Luramos - Der letzte Drache. Carina Zacharias. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Zacharias
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960743767
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nickte. „Auf jeden Fall.“

      „Und genau das ist in Gefahr, wenn ich dich weiterhin allein und schutzlos durch die Gegend laufen lasse. Es wäre also nur vernünftig, wenn ich dich begleite. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass unsere Ahnen da einer Meinung mit mir wären.“ Er grinste triumphierend und verschlang schmatzend den Rest seiner Knarrwurzknolle.

      Ralea starrte nachdenklich vor sich hin. Das war allerdings ein schlagkräftiges Argument. Ihr war zwar immer noch nicht ganz klar, warum er so versessen darauf war, sie zu begleiten – denn das war er ja allem Anschein nach schon gewesen, bevor die Gnome sie überhaupt überfallen hatten – aber das war ihr im Moment auch egal. Sie war viel zu erleichtert, nun einen guten Grund zu haben, ihm gemeinsam gehen zu können – und natürlich war sie froh, jemanden zu haben, der sich verteidigen konnte, falls die Gnome wiederkamen.

      „Ich denke, du hast recht“, stimmte sie zu und gab sich Mühe, ihre Freude nicht allzu sehr zu zeigen.

      Tajo tat sich da keinen Zwang an. „Wunderbar!“, rief er laut. „Dann sind wir von nun an also Gefährten!“ Ralea lächelte schüchtern.

      Ohne ein weiteres Wort machten sie sich auf den Weg. Ralea knabberte beim Gehen an dem Rest ihrer Knarrwurzknolle und warf ihrem neuen Gefährten hin und wieder einen verstohlenen Blick aus dem Augenwinkel zu. Dieser schien sich nicht darüber zu wundern, dass Ralea intuitiv wusste, wo es lang ging.

      „Aber natürlich“, dachte sie, „er hat mich ja schließlich seit gestern Morgen beobachtet und sich wahrscheinlich seinen Teil gedacht.“

      Das Schweigen hielt nicht lange an. Schon nach kurzer Zeit fing Tajo zwanglos an zu reden. Er fragte sie alles Mögliche über die Menschen: „Wie baut ihr eure Häuser?“, „Welche Festtage kennt ihr?“, „Stimmt es, dass ihr Angst vor Bäumen habt?“, und hörte ihr dann mit solch ehrlichem Interesse zu, dass auch Ralea schließlich ihre ganze Scheu vor ihm verlor. Sie plapperte munter drauf los, erklärte ihm alles, so gut sie konnte, und traute sich später sogar, auch ihm ein paar Fragen zu stellen: „An welche Götter glaubt ihr?“

      Tajo sah sie überrascht an. „Wir glauben nicht an Götter.“

      „Nicht? Oh ...“ Ralea verstummte beschämt. Der Glaube an die Götter war für sie so selbstverständlich, dass sie überhaupt nicht darüber nachgedacht hatte, dass andere Völker keine Götter kennen könnten.

      „Wir glauben an ... wie könnte man das in deine Sprache übersetzen ... vielleicht mit: Naturgeister ...“, erklärte Tajo.

      Ralea forderte ihn stumm dazu auf, weiterzusprechen.

      „Überall gibt es diese Geister: in den Pflanzen, im Wasser, in der Luft, der Erde – ja sogar im Feuer und in den Sternen. Sie sind immer bei uns, doch sie greifen nicht in unser Leben ein, so wie es deine Götter tun. Sie sind bloß stumme Beobachter und sorgen dafür, dass die Elemente der Welt in Einklang miteinander stehen.“

      „Der Gedanke ist schön“, murmelte Ralea. „Und wie ist das mit den Elfen? Glauben sie auch an diese Naturgeister?“

      „Nein, soweit ich weiß, glauben sie weder an Götter noch an Geister.“

      Ralea machte große Augen. „Das heißt, sie glauben an gar nichts?“ Diese Vorstellung schockierte sie. „Wie erklären sie sich dann den Wechsel der Jahreszeiten? Oder ... die Erschaffung der Welt?“

      Tajo zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, bei ihnen gibt es viele Sagen und Mythen. Außerdem haben ihre Gelehrten die abenteuerlichsten Erklärungen. Aber Genaues kann ich dir dazu auch nicht sagen.“

      Ralea nickte nachdenklich. Ihr war es nie in den Kopf gekommen, dass Baumlinge und Elfen keine Götter kennen könnten. Andere Götter vielleicht – aber gar keine?

      „Erzähl mir etwas über eure Götter“, bat Tajo.

      „Nun“, begann Ralea etwas unsicher unter dem Blick seiner grünen Augen. „Es gibt sieben verschiedene Götter, die jeweils für ein Gebiet zuständig sind, über das sie wachen. Zum Beispiel Ferenza, die Göttin der Fruchtbarkeit, oder Gorat, den Gott der Jagd.“

      „Wenn also jemand über lange Zeit hinweg viel Pech bei der Jagd gehabt hat, dann muss er zu Gorat beten?“

      „Oder ihm Opfergaben darbringen, um ihn milde zu stimmen. Ganz genau.“

      Auch Tajo wirkte nachdenklich. Ralea konnte ihm nicht ansehen, was er darüber dachte, doch ihr lag auch schon die nächste Frage auf der Zunge: „Stimmt es, dass ihr auf den Bäumen lebt?“

      „Ja, das stimmt.“ Tajo lächelte vor sich hin. „In den nördlicheren Wäldern sind die Bäume sehr viel höher und breiter als hier. Wir leben oben in ihren Kronen, die über die anderen Bäume hinausragen.“

      „Das heißt, ihr habt euch Baumhäuser gebaut“, sagte Ralea fasziniert.

      „Gebaut kann man es eigentlich nicht nennen“, erklärte Tajo. „Es stimmt, dass wir in einer Art Baumhaus leben, doch diese sind natürlich gewachsen. Die Bäume formen ihre Äste zu einem oder auch mehreren miteinander verbundenen Räumen. Die Wände bestehen zum größten Teil aus Blättern und sind erstaunlich robust gegenüber Wind und Regen. Natürlich müssen wir hin und wieder mit den entsprechenden Werkzeugen und Materialien nachhelfen, doch die meiste Arbeit macht der Baum selbst.“

      „Das ist ja unglaublich!“, rief Ralea. „Wie bringt ihr die Bäume dazu, so zu wachsen? Mit Magie?“

      „Oh nein!“ Tajo schüttelte entschieden den Kopf. „Mit Magie haben wir Baumlinge genauso wenig am Hut wie ihr Menschen. Nein, es ist viel einfacher: Wir bitten einfach.“

      Ralea stutzte. „Bitten? Wen denn?“

      „Na die Bäume!“ Tajo sah sie an, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt. „Wusstest du nicht, dass wir mit den Bäumen reden können?“

      Ralea sah ihr Gegenüber skeptisch an. „Nein“, sagte sie schließlich.

      „Du glaubst mir nicht.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung Tajos. Sein leicht enttäuschter Unterton machte Ralea ein schlechtes Gewissen.

      „Doch, ich glaube dir“, sagte sie, obwohl sie sich wirklich nicht ganz sicher war.

      „Mich wundert bloß, dass du das nicht wusstest“, meinte Tajo.

      „Die Menschen wissen herzlich wenig über euch“, sagte Ralea. Sie musste wieder an Tajos Behauptung denken, dass sich die Menschen für nichts außerhalb ihres Dorfes interessierten. „Schade eigentlich“, überlegte sie. „Wenn wir mehr über die Baumlinge wüssten, würden wir sie auch besser verstehen.“ Doch Raleas Wissensdurst war noch immer nicht gestillt. „Aber wie lebt ihr dort oben?“, fragte sie. „Und wie oft kommt ihr von den Bäumen runter?“

      Tajo schien sich über Raleas Neugier zu freuen und ihr ihre anfängliche Skepsis ihm gegenüber verziehen zu haben. „Die Bäume sind über Seilbrücken und Stege miteinander verbunden, sodass man dort oben große Strecken zurücklegen kann, ohne auf den Boden runter zu müssen. Einen Brunnen wie die Menschen haben wir beispielsweise nicht. Wir trinken das Regenwasser aus den trichterförmigen Blättern eines Baumes, der hier nicht vorkommt. Trotzdem kommen wir fast täglich von den Bäumen herunter, um zu jagen.“ Er grinste.

      Ralea schaute verträumt zu dem dichten Blätterdach über ihr. „Es muss wunderbar sein, dort oben zu leben“, seufzte sie.

      „Ja, das ist es wirklich.“ In Tajos grünen Augen lagen Stolz und Sehnsucht.

      Ralea nahm all ihren Mut zusammen und stellte die Frage, die ihr eigentlich schon den ganzen Tag auf der Zunge lag: „Warum bist du dann von dort weggegangen? Warum willst du mich unbedingt begleiten? Ich dachte, die Baumlinge würden so gut wie nie ihren Wald verlassen.“

      Eine Zeit lang antwortete Tajo nicht, sondern starrte nur vor sich hin. Schließlich sagte er leise und ein wenig traurig: