WattenAngst. Andreas Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schmidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827184030
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nicht verhindern, dass er sich auf dem Fußboden im Flur übergab.

      ZWEI

      Ostenfeld, 1.35 Uhr

      Sie hatte schlecht geschlafen. Die Sache mit Eike machte Wiebke seit Wochen schon zu schaffen. Ihr Freund war als Frontmann der Band „Sleepless“ auf Deutschlandtournee und meldete sich seit Tagen nicht bei ihr. Auch ihre vergeblichen Anrufe und Wiebkes Textnachrichten ignorierte er hartnäckig. Gäbe es nicht das Profil seiner Band auf Facebook, Wiebke würde sich ernsthafte Sorgen machen, ob er überhaupt noch lebte. Seit einigen Monaten schon führten sie eine dieser „On/Off“-Beziehungen. Immer, wenn Eike bei ihr war, zeigte er sich als verständnisvoller, einfühlsamer Mann, als leidenschaftlicher Liebhaber, als guter Zuhörer und als bester Freund für die Kommissarin. Doch sobald er in den Tourbus stieg, schien er in eine andere Welt einzutauchen. In die eines Rockstars, der nur für die Bühne lebte und der kein Privatleben hatte. Wiebke wagte es nicht sich, auszumalen, was er nach den Auftritten im Hotelzimmer tat.

      Alles um sich herum, sein bürgerliches Leben, seine kleine Tochter, seine Freundin, all das ließ er vor dem Bus zurück. Einmal auf Tour, war Eike Godemann ein anderer Mensch.

      Wiebke war fast dankbar, als sie den Klingelton ihres Handys wahrnahm, der wie durch Watte an ihre Ohren drang und sie aus dem Halbschlaf weckte. Das Smartphone lag auf dem Ankleidestuhl neben dem Bett. Die Vibration des Akkus erinnerte Wiebke an eine wütende Hummel. Das Telefon wanderte über den Stuhl und drohte, zu Boden zu fallen.

      Schnell richtete sich Wiebke auf, sie gähnte herzhaft und spürte einen stechenden Kopfschmerz in der Stirn. Ihr war, als hätte sie einen dicken Kloß in ihrem Hals, ihre Stimmbänder und ihre Mandeln schmerzten.

      Oh nein, dachte sie. Eine Erkältung kann ich jetzt nicht gebrauchen.

      Schlaftrunken fischte sie nach dem Handy, warf einen Blick auf das Display und erkannte, dass es sich bei dem Anrufer um Jan Petersen handelte. Es hatte sicher nichts Gutes zu bedeuten, wenn ihr Kollege sie zu dieser Zeit anrief.

      „Moin“, sagte ihr Partner viel zu gut gelaunt, nachdem sie das Gespräch angenommen hatte. „Kannst dich flott aufhübschen und dann ausrücken. Wär nett, wenn du mich mitnimmst.“

      „Was ist passiert?“, krächzte Wiebke in den Hörer. Sie gähnte herzhaft und fuhr sich mit der freien Hand durch das Gesicht.

      „Mann Mädchen, ist alles gut bei dir? Du klingst, als hättest du eine Hafenkneipe leergetrunken.“ Petersen klang besorgt.

      „Na danke auch“, erwiderte sie heiser und räusperte sich. „Ich glaube, ich hab mir was eingefangen.“ Wieder räusperte sie sich. „Wie dem auch sei – solange ich den Kopf nicht unter dem Arm trage, bin ich ansprechbar. Also, was ist los?“

      „Es hat eine Schießerei draußen in Hockensbüll gegeben.“ Seine Stimme klang ebenfalls rau, was aber an zig Zigaretten und literweise Whisky lag – so klang es jedenfalls. Dabei trank er nicht. Auch das Rauchen hatte der geschiedene Endvierziger vor Jahren schon aufgegeben. Manchmal fragte Wiebke sich, was ihr Partner in seiner Freizeit trieb. Sie stellte fest, dass sie noch immer nicht viel von ihm wusste, und das, obwohl sie im Dienst Tag und Nacht zahlreiche Stunden Seite an Seite verbrachten.

      „So kann die Woche ja anfangen“, murmelte Wiebke schlaftrunken. Es war Montag. Hinter ihr lag ein ruhiges Wochenende, das sie einmal mehr ohne Eike verbracht hatte. Wiebke verdrängte die düsteren Gedanken und konzentrierte sich auf Jan Petersens Anruf. „Weiß man schon mehr?“

      „Mord. Ein Heckenschütze hat den Geschäftsführer der Messegesellschaft in seinem Haus erschossen.“

      „Ein Anschlag auf den Fürsten von Husum?“ Wiebke war auf der Stelle hellwach. „Hans Olaf Berger ist tot?“ Der Unternehmer war in Nordfriesland bekannt wie ein bunter Hund. Da ihm nachgesagt wurde, die Finger in allen Geschäften zu haben und dass seine Macht auch bis in die Politik reichte, bezeichnete man ihn als den „Fürst von Husum“.

      „Jo“, machte Petersen. „Berger ist am Fenster seiner Villa abgeknallt worden.“

      „Um diese Uhrzeit?“ Wiebke runzelte die Stirn. „Was gibt es da am Fenster zu sehen?“ Die rot glühenden Ziffern ihres Weckers zeigten, dass es fast zwei Uhr morgens war. Hinter dem Dachfenster ihres kleinen Schlafzimmers herrschte Dunkelheit, nicht einmal der Mond und Sterne hatten es in den letzten Stunden geschafft, die tief hängenden Wolken zu verdrängen.

      „Wann wäre es dir denn lieber?“ Petersen lachte. „Am helllichten Tage geschieht so etwas eher selten.“

      „Also ein gezieltes Attentat?“ Wiebke versuchte vergeblich, ihre Gedanken zu ordnen.

      „Klar. So was ist ja kein Zufall“, schnaubte Petersen.

      Wiebke begab sich durch den langen Flur ihrer Dachgeschosswohnung in Richtung Küche. „Sind die Flensburger schon im Boot?“

      „Die Kollegen von der Bezirkskriminalinspektion wissen Bescheid und sind im Anmarsch.“ Petersen räusperte sich. „Aber wenn du schnell bist, sind wir die Ersten, Mädchen.“

      „Ich bin immer schnell.“ Wiebke lächelte, was Petersen am anderen Ende der Leitung nicht sah. Sie klemmte das Telefon zwischen Schulter und Kinn und schaltete das Küchenlicht ein, um die Kaffeepadmaschine startklar zu machen. Sie rief sich in Erinnerung, was sie über das Mordopfer wusste. Hans Olaf Berger war in Husum beliebt und gefürchtet zugleich. Seine Kritiker sagten ihm nach, dass er seine Hände überall dort im Spiel hatte, wo große Geschäfte gemacht wurden. Immer wieder wurde Berger hinter vorgehaltener Hand mit dem Begriff Korruption in Verbindung gebracht. Seine Freunde hingegen attestierten dem Unternehmer ein glückliches Händchen, wenn es darum ging, den Umsatz zu steigern und Kohle zu machen, wo es ging. Berger war prominenter als der Bürgermeister der grauen Stadt – er lächelte überall dort in die Kameras der Reporter, wo ein neues Gebäude feierlich und damit pressewirksam eröffnet wurde. Ihm gehörten Kaufhäuser, Gastronomiebetriebe, zwei Hotels in Büsum und Sankt Peter-Ording, ein Golfplatz auf Sylt und die Messe von Husum. Zusätzlich war er an privat geführten Krankenhäusern und einem Altenheim beteiligt gewesen.

      „Bring mich auf Stand, Jan – was ist genau passiert?“

      „Nachbarn sind vom Klirren der Scheibe aufgewacht, das muss einen Höllenlärm gemacht haben.“

      „Ich bin in zwanzig Minuten da“, versprach Wiebke, während sie das blinkende Licht der Kaffeemaschine beobachtete. Sie nahm eine Tasse aus dem Regal über dem kleinen Tisch, schob sie unter den Ausguss und drückte den Knopf, als das Lämpchen dauerhaft leuchtete.

      „Ich nehm auch einen Kaffee“, bemerkte Petersen, der das sonore Brummen der Maschine am anderen Ende der Leitung richtig deutete.

      „Bring ich dir mit.“

      „Zwei Stück Zucker und viel Milch – wie immer.“

      „Kriegst du.“ Wiebke lachte. „Du bist mir ein Heini.“

      „Danke, dann spring ich jetzt auch mal in die Buchse.“ Petersen beendete das Gespräch. Wiebke legte das Smartphone auf den Tisch, nahm zwei Thermobecher aus dem Hängeschrank, füllte den Kaffee um und bereitete gleich einen zweiten vor. Dann überlegte sie es sich anders und setzte den Wasserkocher in Gang. Ein heißer Tee mit einer Portion Honig würde gegen die Heiserkeit und die Halsschmerzen besser helfen als der Kaffee. Sie verschwand im Bad, um sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen. Es gab Arbeit – vielleicht war das gut so, um ein wenig Ablenkung von ihren Beziehungsproblemen zu bekommen.

      DREI

      Wenningstedt/Sylt, drei Monate zuvor

      „Was starrst du mich denn so an?“, fragte sie lächelnd, als sie seinen angsterfüllten Blick sah. Noch immer toste der Sturm um die Mauern des reetgedeckten Hauses. Irgendwo klapperte ein Fensterladen.

      „Du lebst?“ Er konnte es nicht fassen, hatte sie doch eben noch blutüberströmt und regungslos dagelegen. Jetzt richtete sie sich im Bett auf und nahm