Luramos - Der letzte Drache. Carina Zacharias. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Zacharias
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960743767
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Drache herumtrieb, um die Elfen wenigstens zu warnen.

      Wenige Tage später wurde es zur Gewissheit: Ein gewaltiger glutroter Drache, der selbst unter seinesgleichen ein Riese war, tötete mehrere Elfen und warf ihre leblosen Körper durch die Luft, nur um sie später an Ort und Stelle liegen zu lassen. Und er wurde immer angriffslustiger. Bald schon ließen sich seine Opfer nicht mehr zählen und die Elfen gerieten in heillose Panik. Keiner konnte sich das Verhalten des Drachen erklären. Hatte die Schwarze Magie der Magier ihn wegen seiner gewaltigen Größe vielleicht nicht töten können, ihm dafür aber den Verstand geraubt? Oder war er von dem plötzlichen Verschwinden seiner Artgenossen einfach so verwirrt, dass er auf alles losging, das ihm in die Quere kam? Gab er den Elfen vielleicht sogar die Schuld daran?

      Wieder war es Koras, der die Elfen vor ihrem Untergang bewahrte. Er erkannte, dass sie, geschwächt wie sie waren, nicht erneut gegen einen solch mächtigen Gegner antreten konnten. Und der Elfenstein hatte in der kurzen Zeit noch nicht genug Magie aufladen können, um den Drachen unschädlich machen zu können. Der junge König tat das, wofür sein Vorgänger zu stolz gewesen war: Er bat die Menschen und die Baumlinge um Hilfe. Es war das erste Mal, dass sich die drei Völker Romaniens vereinten. Zwar hatten sie bisher keine Kriege untereinander geführt, aber es war stets so gewesen, als hätten sie sich gegenseitig einfach nicht wahrgenommen. Wie Nachbarn, die man nicht besonders mag, die man aber akzeptiert und in Ruhe lässt.

      Koras schickte Boten zu diesen Nachbarn aus und sie kamen tatsächlich mit so vielen Vertretern, wie sie aufbieten konnten. Es gab eine kurze Versammlung, in der Koras eine bewegende Rede darüber hielt, dass sich die Völker vereinen müssten und nie mehr verlieren dürften und dass sie zusammen diesen letzten großen Feind besiegen würden. Die Elfen bewiesen wahre Größe: Sie hatten beschlossen, den Drachen nicht etwa niederzumetzeln, sondern – mit der wenigen Kraft, die der Elfenstein inzwischen wieder besaß – mit einem Schlafzauber zu belegen. Sie brachten es nicht übers Herz, den letzten ihrer Brüder auch noch umzubringen, und wenn er noch so schrecklich unter ihnen gewütet hatte.

      Am Ende eines verlustreichen, aber taktisch klug geführten Kampfes gelang es den Elfen, Menschen und Baumlingen tatsächlich den Drachen in eine Höhle zu treiben und einzuschläfern. Koras selbst soll es gewesen sein, der dem Drachen todesmutig auf den Rücken kletterte, ihm den Elfenstein an die Schläfe hielt und die magischen Worte sprach. Daraufhin hielt der Drache inne, blinzelte ein paar Mal, als wüsste er nicht mehr, wie er hergekommen war und was er eigentlich hier wollte, und fiel schließlich einfach um. Noch einmal zuckten seine Lefzen, als sich Koras unter seinem Hals hervorkämpfte, dann erschlafften seine Muskeln und er regte sich nicht mehr.

      Ein paar Herzschläge lang war es totenstill in der Höhle. Dann brachen die Kämpfenden in lautes Jubelgeschrei aus. Es wurde gelacht, gesungen und sogar getanzt vor Freude über den so plötzlichen und unerwarteten Sieg. Koras wurde als Held gefeiert, die Verletzten wurden versorgt und einige der Überlebenden schritten vorsichtig an den schlafenden Drachen heran. Sie hatten Angst, er könnte auf einmal aufspringen und sich auf sie stürzten. Da legten sie ehrfürchtig eine Hand an seine blutroten Schuppen.

      Liebevoll nannten die Elfen ihn Luramos – das elfische Wort für Der letzte Drache – und prophezeiten, dass er dreihundert Jahre lang schlafen würde.“

      Als Morganas Stimme verstummte, fühlte sich Ralea, als würde sie aus einem Traum erwachen. Eben noch hatte sie mit Koras und seinen Kriegern in der Höhle neben dem schlafenden Drachen gefeiert, nun stand sie wieder auf dem überfüllten Marktplatz ihres Dorfes. Lora, die sich blinzelnd umsah, und auch den anderen Menschen um sie her schien es nicht anders zu ergehen. Ralea sah hoch zu der Bühne, auf der Morgana noch immer auf ihrem Stuhl saß, die Hände um den Gehstock in ihren Schoß gelegt und den Blick selbstbewusst auf die Menschen vor sich gerichtet. Noch einmal hob sie zu sprechen an: „Noch in derselben Nacht wurde ein Bündnis zwischen den drei Völkern geschlossen und der Elfenstein wurde in zwei Hälften geteilt. Alle dreihundert Jahre sollte ein wackerer Krieger eines der drei Völker mit einem Teil des Elfensteins losziehen, um Luramos, den letzten Drachen, erneut zu verzaubern und dreihundert weitere Jahre schlafen zu lassen, während die andere Hälfte im Besitz des Elfenkönigs blieb.“

      Morgana machte eine kurze Pause.

      „Nun ist das Ende dieser dreihundert Jahre nah. Es kann nicht mehr lange dauern, bis Luramos erwacht. Die Menschen sind das erste Volk, dem die Ehre zuteilwird, einen Krieger auszuwählen und auf die Reise zu schicken. All die Jahre lang wurde die eine Hälfte des Elfensteins in unserem Dorf aufbewahrt ...“

      Ein Raunen ging durch die Menge: Davon hatte niemand etwas gewusst. Ralea und Lora sahen sich überrascht an. Die ganze Zeit war der legendäre Elfenstein so nah gewesen und sie hatten nichts davon geahnt!

      Morgana musste ihre Stimme erheben, um das allgemeine Murmeln zu übertönen, doch es wurde schnell wieder ruhig, als sie fortfuhr: „... um nun den ersten Menschen zu erwählen, der losziehen wird, um Luramos zu verzaubern. Ich sehe viele Menschen vor mir stehen, die sich gerne diesen Titel erwerben würden: Alte und Junge, Männer und Frauen. Ich bewundere euren Mut, doch bin ich mir nicht sicher, ob euch allen klar ist, was ihr zu erwarten habt, falls die Wahl des Elfensteins auf euch fällt. Lasst euch einen gut gemeinten Rat von mir mitgeben und überdenkt eure Entscheidung noch einmal. Wenn die Wahl einmal getroffen wurde, gibt es kein Zurück mehr, doch noch könnt ihr es euch anders überlegen. Niemand wird euch deswegen einen Feigling schimpfen. Die Reise, die ihr antreten werdet, ist lang und beschwerlich. Der erste Teil ist zwar noch vergleichsweise einfach – ihr werdet die Wälder durchwandern und den Fluss überqueren müssen – doch niemand kann genau sagen, was euch auf dem langen Weg durch die Drachentod-Wüste erwarten wird. Auf jeden Fall aber wird der Durst euer ständiger Begleiter sein. Nur wenn ihr euch wirklich zutraut, alle Strapazen auszuhalten und eure Mission zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, solltet ihr hier vorne stehen bleiben.“ Morgana sah jedem Einzelnen, der hinter der Absperrung aus Stroh stand, für einen Moment tief in die Augen und einige schienen wirklich verunsichert zu sein. Doch keiner machte Anstalten über die Mauer zu klettern oder sich umzuentscheiden. Die Geschichtenerzählerin nickte bedächtig und drehte sich zu der Treppe um, die auf das Holzpodium führte. Dort stand ein kleiner Junge, der ein reich verziertes Holzkästchen in Händen trug und den Ralea vorher gar nicht wahrgenommen hatte.

      Die Geste Morganas schien sein Stichwort zu sein, denn nun stieg er hastig die Stufen hinauf. Der Dorfoberste erhob sich von seinem Stuhl in der Reihe hinten auf der Bühne und nahm das Kästchen entgegen. Dann stellte er sich neben Morgana, während der kleine Junge sich beeilte, wieder die Treppe herunterzulaufen. Langsam und bedächtig holte der Dorfoberste einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und suchte sich gezielt einen kleinen goldenen Schlüssel heraus, mit dem er nun – sich den gespannten Blicken, die auf ihm ruhten nur allzu bewusst – begann das Kästchen aufzuschließen.

      Ralea meinte sogar, ein leises Klicken hören zu können, als das Schloss aufsprang. Erst jetzt merkte sie, dass sie vor Aufregung die Luft angehalten hatte.

      Der Dorfoberste aber schien keine Eile zu verspüren. Erst steckte er gemütlich den dicken Schlüsselbund ein, bevor er eine seiner speckigen Hände an den Deckel des Kästchens legte und mit übertrieben feierlicher Stimme rief: „Elfenstein, erwähle den Menschen, der dir würdig erscheint, dich durch Romanien zu tragen, alle Hindernisse zu überwinden, alle Aufgaben zu bestehen und uns weitere dreihundert Jahre vor Luramos zu schützen!“ Dann öffnete er schwungvoll den Deckel des Kästchens.

      Aus seinem Inneren strömte blaues Licht, welches das Doppelkinn des überraschten Dorfobersten von unten erleuchtete. Ein Raunen ging durch die Menschenmenge. Lora griff nach Raleas Hand, ohne den Blick von dem Gesicht des Dorfobersten zu nehmen. Die Spannung in der Luft war zum Greifen und alle warteten gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde.

      Doch es passierte ... nichts.

      Der Dorfoberste schaute wie gebannt in das offene Kästchen und die Menschenmenge vor ihm wiederum starrte ihn an, brennend darauf, selbst zu sehen, von was dieses merkwürdige blaue Licht ausging. Allein Morgana schien sich diesem Zauber entziehen zu können. Sie saß unverändert auf ihrem Stuhl und schaute teilnahmslos geradeaus.

      Langsam