WattenAngst. Andreas Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schmidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827184030
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mich fett, muss der Kohle gehabt haben“, tuschelte Petersen sichtlich beeindruckt. „Das ist mal ’ne Stube.“

      „Stube?“ Johannsen lachte. „Du untertreibst, Jan.“

      Wiebke blendete das Geplänkel ihrer Kollegen aus. Ihr Blick schweifte über die Einrichtung. Es gab ein Bücherregal, eine unfassbar große Wohnlandschaft, auf der sich unzählige Kissen und eine zerwühlte Wolldecke befanden. Davor ein niedriger Tisch, auf dem ein Kerzenhalter stand, zwei Gläser und die Flasche Wein, die Johannsen schon erwähnt hatte. Ein kleines Sideboard und an der Wand ein Flatscreen, der zu WM-Zeiten als Public-Viewing-tauglich durchgegangen wäre. Auf dem Boden lagen Kleidungsstücke, die davon zeugten, dass sich die beiden vor dem Attentat vergnügt hatten.

      Ein leises, metallisches Klackern lenkte Wiebkes Aufmerksamkeit auf die große Fensterfront. Scherben, soweit das Auge reichte, bedeckten den Parkettboden. Der Wind der nahen See wehte in den Raum, verfing sich in den Vorhängen und erzeugte ein leises Klackern. Wiebke war versucht, den Raum zu durchschreiten, an das Fenster zu treten, um einen Blick in die Tiefe zu wagen. Etwas hielt sie ab.

      So schloss sie die Augen und versuchte, sich vorzustellen, was kurz vor dem Attentat hier geschehen war.

      Ein Schäferstündchen zwischen Berger und seiner Geliebten. Wahrscheinlich in aller Heimlichkeit. Wiebke fragte sich, ob Bergers Frau wusste, dass er sich die Zeit mit einer anderen vertrieb. Hier, in ihrem Haus, in ihrem Refugium. Kurz dachte Wiebke an ihre eigene Beziehung. Sie wusste auch nicht, was Eike tat, wenn er mit der Band durch die Republik tourte. Sekundenlang legte sich ein schwerer Bleigürtel um ihre Brust. Wiebke atmete tief durch, verdrängte die privaten Sorgen um Eike und nahm einmal mehr den Duft nach chemischen Reinigungsmitteln wahr.

      Sie stellte sich vor, wie die beiden gestört worden waren. Was hatte die Zweisamkeit gestört?

      Hatte der Täter geklingelt? Hatte er sich an die Einfahrt gestellt und gerufen, bevor der Hund angeschlagen hatte?

      Berger war, von der Störung verunsichert, aufgestanden, um nach dem Rechten zu sehen. Natürlich hatte er wegen des Seitensprungs mit Annika Rüther ein schlechtes Gewissen. Womöglich hatte er befürchtet, dass seine Ehefrau früher als erwartet heimkehrte, um ihn hier in flagranti zu erwischen.

      Vielleicht konnte ihnen die Zeugin dazu später mehr berichten. Ich werde es herausfinden.

      Wiebke legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Es war, als würde sie die tragische Geschichte des Hauses inhalieren.

      Das Auftauchen von Hans Olaf Berger am Fenster des hell erleuchteten Wohnzimmers hier oben war für den Schützen die Gelegenheit gewesen, sein Opfer mit einem einzigen Schuss aus dem Verkehr zu ziehen. So eine Gelegenheit bot sich einem potenziellen Mörder kein zweites Mal.

      Oder hatte es zum Plan gehört, dass Berger sich an der großen Fensterfront zeigte und sich dem Schützen wie auf dem Silbertablett servierte?

      Fest stand, dass das Opfer seinen Peiniger im Dunkel der Nacht nicht hatte sehen können. Wiebke stellte sich vor, wie in der Dunkelheit das Mündungsfeuer aufblitzte, im nächsten Augenblick die Scheibe zerstört wurde und die Patrone Berger traf.

      Ein einziger Schuss, der Bergers Schicksal besiegelt hatte. Das Klirren der großen Scheibe musste die ganze Nachbarschaft geweckt haben. Wie also konnte der Schütze dann unerkannt entkommen?

      Ein Fahrzeug, das sich schnell vom Tatort entfernte, hätte von Nachbarn gesehen werden müssen. Oder war der Schütze zu Fuß gekommen – und versteckte sich noch in den Weiten der Salzwiesen? Wiebke hoffte, dass der Hubschrauber bald hier war, um die Gegend abzusuchen.

      „Träumst du?“, riss Petersens Stimme sie aus den Gedanken.

      Wiebke schlug die Augen auf und rang sich ein Lächeln ab. Dass ihr dabei das Blut ins Gesicht schoss, ließ sich nicht vermeiden. „Nein“, sagte sie. „Ich habe meditiert.“

      „Mach ich auch immer so, wenn ich einen Mörder suche“, behauptete Petersen bierernst und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Mal im Ernst, Wiebke: Ich glaube nicht an diesen esoterischen Scheiß.“

      „Ich hab auch nur nachgedacht, mir vorgestellt, wie es passiert sein könnte“, verteidigte sich Wiebke. Ihr Partner kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie sich gern in einen neuen Fall „einfühlte“, wie sie das nannte.

      „Hier hat er wohl gestanden“, mischte sich jetzt Piet Johannsen ein. Er stand an der Fensterfront und blickte sich zu den Kollegen um. „Seine Freundin anderthalb, vielleicht zwei Meter versetzt schräg hinter ihm. Ich könnte mir vorstellen, dass der Schütze sie gesehen hat.“

      „Und dann hat er nur ein einziges Mal geschossen?“, zweifelte Petersen. „Sie ist doch eine Zeugin und könnte uns die Hinweise liefern, die ihn zu Fall bringen. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie auch zu töten.“

      „Jo, schon. Auf der anderen Seite …“ Johannsen winkte Petersen zu sich. Zögernd durchschritt er den Raum. Bei jedem Schritt knirschten Glassplitter unter seinen Schuhen. „Guck mal raus, du Meisterschnüffler.“ Johannsen machte eine ausladende Geste.

      Jan Petersen blickte in die Nacht und runzelte die Stirn.

      „Ich sehe Krankenwagen, Peterwagen, Gaffer mit Smartphones …“

      „Weil die Kameraden vom Technischen Hilfswerk gerade eingetroffen sind und Scheinwerfer aufgestellt haben.“

      „Sicher.“

      „Kann man das abstellen?“, fragte Wiebke und trat neben die Männer. Der Nachtwind kühlte ihre erhitzte Stirn.

      Johannsen betrachtete sie mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck. „Wozu soll das gut sein?“

      „Ich will es so sehen, wie es Berger vor seinem Tod gesehen hat“, erwiderte Wiebke.

      „Tu, was sie sagt“, brummte Petersen.

      „Ich fass es nicht.“ Piet Johannsen zückte ein Funkgerät „Macht mal alles aus“, sprach er hinein. Es dauerte keine zwei Sekunden, und die leistungsstarken Scheinwerfer vor dem Haus erloschen. Gleichzeitig herrschte draußen eine gespenstische Stille, die nur vom Rattern der Stromaggregate überlagert wurde.

      „Und nu?“, fragte Petersen.

      „Sei leise“, bat Wiebke ihn. Sie blickte hinaus in die Nacht. Das Grundstück tauchte ins Schwarz ab, die Salzwiesen ließen sich nur erahnen, in der Ferne glaubte sie das Meer im schwachen Mondlicht glitzern zu sehen.

      „Du siehst nichts da draußen“, murmelte Wiebke.

      „Ist ja auch dunkel wie im Bärenarsch.“

      „Manchmal bist du echt anstrengend, Jan.“ Wiebke betrachtete ihren Partner mit vorwurfsvollem Blick. „Guck selber raus – wenn da einer steht und eine Kanone auf dich hält, den siehst du nicht!“

      Petersen folgte ihrer ausgestreckten Hand und zog die Mundwinkel nach unten. „Nee, da muss sich der Typ nicht großartig verstecken.“

      „Die Aufzeichnung der Überwachungskameras habt ihr morgen früh auf dem Schreibtisch“, mischte sich Johannsen ein.

      „Wann?“ Petersen blickte sich mit erhobener Augenbraue zu ihm um.

      „In drei, vier Stunden“, verbesserte sich der Kriminaltechniker schnell. „Die Festplatte mit den Aufzeichnungen habe ich schon sichergestellt.“

      „So ist’s brav“, grinste Petersen. „Also“, sagte er dann zu Wiebke. „Worauf willst du hinaus, Mädchen?“

      „Dass der Schütze keine Angst haben musste, erkannt zu werden. Es war dunkel, als er geschossen hat. Und ich bin mir sicher, dass er es ausschließlich auf Hans Olaf Berger abgesehen hatte.“

      „Und?“

      „Nichts – und. Das ist Stand der Dinge. Berger war das gesuchte – und gefundene – Opfer. Der Killer kam, tötete ihn und verschwand in der Nacht.“

      „Also