Luramos - Der letzte Drache. Carina Zacharias. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Zacharias
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960743767
Скачать книгу
war ja auch noch nicht fertig.“ Morgana sah unverwandt Ralea an, der ein wenig mulmig wurde unter dem eindringlichen Blick ihrer klugen Augen. „Der Elfenstein wird dich hinführen, doch nach dem Zauber ist seine Magie verbraucht. Es steht zwar nichts davon in dem Vertrag, doch wir müssen damit rechnen, dass er dich dann nicht mehr führen kann. Du musst also allein wieder dort herausfinden und dich dann immer nach Süden halten. Meinst du, du schaffst das?“

      Ralea nickte und rief sich den Kinderreim wieder ins Gedächtnis, den ihr Vater ihr vor Jahren einmal beigebracht hatte: „Im Osten geht die Sonne auf, im Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergeh’n, im Norden wird sie nie gesehen.“ Da bei ihnen im Dorf und noch dazu mitten im Wald nie die Notwendigkeit bestand, die Himmelsrichtungen zu kennen, bereitete ihr das Ganze etwas Bauchschmerzen, doch sie traute sich das durchaus zu. Was blieb ihr auch anderes übrig?

      „Und im Wald?“, fragte ihre Mutter, bestrebt einen schwachen Punkt in der Planung zu finden. „Wie findet sie allein durch den Wald?“

      „Sie wird nicht allein durch den Wald finden müssen. Nachdem ihre Aufgabe erfüllt ist, besteht nicht mehr die Notwendigkeit, dass sie allein reisen muss – so wie der Vertrag es vorschreibt. Die Baumlinge werden an der Grenze des Waldes zahlreiche Späher aufstellen, die sie empfangen und sicher nach Hause bringen werden.“

      Ralea konnte sich denken, dass ihre Mutter nicht begeistert von dieser Vorstellung war. Zwar entsprach die Geschichte von dem gemeinsamen Sieg, dem Vertrag und der Freundschaft der drei Völker Romaniens der Wahrheit, doch waren dreihundert Jahre eine lange Zeit ... In den vielen Jahren hatten sich alte Vorurteile über die Baumlinge und die Elfen längst wieder in den Köpfen der Menschen festgesetzt.

      So galten Baumlinge als wild und unzivilisiert und viele missbilligten ihre Art zu leben – wohlgemerkt, ohne wirklich zu wissen, wie sie lebten. Es war wenig bekannt über die Baumlinge, außer dass sie in den Wäldern hausten und gute Jäger waren. Ralea hatte erst selten welche zu Gesicht bekommen – sie machten manchmal Tauschgeschäfte mit den Menschen – doch sie hatte noch nie ein Wort mit einem von ihnen gewechselt. Trotzdem fand sie die Vorstellung wenigstens auf dem Rückweg eine Begleitung und Führer zu haben, sehr beruhigend.

      Morgana öffnete den Beutel, der immer noch neben dem Tisch stand, und förderte ein paar Lederstiefel zutage. „Die hier hatte der Schuster eigentlich für seinen Sohn gemacht, doch er hat sich bereit erklärt, sie dir zu überlassen.“ Sie schob sie Ralea zu, die überrascht die Augenbrauen hochzog. „Du wirst festes Schuhwerk brauchen“, erklärte Morgana auf Raleas ungläubigen Gesichtsausdruck hin.

      „Nein, das ist es nicht, was mich so überrascht.“ Ralea rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. „Mich wundert bloß, dass der Schuster ... na ja, gestern sah es so aus, als würden mich alle Leute hassen ...“

      „Oh, sie hassen dich nicht!“, sagte Morgana schnell. „Tatsächlich aber gibt es viele, die deinen Fähigkeiten misstrauen und eine erneute Wahl fordern. Andere behaupten, dass ein Mädchen dieser wichtigen Aufgabe nicht gewachsen ist. Doch ich habe mit ihnen geredet und konnte die meisten davon überzeugen, hinzunehmen, dass du die einzig mögliche Wahl bist und dass sie dich lieber unterstützen sollten.“

      „Wirklich?“ Sofort fühlte sich Ralea ein ganzes Stück besser.

      „Nun probier sie aber mal an. Es müsste ungefähr deine Größe sein.“ Morgana schob ihr die Stiefel über den Tisch zu und Ralea zog sie sogleich an. Tatsächlich passten sie erstaunlich gut. Man hätte sogar meinen können, sie wären eigens für sie angefertigt worden.

      „Und meine Kleider? Kann ich die anlassen?“ Ralea schaute an sich herab. Sie trug ein einfaches Leinenhemd und einen Rock, den sie rot eingefärbt hatte – ihre Lieblingsfarbe.

      „Selbstverständlich. Gibt es sonst noch etwas, das man klären müsste?“

      Ralea schluckte und spürte einen dicken Kloß im Hals. Sollte es etwa jetzt schon losgehen? Aber sie war noch nicht bereit! Am liebsten hätte sie darum gebeten, noch ein paar Tage zu warten, doch sie wusste, dass die Zeit drängt, und sie wollte ihre Angst nicht zeigen. Also schüttelte sie nur stumm den Kopf und vermied es, ihre Mutter anzusehen.

      Morgana nickte. „Gut. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich werde vor dem Haus auf dich warten.“ Sie erhob sich und verließ den Raum.

       Ein unangenehmes Schweigen entstand. Ralea sah angestrengt auf ihre neuen Stiefel. Ihre Eltern sollten sich also hier von ihr verabschieden. Vielleicht war das besser so. Draußen hätten ihnen zu viele Leute zugesehen. Und zwar nicht nur die Einwohner ihres Dorfes, auch die meisten, die wegen der Versammlung aus anderen Dörfern angereist waren, hatten hier übernachtet, um zu sehen, wie Ralea zu ihrer Reise aufbrechen würde.

      Erst als ein Stuhl über den Boden geschoben wurde, blickte Ralea auf. Ihre Mutter war aufgestanden. Die Tränen strömten ihrer lautlos über die Wangen, doch sie lächelte, als sie auf ihre Tochter zuging und sie in die Arme schloss. Ralea klammerte sich an sie und wünschte, sie könnte ebenfalls weinen. Doch ihre Tränen waren viel zu tief in ihr verankert, vielleicht hatte sie sie zu lange zurückgehalten.

      „Du weißt, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn du nicht gegangen wärst“, flüsterte Raleas Mutter. „Aber lass dich davon nicht zu sehr verunsichern. Das würde alles nur noch schwerer für dich machen. Ich mache mir einfach so schreckliche Sorgen, verstehst du? Aber das ist schließlich normal – ich bin immerhin deine Mutter!“

      Nun schluchzte sie doch und es zerriss Ralea das Herz. „Trotzdem bewundere ich deinen Mut. Das musst du mir glauben. Und ich bin“, sie löste sich von Ralea und sah ihr tief in die Augen, „ich bin unglaublich stolz auf dich. Ich weiß, dass du es schaffen kannst. Dass du es schaffen wirst! Du warst schon immer so stark und zielstrebig.“ Ihre Stimme erstarb und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht erneut schluchzen zu müssen.

      „Danke Mama ...“ Auch Ralea flüsterte. Hätte sie versucht, laut zu sprechen, hätte sie wahrscheinlich nicht mehr als ein Krächzen zustande gebracht. „Ich werde zurückkommen. Ich versprech’s.“ Allein der Gedanke, dass das kein Abschied für immer war, konnte den Schmerz ein wenig lindern.

      Nun stand auch ihr Vater auf. Zwar lächelte auch er, als er auf Ralea zuging, doch sie tatsächlich ein paar Tränen in seinen Augen glitzern, als ihre Mutter von ihr wegtrat und er sie in die Arme schloss. Ralea schmiegte sich an seine Brust, wie sie es auch in der Vergangenheit so oft schon getan hatte, und störte sich nicht daran, dass ihr Vater sie so fest drückte, dass ihr fast die Luft wegblieb.

      „Deine Mutter und ich glauben an dich“, sagte er. „Aber es ist wichtig, dass du auch an dich glaubst.“

      „Ich weiß“, flüsterte Ralea. Doch war sie sich nicht wirklich sicher, ob sie diese Stärke besaß. Der Vater hielt seine Tochter auf Armeslänge von sich entfernt und betrachtete sie ganz genau, als würde er erst jetzt erkennen, wie groß sein kleines Mädchen geworden war. „Du wirst in die Geschichte eingehen, stell dir vor! Bloß dumm, dass deine Alten wahrscheinlich nicht erwähnt werden ...“ Er zwinkerte ihr zu und Ralea musste gegen ihren Willen lächeln. „Nun aber auf mit dir!“ Bildete sie sich das nur ein oder hatte er sich gerade eine Träne weggewischt? Ralea konnte sich nicht erinnern, ihren Vater jemals weinen gesehen zu haben.

      Er trat von ihr weg und stellte sich neben seine Frau. Ralea nahm wie mechanisch den Beutel mit ihrem Proviant auf und schlang ihn sich auf den Rücken.

      „Wir werden in Gedanken immer bei dir sein!“, sagte ihre Mutter.

      Und ihr Vater fügte hinzu: „Es ist alles halb so wild. Jeder auf deinem Weg wird dir wohlgesinnt sein. Es geht schließlich um unser aller Heimat und Leben!“

      Ralea lächelte tapfer. Sie brauchte jedoch all ihre Beherrschung, um sich davon abzuhalten, gleich noch einmal zurückzulaufen und sich ihren Eltern in die Arme zu werfen. Sie standen ganz dicht beieinander und hatten die Hände ineinander verschränkt. Ohne diesen Anblick und die Gewissheit, dass sie sich gegenseitig Halt und Trost spenden konnten, hätte Ralea es