder in seinem blauen Licht erstrahlen und ihr vorausfliegen würde. Doch war dieser Gedanke wirklich so abwegig? Wie sonst sollte er ihr den Weg weisen? Sie wartete noch einen Augenblick, doch nichts geschah.

      „Nun komm schon!“, flüsterte sie, froh, dass niemand sie hören oder sehen konnte.

      Immer noch nichts.

      Seufzend ließ sie den Stein wieder unter ihr Hemd gleiten und bemühte sich, ihre wachsende Panik niederzukämpfen. Dann würde sie eben allein weitergehen. Vielleicht machte er sich ja erst bemerkbar, wenn sie falsch ging. Ralea sah sich kurz um und wandte sich dann zielsicher nach links, ging zwischen zwei mächtigen Bäumen hindurch, stieg über einen umgefallenen Baumstamm – und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Es war schon wieder passiert. Sie war einfach drauflos gegangen, ohne darüber nachzudenken. Unterbewusst hatte sie jedoch genau gewusst, dass sie richtig war.

      Nachdenklich zog das Mädchen noch einmal den Elfenstein hervor. Vielleicht war ja das seine Art, sie zu führen. Vielleicht geschah es durch seine Magie, mit der er ihr das Wissen oder das Gefühl für den richtigen Weg übermittelte. Sie war viel zu erleichtert über diese Erkenntnis, als dass es ihr hätte Angst machen können.

      Danach ließ sie es einfach geschehen. Sie hakte ihre Daumen unter die Riemen des Lederbeutels auf ihrem Rücken und bahnte sich mit der stummen Hilfe des Elfensteins zielsicher einen Weg durch den Wald. Sie fand sogar die Muße, zwischendurch ein paar Beeren oder Nüsse zu pflücken, die sie im Gehen aß, und die Schönheit um sie herum zu betrachten.

      Denn zu sehen gab es genug: Die Sonne fiel durch die Blätter über ihr und malte Muster aus goldenem Licht auf den Waldboden, die Wurzeln und das Moos. In den Ästen sangen Vögel und die Blätter rauschten im Wind. Nach und nach verflüchtigten sich ihre Ängste und ihre lähmende Beklemmung. Das mochte zum einen an der Elfenmagie liegen, doch zum größten Teil war das wohl der frischen Waldluft und der friedlichen Stille um sie her zu verdanken.

      Ralea merkte kaum, wie die Zeit verging. Erst als ihre Beine müde wurden und die Schatten dunkler, registrierte sie, dass es auf den Abend zu ging. Sie würde sich wohl bald ein Lager für die Nacht machen müssen. Als sie zwischendurch etwas getrunken hatte, hatte sie auch zwei Feuersteine in ihrem Beutel entdeckt. Trotzdem breitete sich bei dem Gedanken, die Nacht allein im dunklen Wald zubringen zu müssen, ein äußerst mulmiges Gefühl in ihrem Magen aus. Sie schob den Gedanken daran beiseite. Noch war es schließlich hell genug, um weiter zu wandern. Doch es wurde rasch dunkel und sie wusste, dass sie es nicht ewig vor sich herschieben konnte. Wahrscheinlich war es halb so wild. Sie würde sich einfach hier an diesen Baum setzen und ...

      Ralea wirbelte herum. Hatte da nicht gerade hinter ihr ein Ast geknackt? Sie kniff die Augen zusammen und spitzte die Ohren. Doch es war mittlerweile schon ziemlich düster und sie konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Außerdem war es wahrscheinlich sowieso nur ein Reh, das mehr Angst vor ihr hatte, als sie vor ...

      Schon wieder! Diesmal direkt vor ihr. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Bildete sie sich das alles nur ein oder hatte sie da gerade ein Schnaufen gehört? Ein rasselnder Atem, das Rascheln von Laub.

      Da war jemand. Ganz bestimmt! Und nicht nur einer. Es mussten mehrere sein. Ralea war unfähig, sich zu bewegen, war starr vor Schreck. Wer konnte das sein? Menschen aus ihrem Dorf? Vielleicht einige von denen, die sich nicht von Morgana hatten überzeugen lassen und immer noch an ihr zweifelten? So sehr, dass sie sie nun verfolgten und sie im Wald, weit ab vom Dorf, überwältigen und von ihrem Vorhaben abbringen wollten?

      Ohne Vorwarnung brach etwas vor Ralea aus dem Gebüsch und sprang auf sie zu. Sie sah nicht mehr als schmutzige graue Haut, Krallen, die durch die Luft wirbelten und nach ihr griffen. Und Augen. Schreckliche gelbe Augen ohne Pupille. Ralea stieß einen spitzen Schrei aus und rannte los, noch bevor diese Bestie wieder sicher auf ihren Beinen stand. Sie rannte, wie sie noch nie gerannt war. Äste schlugen ihr ins Gesicht und zerkratzten ihre Beine. Sie stolperte, schlug sich die Knie auf, rappelte sich wieder hoch, rannte weiter.

      Auf einmal hörte sie wieder diesen rasselnden Atem. Dieses Wesen war dicht hinter ihr. Gleich würde es sie eingeholt haben ... Und dann sprang tatsächlich eine weitere dieser Bestien direkt vor ihr aus dem Gebüsch. Diesmal blieb ihr der Schrei im Halse stecken. Diese schrecklich gelben Augen! Sie starrten sie an. Sollten sie das Letzte sein, was Ralea sah, bevor sie starb?

      Etwas sauste knapp an Raleas Kopf vorbei. Sie spürte den Luftzug auf der Haut. Die Bestie vor ihr heulte auf, doch Ralea nahm sich nicht die Zeit zu sehen, was passiert war. Sie warf sich zur Seite und rannte weiter. Ihre Kehle brannte und ihre Knie schmerzten, doch sie spürte es kaum. Sie hatte nur einen Gedanken im Kopf: Weg, weit weit weg von diesen Monstern!

      Wieder war ein Keuchen direkt neben ihr zu hören. Sie brauchte nicht nachzusehen, um zu wissen, dass mehrere der Bestien sie eingeholt hatten und auf gleicher Höhe mit ihr liefen. Ralea versuchte verzweifelt, ihr Tempo zu steigern, doch sie war zu erschöpft. Plötzlich brach sie aus dem Unterholz und stand inmitten einer kleinen runden Lichtung. Die verhältnismäßig weite Sicht an diesem Ort überraschte sie und sie geriet ins Stolpern. Der Beutel rutschte ihr von den Schultern und fiel zu Boden. Er enthielt ihr gesamtes Wasser und ihren Proviant, doch sie ließ ihn an Ort und Stelle liegen und rannte weiter, auf den gegenüberliegenden Rand der Lichtung zu.

      Aber ehe sie dort ankam, sprang eines der gelbäugigen Monster vor ihr aus dem Unterholz und fletschte die Zähne. Ralea sprang erschrocken zurück und lief in eine andere Richtung, doch auch dort sprang ihr eines der Biester entgegen und blieb fauchend stehen. Panisch drehte sie sich im Kreis und suchte nach einem Ausweg, doch überall standen sie, scharrten mit den Krallen und starrten sie an.

      Raleas eigener Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, auf einen Baum am Rande der Lichtung zu klettern, doch sie verwarf ihn noch im selben Moment.

      Es war aus.

      Sie hatte keine Chance.

      Sie würde ihr Dorf niemals wiedersehen! Ihre Eltern, Lora ...

      Die Bestie ihr gegenüber verzog den Mund zu einer Grimasse, die auf grauenhafte Weise an ein hämisches Grinsen erinnerte. Langsam kam sie auf sie zu, auch die anderen schlossen den Kreis um sie enger, kamen näher und näher ...

      Dann sirrte plötzlich etwas durch die Luft. Ralea nahm eine schnelle Bewegung am Rande ihres Blickfeldes wahr, dann noch eine. Zwei der Bestien ihr gegenüber heulten auf. Eine brach sofort zusammen und regte sich nicht mehr. Ein gefiederter Schaft ragte aus ihrer Schläfe. Die andere gab einen ohrenbetäubenden Schrei von sich, der auch die anderen Monster innehalten ließ. Die verwundete Bestie wälzte sich am Boden, sprang dann wieder auf die klauenbewehrten Füße und rannte blindlings los und in den Wald hinein. Die anderen schienen unschlüssig darüber zu sein, was sie tun sollten, und Ralea wagte es, einen verrückten Moment lang Hoffnung zu schöpfen, dass sich alles zum Guten wenden könnte.

      Doch dann kamen die Bestien auf sie zu. Schneller und schneller. Ralea wich zurück. Wieder flog etwas durch die Luft. Endlich erkannte sie, was es war: Drei Pfeile bohrten sich schnell hintereinander in die Bäume hinter den fünf verbliebenen Bestien. Diese zogen erschrocken die Köpfe ein. Sie schienen es nun doch mit der Angst zu tun zu bekommen. Als ein vierter Pfeil durch die Luft sirrte und eine der Bestien nur um Haaresbreite verfehlte, schrak diese zusammen und rannte schnurstracks zurück in den Wald. Drei weitere folgten ihr sofort und verschwanden im Dickicht. Die letzte jedoch zögerte. Einen Moment lang blieb sie ungerührt stehen und sah Ralea mit ihren blicklosen gelben Augen hasserfüllt an. Dann folgte auch sie dem Beispiel ihrer Artgenossen und rannte davon.

      Ralea sank auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie zitterte am ganzen Körper und schluchzte mit bebenden Schultern. Die Erleichterung vertrieb ihre Angst, selbst die Schmerzen in ihren aufgekratzten Beinen und Armen fühlten sich herrlich an, waren sie doch ein sicheres Zeichen dafür, dass sie noch am Leben war. Sie war sich so sicher gewesen, dass es vorbei war, und hatte