WattenAngst. Andreas Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schmidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827184030
Скачать книгу
doch sein.“

      „Gut“, nickte Petersen. „Also gehen wir davon aus, dass der Mörder Berger aus dem Weg räumen sollte. Möglicherweise also ein Motiv aus dem bewegten Geschäftsleben unseres Opfers, das ja, wie wir wissen, nicht nur Freunde hatte.“

      „Oder ein Mord, der von einer enttäuschten Ehefrau in Auftrag gegeben wurde.“

      „Mord aus Eifersucht – gefällt mir“, grinste Petersen. „Immerhin ist das eines der häufigsten Mordmotive.“

      „Ich bin sicher, ihr werdet es herausfinden“, behauptete Johannsen. „Jetzt würde ich aber gern weitermachen.“

      „Klar, wir sind schon weg“, nickte Wiebke. Sie gab Petersen das Zeichen zum Rückzug. Die Zeit drängte.

      *

      Eine knappe Stunde vorher

      Er hatte es nicht sonderlich eilig. Nachdem er den Schuss abgegeben hatte, war die große Fensterscheibe im Obergeschoss in tausend Stücke gesprungen. Er hatte sein Ziel getroffen – Berger war, von der Kugel getroffen, strauchelnd nach vorn und durch die zerborstene Scheibe in die Tiefe gestürzt, wo er regungslos liegengeblieben war.

      Treffer versenkt.

      Ein Arschloch weniger auf dieser Welt.

      Eigentlich war alles gut gelaufen, wäre da nicht ihr gellender Schrei gewesen, den sie in Todesangst ausgestoßen hatte. Dieser Schrei hatte ihn kurz zweifeln lassen, ob alles richtig gewesen war. Doch nachdem er den toten Berger in seinem Blut und dem Meer aus winzigen Scherben hatte liegen sehen, wusste er, dass alles richtig gelaufen war.

      Sekundenlang hatte er sie am Fenster stehen sehen, beide Hände vor das Gesicht gepresst. Wohl erst im zweiten Moment war sie sich darüber klar geworden, dass er sie sehen konnte. Einmal die Waffe ansetzen, den Abzug durchziehen, und – bäng, wäre es auch für sie vorbei gewesen. Doch das hatte er nicht vor. Trotzdem hatte er sie dabei beobachtet, wie sie sich schnell in Sicherheit brachte. Weinend suchte sie Schutz im hinteren Teil des Hauses. Wahrscheinlich, so dachte er sich, würde sie jetzt die Bullen rufen.

      Höchste Zeit, sich vom Acker zu machen.

      Ohne Hast ließ er die Pistole in seiner Jackentasche verschwinden. Der Lauf war noch warm. Sorgfältig zog er den Reißverschluss zu, dann wandte er sich um, duckte sich in die Dunkelheit und sah zu, dass er verschwand.

      Gerade rechtzeitig, denn jetzt gingen in den umliegenden Häusern die Lichter an. Kein Wunder, der Schuss, das Klirren der großen Scheibe und ihr markerschütternder Schrei hatten alle Nachbarn aus dem Schlaf gerissen. Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen wandte er sich ab und lief los, bevor hier das Chaos ausbrach.

      *

      Annika Rüther war kreidebleich. Obwohl sie ihre feingliedrigen Hände im Schoß gefaltet hatte, zitterten sie. Das blonde Haar fiel ihr strähnig ins Gesicht. Ihr Make-

      up war verwischt. Unter der Decke, die ihr der Sanitäter im Rettungswagen über die Schultern gelegt hatte, blitzte der spitzenbesetzte Ansatz eines weißen Negligees hervor.

      Erst als Wiebke die Schiebetür des Rettungswagens hinter sich zuzog, erwachte die Frau aus ihrer Lethargie und betrachtete die Polizisten mit starrem Blick.

      „Frau Rüther?“, fragte Wiebke leise und setzte ein freundliches Lächeln auf.

      Anstelle einer Antwort erhielt sie ein stummes Nicken.

      „Mein Name ist Ulbricht, Wiebke Ulbricht, von der Kripo in Husum.“ Sie legte eine Pause ein und achtete auf jede Regung im Gesicht ihres Gegenübers. Wiebke war klar, dass die Frau Schreckliches erlebt hatte. Sie gab ihr die nötige Zeit, über das Erlebte zu reden.

      „Sie wollen wissen, was passiert ist?“ Annika Rüthers Stimme klang tränenerstickt.

      Wiebke nickte. „Wie haben Sie es erlebt?“

      „Wir hatten es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht, Olaf und ich. Kerzenschein, eine Flasche Wein. Zu zwei die Nacht zum Tag gemacht, wenn Sie verstehen?“

      „Ja, ich verstehe.“ Wiebke konnte sich bildhaft vorstellen, warum die beiden nicht geschlafen hatten, als der Schütze aufgetaucht war. Sie betrachtete Annika Rüther so unauffällig wie möglich. Die Geliebte von Hans Olaf Berger war hübsch, Wiebke schätzte sie auf Mitte dreißig. Ihre Augen waren strahlend blau, die Lippen voll und geschwungen. Die Nase war gerade und nicht zu groß, wenn sie den Mund verzog, bildeten sich Grübchen auf ihren Wangen. Kein Zweifel – Annika Rüther war eine hübsche Frau.

      „Wir waren alleine und haben den Abend und die Nacht genossen.“

      „Weiß Frau Berger, dass Sie …“

      „Dass wir eine Affäre haben?“ Ihr Kopf ruckte hoch. Sekundenlang schien Annika Rüther durch Wiebke hindurchschauen zu können. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Er hat behauptet, dass sie es weiß. Seine Ehe mit Karen bestand angeblich nur noch auf dem Papier.“

      „Warum hat er sich dann nicht – Ihnen zuliebe – von ihr scheiden lassen?“, wagte Wiebke einen Vorstoß.

      „Was wissen Sie schon … es geht bei Olaf um Geld, um sehr viel Geld. Er ist … er war ein einflussreicher Mann in Nordfriesland. Karen immer die Frau an seiner Seite, jedenfalls offiziell. Jeder Fleck auf seiner weißen Weste wäre fatal gewesen. Keine Ahnung, warum er sich nicht hat von ihr scheiden lassen. Fest steht, dass es vieles einfacher gemacht hätte.“

      „Ist es nicht riskant, sich im Haus eines verheirateten Mannes blicken zu lassen, um die Nacht mit ihm zu verbringen?“, fragte Wiebke provokant.

      „Ach“, Annika Rüther machte eine wegwerfende Handbewegung. „Karen hat doch selber einen Stecher.“ Sie lachte humorlos auf. „Wissen Sie, wenn man so lange verheiratet ist wie die beiden, dann toleriert man einiges.“

      „Ist das so?“

      „Natürlich. Es läuft nichts mehr zwischen den beiden. Sie suchen sich außerhalb der Ehe das, was sie vermissen.“

      Wiebke versuchte, sich auf den Mord zu konzentrieren. „Was ist heute Nacht geschehen?“

      „Wir waren oben im Wohnraum, sind wohl eingeschlafen auf dem Sofa, nachdem wir miteinander geschlafen hatten.“

      Wiebke schwieg und ließ Annika Rüther reden.

      „Plötzlich wachten wir auf – der Hund im Zwinger hatte angeschlagen. Tagsüber bewegt er sich frei auf dem Gelände, nachts bringt Olaf ihn in den Zwinger. Der Hund hat wie gesagt angeschlagen. Olaf ging zum Fenster, um nachzusehen, ob sich Einbrecher auf dem Gelände befinden. Ich stand gleich neben ihm, als der Schuss die Scheibe zerstörte und Olaf mit einem Schrei nach draußen fiel. Es ging alles so schnell.“ Annika Rüther brach ab, barg das Gesicht in den Händen und schluchzte. „Ich stand direkt neben Olaf und konnte ihm nicht helfen. Das Fenster ging zu Bruch, Olaf stürzte, und ich habe einen Moment gebraucht, um zu verstehen, dass ich mich im Fadenkreuz des Schützen befand. Ich habe mich dann fallen lassen, hab mir ein paar Schnittwunden zugezogen und bin nach hinten ins Haus gerobbt. Von dort aus habe ich die Polizei angerufen.“

      „Haben Sie etwas gesehen, als Sie neben Herrn Berger standen, bevor geschossen wurde?“

      „Nein, nichts. Es war stockfinster. Nicht einmal das Mündungsfeuer habe ich gesehen.“

      Ein Schalldämpfer, durchzuckte es Wiebke. Er hat einen Schalldämpfer benutzt. Eigentlich sinnlos, bei dem lauten Klirren des Fensters.

      „Haben Sie jemanden gesehen, der flüchtete?“

      „Sie hören mir nicht zu, Frau Ulbricht.“ Jetzt hatte Annika Rüthers Stimme einen schneidenden Unterton bekommen. „Ich sagte doch, dass ich nichts, aber auch gar nichts gesehen habe.“

      „Danke.“ Wiebke erhob sich von dem Hocker, auf dem sie gesessen hatte. Sie überreichte der Frau eine Visitenkarte. „Hier“, sagte sie. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, kontaktieren Sie mich.“ Wiebke verließ den Rettungswagen