Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde. Natalka Sniadanko. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natalka Sniadanko
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709939451
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man auch auf Eier, Butter und Milch. Das verlangte vom Koch große Fantasie, denn er musste schmackhafte Fastenspeisen zubereiten.

      Einmal blieb Willy während des Abendgottesdienstes am Karfreitag hinter den anderen zurück und ging in der Menge verloren. Da es ihm unangenehm war, sich durch die Menge zu den Seinigen durchzuschlagen, blieb er einige Zeit bei den Kindern aus der Stadt stehen. Manche hatte er früher auf der Straße getroffen und erkannte sie jetzt wieder, andere waren so sorgfältig gebürstet und festlich gekleidet, dass sie nicht wiederzuerkennen waren. Als Willy gegen Ende des Gottesdienstes bemerkte, dass er nicht rechts auf der Männerseite stand, sondern links bei den Frauen und Kindern, errötete er. In diesem Augenblick schritt Don Antonio gemeinsam mit den anderen Priestern in violetten Gewändern die Altarstufen hinab, unter einem großen bestickten Baldachin trugen sie das Kreuz. Die Priester blieben bei der Familie des Erzherzogs stehen, dieser küsste das Kreuz, danach verließ die festliche Prozession – vorne die Priester, dahinter die Messbesucher mit brennenden Kerzen in der Hand – die Kirche und zog langsam durch die Straßen der Stadt zum Hauptplatz. Dort hatten sich viele Sommerfrischler versammelt, die eigens gekommen waren, um die ungewöhnliche Zeremonie zu sehen. Mehr als zwei Stunden lang bewegte sich die Kreuzprozession von einer Straße zur nächsten, von einer Kapelle zur anderen. Währenddessen brannten in jedem Fenster der Stadt zwei Kerzen.

      Zum Glück hatten die Eltern Willys Abwesenheit nicht bemerkt, und so gesellte er sich beim Verlassen der Kirche wieder zu ihnen, nur die Geschwister warfen ihm neugierige Blicke zu. Am Abend vor dem Einschlafen erzählte er ihnen, eine hübsche Italienerin habe ihn aus der Kirche gelockt und in einer schattigen Allee des Parks gezwungen, sie zu küssen. Seine Erzählung war so überzeugend, dass sogar Eleonora ihm glaubte. Doch am Ende verriet er sich selbst, weil er das Lachen nicht mehr zurückhalten konnte.

      Die Karfreitagszeremonie war der anstrengendste Teil der Osterfeierlichkeiten. Dagegen verlief der Sonntag locker und sorglos. Don Antonio und die anderen Priester der Stadt waren bei den Habsburgern zum Mittagessen eingeladen. Danach zogen die Kinder los, um Eier zu suchen. Die Erwachsenen hatten riesige, in buntes Papier verpackte Schokoladeneier mit teuren Geschenken darin im Garten versteckt.

      Am Ostersonntag zierten Teller mit bemalten Ostereiern die Festtagstafel, zwischen den Eiern lag dünn aufgeschnittener Schinken. Doch weder die Eier noch den Schinken aß man, denn sie wurden später an die Armen verteilt.

      Das größte Ereignis am Ostermontag war die alljährliche kleine Regatta, die von Karl Stephan organisiert und von allen Einheimischen verfolgt wurde.

      „Willst du dein Ei in Öl gebraten oder mit Speck?“, fragte Großmutter Sofia die kleine Halyna, während sie eine Zwiebel sorgfältig in halbe Ringe schnitt.

      Die Großmutter brachte Halyna bei, Zwiebel genau auf diese Weise zu schneiden: zuerst in die Hälfte, dann beide Hälften mit dem Anschnitt auf das Schneidbrett legen und in dünne Scheiben schneiden. Geduldig erklärte sie der kleinen Halyna, die Zwiebeldämpfe würden senkrecht nach oben steigen, beuge man sich beim Schneiden also etwas nach hinten, gelängen die brennenden Dämpfe nicht in die Augen, und man weine nicht. Genau so machte es die Großmutter, zusätzlich waren ihre Augen von einer Brille mit dicken Gläsern geschützt.

      Mutter machte es anders: Sie hielt die Zwiebel in der Hand, schnitt sie zuerst horizontal, dann vertikal ein paar Mal ein, um sie schließlich in möglichst kleine Würfel zu schneiden. Mutter beugte sich beim Zwiebelschneiden nicht nach hinten und weinte immer. Dabei lachte sie und meinte, das seien gute Tränen, weil sie die Tränengänge reinigten. Erst als Halyna größer war, gestand ihr die Mutter, dass sie das Zwiebelschneiden wegen dem brennenden Schmerz in den Augen immer gehasst habe, weshalb sie beim Kochen nach und nach weniger Zwiebel verwendete, bis sie völlig darauf verzichtete.

      „Hat Babuschka Aljona dir nicht erklärt, wie man Zwiebel schneidet, ohne dass die Augen brennen?“, fragte Halyna, überzeugt, dass alle Großmütter auf der Welt das geheime Wissen über das Zwiebelschneiden besaßen.

      „Babuschka Aljona war der Meinung, dass es gesund ist, manchmal zu weinen. Besonders beim Zwiebelschneiden“, lachte Mutter. „Selbst wenn ihr jemand gesagt hätte, dass sich das Weinen vermeiden lässt, hätte sie nicht darauf gehört, denn ihre Überzeugungen waren unerschütterlich. Das weißt du doch.“

      Halyna wusste es und sagte nichts.

      Babuschka Aljona und die Mutter schnitten Zwiebeln, Gurken, Tomaten und anderes Gemüse würfelig und gaben Dosenerbsen, Extrawurst und Mayonnaise dazu, was alle Salate – die an eine Art bunten Mischmasch erinnerten – gleich aussehen (und auch schmecken) ließ. Großmutter Sofia dagegen verwendete keine Mayonnaise, sie machte Salate mit Olivenöl, Knoblauch und mit einem Klecks Senf an und gab geschnittenes Basilikum oder Majoran dazu, die sie auf dem Fensterbrett zog. Sie mochte das Gemüse in größeren Stücken, nicht nur Zwiebel, sondern auch Gurke und Tomaten. Nicht einmal Salatblätter schnitt sie in feine Streifen, wie alle anderen sowjetischen Hausfrauen, sondern zerriss sie mit den Händen. Solche Salate bekam Halyna sonst nirgendwo.

      Großmutter Sofia gewöhnte sich nie daran, dass die Maschinen zum Schneiden von Schinken für immer aus den Läden des sowjetischen Lemberg verschwanden. Mit einem gewöhnlichen Messer konnte man Schinken niemals so dünn schneiden. Die Großmutter erzählte Halyna, dass sie als Kind immer mit der Mutter in den Laden von Qualbrun einkaufen gegangen war, wo sie um zehn Groschen fünf bis zehn Dekagramm aufgeschnittenen Schinken bekamen.

      „Milch wurde von der Milchfrau geliefert, die Butter kauften wir im Laden. Mutter brachte mir bei, nur die von ‚Maslosojus‘ mit einer Kleeblüte und den Buchstaben ‚MS‘ auf der Verpackung zu nehmen“, erzählte Großmutter Sofia. „Unsere Nachbarin war Polin und verlor nie ein gutes Wort über die Ukrainer, aber ihr Dienstmädchen ließ sie heimlich die Butter ‚mit der Kleeblüte‘ holen. Zu Hause wickelte sie die Butter in ein anderes Papier, die Originalverpackung zerriss sie in kleine Stückchen und warf sie weg. Zu jener Zeit gründeten alle irgendwelche Kooperativen. Manchmal Leute, von denen man es am wenigsten erwartete. ‚Maslosojus‘ wurde zum Beispiel von Ostap Nyschankiwskyj gegründet.“

      „Der das Weihnachtslied ‚Gott wird geboren‘ geschrieben hat?“, fragte Halyna verwundert.

      „Genau der“, antwortete die Großmutter. „Er war Komponist und Priester. Als er 1919 erschossen wurde, gab es Gerüchte, die Polen hätten ihn aus Eifersucht umgebracht, weil die Lebensmittel von ‚Maslosojus‘ so beliebt waren. Die Butter wurde nicht nur nach Krakau und Wien exportiert, sondern auch nach Australien und Palästina.“

      Großmutter Sofia wurde in dem Eckhaus geboren, das zu den „Realitäten“ – also zum privaten Eigentum – Stepan Lewynskyjs gehörte, des angesehenen Lemberger Arztes und Amateursängers. Das Haus lag in der Nähe des Parks, den Sofia ihr ganzes Leben lang Jesuiten-Garten nannte, selbst als er längst Kościuszko-Park hieß. Und ihre Straße blieb für die Großmutter stets die Sigmundstraße und wurde nicht zur Gogol-Straße.

      Im Jesuiten-Garten gab es einen Brunnen, der Sofia als Kind riesengroß erschien. In der Mitte des Brunnens war ein dünnes Rohr eingemauert, aus dem Wasser sprudelte. Die Kinder hielten das Rohr, das sie „Rurka“ nannten, der Reihe nach mit dem Finger zu, und das Wasser spritzte in alle Richtungen. Dabei brachen sie in Gelächter aus, verloren das Gleichgewicht und fielen ins Wasser. Sofia war vorsichtig und fiel nie in den Brunnen, trotzdem wurde ihre Kleidung jedes Mal nass. Wenn sie nach der Schule einen Abstecher in den Park machte, brachte sie ihren Schulranzen mit den Heften und Büchern, die ihre Mutter altmodisch „Bischki“ nannte, stets pitschnass nach Hause. Nur das Pennal mit den „Koh-i-noor“-Stiften und „Atlas“-Schreibfedern blieb manchmal trocken. Wenn Bronislawa danach die nassen Sachen des Mädchens ausräumte, murmelte sie immer eine ihrer geheimnisvollen und schrecklichen Drohungen:

      „Wenn du nicht folgst, musst du später nach Rio de Janeiro auswandern und dort als Wäscherin arbeiten. Die waschen dort in einem Brunnen auf dem schmutzigsten Platz der Stadt, auf dem überall halbverfaulte Hunde- und Katzenkadaver