„Haben Sie Namen für mich?“, sprach Wiebke in das Schweigen hinein.
„Für wen halten Sie mich?“ Sven Gerissen schien ernsthaft gekränkt zu sein. „Ich spioniere doch nicht in Kerstins Handy, um zu sehen, mit wem sie telefoniert oder Textnachrichten schreibt, wenn ich nicht dabei bin.“
„Sind Sie nicht eifersüchtig?“
„Natürlich bin ich das.“ Er lachte humorlos auf. „Jeder Mann ist eifersüchtig auf die Ex-Freunde seiner Frau, das ist doch normal.“
„Ist es das?“
„Aber sicher. Doch ich kann Kerstin nicht daran hindern. Wie gesagt, wir führen beide unsere eigenen Leben. Und im Grunde genommen sind wir uns keine Rechenschaft schuldig.“
„Seltsam.“
Gerissen starrte sie feindselig an. „Was ist daran seltsam?“
„Dass so etwas funktioniert.“ Wiebke räusperte sich. Es war ihr unangenehm, dass sie ihre persönliche Meinung kundgetan hatte. „Ich habe laut gedacht“, sagte sie schnell. „Für mich ist es unvorstellbar, dass ich mir in einer festen Beziehung Freiheiten nehme, die dazu führen, dass ich mich mit Ex-Freunden treffe. Das wäre für mich kein Beziehungsmodell.“
„Jedem das Seine.“
„Sicher.“ Wiebke klappte ihr Notizbuch zu und erhob sich. Sie nahm eine Visitenkarte aus der Jackentasche und legte sie vor Gerissen auf den Schreibtisch. Er studierte die Inschrift neben dem Polizei-Logo. „Hauptkommissarin“, las er laut vor und zog anerkennend die Lippen nach oben.
„Könnten Sie mir eine Liste mit Kontakten aus dem direkten Umfeld Ihrer Freundin zukommen lassen? Freunde, Familie … und Ex-Freunde, sofern bekannt.“
„Ich werde es versuchen.“ Mit zerknirschter Miene stand er ebenfalls auf und führte sie durch die Ausstellung zum Ausgang. Draußen verabschiedeten sie sich mit einem Händedruck.
Der eisige Wind ließ Wiebke gleich frösteln.
„Danke“, sagte Gerissen. „Und entschuldigen Sie mein Benehmen. Aber meine Nerven liegen blank. Es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht weiß, wo Kers-
tin sich aufhält, dass ich im Ungewissen bin, ob ihr etwas zugestoßen ist. Und ich werde verrückt, wenn ich daran denke, was möglicherweise …“
„Das ist verständlich“, bemerkte Wiebke. Sie verabschiedete sich von Gerissen und ging zum Wagen, der am Rand des Parkplatzes stand. Dabei wurde sie fast von einem Auto angefahren, das mit hoher Geschwindigkeit auf den Platz geschossen kam. Es handelte sich um einen kleinen roten Flitzer.
„Sag mal – geht‘s noch?“, rief Wiebke, nachdem sie sich mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit gebracht hatte. Der Fahrer beachtete sie nicht weiter. Wiebke stieg ein und brauchte ein paar Sekunden, um sich zu beruhigen. Ihre Neugier bewegte sie dazu, abzuwarten und zu sehen, was das für ein Typ war, der aus dem kleinen Coupé ausstieg. Zu ihrer Verwunderung stellte sie fest, dass es sich um eine junge Frau handelte. Wiebke schätzte die schlanke Frau auf Anfang dreißig. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug einen dunkelblauen Mantel, unter dessen Rand der Saum eines kurzen Rocks hervorblitzte, dazu ebenfalls dunkle Nylonstrümpfe und kniehohe Lederstiefel. Eine elegante Erscheinung. Die Fahrerin stiefelte auf den Eingang des Autohauses zu. Dort stand immer noch Sven Gerissen. Abwartend, fast schon lauernd, blickte er zu Wiebke.
Die Fahrerin des kleinen Sportwagens marschierte zielstrebig auf Gerissen zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte dem attraktiven Autoverkäufer einen Kuss auf die Lippen. Sven Gerissen schien das äußerst unangenehm zu sein, denn er drückte die junge Frau schnell von sich. Er redete auf sie ein und blickte an seiner Besucherin vorbei in Wiebkes Richtung. „So so“, sagte sie leise und erinnerte sich an Gerissens Worte. Lange hatte er über die Eifersucht schwadroniert und ihr einen Vortrag über die Ex-Freunde von Kerstin Möller gehalten.
Wiebke zog das Smartphone hervor und aktivierte die Kamera, um ein paar Bilder von dem seltsamen Paar zu machen. Als Gerissen wieder in ihre Richtung blickte, ließ sie das Handy sinken und startete den Motor. Wiebke hatte genug gesehen.
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