Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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schnellere Route über die Alpen.

      Alle drei zuletzt beschriebenen Alpenübergänge befanden sich in der Hand des Rätischen Freistaats, besser bekannt als Graubünden oder die Drei Bünde (bestehend aus dem später namengebenden Grauen Bund, Gotteshausbund und Zehngerichtebund). Es handelte sich dabei um einen Zusammenschluss von Gerichtsgemeinden auf dem Gebiet des heutigen Kantons Graubünden, der sich lose mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft verbunden hatte, zumindest nominell aber auch mit den österreichischen Habsburgern verbündet war. Wie die Eidgenossenschaft war auch der Rätische Freistaat aus einem Netzwerk von Allianzen hervorgegangen, das einzelne Alpengemeinden im 14. und 15. Jahrhundert im Rahmen ihres Freiheitskampfes gegen die habsburgische Herrschaft gesponnen hatten. Der Graue Bund herrschte über die Hinter- und Vorderrheintäler. Der Gotteshausbund umfasste das Engadin sowie die Stadt Chur, deren Bischof sich einem offiziellen Beitritt jedoch widersetzte, während der kleinere Zehngerichtebund an Tirol im Nordwesten grenzte. Alle drei Bünde setzten sich aus „Dörfer“ genannten selbstverwalteten Gerichtsgemeinden zusammen, die Vertreter in einen „Allgemeinen Bundstag“ entsandten, der unter anderem die Drei Bünde nach außen vertrat. Der Graue Bund war die stärkste Kraft auf den Allgemeinen Bundstagen, jedoch war für einen verbindlichen Beschluss die Zustimmung von mindestens zweien der drei Bünde nötig. Die strategische Bedeutung des Freistaats verdankte sich einer Reihe von Gebietseroberungen auf Kosten des Herzogtums Mailand in den Jahrzehnten zwischen 1500 und 1532. Während dieser Zeit hatten die Bergler nicht nur das Veltlin für sich erobert, sondern auch die Grafschaft Chiavenna in ihren Besitz gebracht, die sich am südlichen Ende des Tales erstreckte. Dadurch kontrollierten sie nun sowohl den Zugang nach Mailand im Süden als auch die nördlich gelegenen Alpenquerungen über den Splügenpass und durch das Engadin.

      Die Regierung des Rätischen Freistaats war, wie übrigens die der Schweizerischen Eidgenossenschaft auch, nach heutigen Maßstäben keine demokratische. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung war politisch geradezu entrechtet, denn während man den Einwohnern Chiavennas und des Veltlins immerhin ihre Selbstverwaltung gelassen hatte, betrachteten die Drei Bünde ihre Heimat als „Untertanengebiete“, die auf den Allgemeinen Bundstagen des Freistaats keine Stimme hatten. Durch ein Bevölkerungswachstum, das die vergleichsweise dürftigen Ressourcen bald überforderte, nahmen die sozialen Spannungen in der Region ab den 1570er-Jahren zu. Die kommunale Verwaltung geriet in die Hände von einigen „großen Hansen“ und deren Familien, die sich nicht nur Mehrheiten in den Dorfräten sicherten, sondern auch Adelstitel und -angewohnheiten annahmen. Wie in der Eidgenossenschaft sorgte die dezentralisierte politische Struktur dafür, dass Kontrollgewalt auf lokaler Ebene zu immer größeren Chancen auf Reichtum und Einfluss führte, je weiter man die hierarchische Leiter hinaufstieg. Auswärtige Mächte waren bereit, für günstige Beschlüsse des rätischen Bundstages hohe Summen zu zahlen – zur Öffnung der Alpenpässe etwa, oder um die Rekrutierung in den übervölkerten Untertanengebieten zu genehmigen. Die Einflussnahme von außen führte jedoch zur Lagerbildung im Inneren, wobei die einzelnen Parteien verschiedenen auswärtigen Mächten zuneigten, was die bestehenden Spannungen weiter verschärfte. Konflikte im Bundstag wirkten auf die Ebene der Dörfer zurück, da die „großen Hansen“ ihren Einfluss in den Dorfgerichten geltend machten, um persönliche Rachefeldzüge zu führen. Diese Entwicklung traf das Gemeinschaftsideal, auf dem die rätische (und auch die eidgenössische) Gesellschaft gründete, ins Mark; war es doch der oberste Zweck aller frühneuzeitlichen Vergesellschaftung, den öffentlichen Frieden zu wahren – und dafür waren die Gerichte ja gerade gedacht gewesen. Ab den 1520er-Jahren machte die Ausbreitung des Luthertums die Sache noch einmal komplizierter, da viele Familien zu dem neuen Glauben übertraten, während andere katholisch blieben. Die Protestanten sahen ihren Glauben als Ausdruck der Unabhängigkeit von der Herrschaft der (katholischen) Habsburger und des (katholischen) Bischofs von Chur. Ihre entrechteten Untertanen (sudditi) im Veltlin hielten am Katholizismus fest, der ihnen Ausdruck der eigenen Identität schien. Unterschiedliche Sprachen vertieften die Spaltung, da die Menschen im Norden Deutsch und Rätoromanisch sprachen, im Süden aber Italienisch.

      Die Lage verschärfte sich, als die Kirche des Rätischen Freistaats unter calvinistischen Einfluss geriet und eine strenge Kirchenaufsicht und eine Besserung des Lebens auf der Ebene der einzelnen Gemeinden einforderte, während zugleich Kapuziner und andere katholische Missionare in der Region eintrafen, die der Kardinal Borromäus aus Mailand und der Ortsbischof aus Chur geschickt hatten, damit sie die Rekatholisierung des Alpenraumes vorantrieben. Die Führungsriege des Rätischen Freistaats fühlte sich zunehmend unter Druck gesetzt, nicht zuletzt, weil die Einwohnerschaft der Drei Bünde gegenüber ihren sudditi in der Grafschaft Chiavenna und im Veltlin weit in der Unterzahl war. Diese wurden nämlich immer unruhiger und erhoben sich 1572 und 1607 gegen die Bündner Herrschaft. Noch verzwickter wurde die Lage dadurch, dass die meisten Einwohner im Gebiet des tonangebenden Grauen Bundes ebenfalls katholisch geblieben waren, während im Veltlin immerhin 4000 Protestanten um ihr Leben fürchten mussten. Es überrascht kaum, dass die (calvinistische) politische Führung der Drei Bünde im Katholizismus eine subversive Kraft sah und ihren Einfluss in den Dorfgerichten dahingehend geltend machte, dass nach 1617 eine groß angelegte Verfolgungskampagne gegen die katholische Bevölkerung einsetzte.

      Der spanische Gouverneur von Mailand, Graf Fuentes, brachte die Bündner dahin, dass sie von 1592 an den Durchmarsch zumindest kleiner spanischer Truppenkontingente durch das Veltlin erlaubten, aber dann versprach im Dezember 1601 der Allgemeine Bundstag den Franzosen alleinigen Zugang zu diesem so wichtigen Tal – und schloss noch einmal zwei Jahre später ein ganz ähnliches Abkommen mit den Venezianern. Der Gouverneur rächte sich, indem er ein Getreideembargo gegen die Drei Bünde verhängte und zudem 1603 hoch über Colico am Comer See die Festung Fuentes errichten ließ, die den Zugang nach Chiavenna und ins Veltlin blockierte. Die Bündner zeigten sich unbeeindruckt, was zur Folge hatte, dass den Spaniern bis 1610 keine einzige zufriedenstellende Alpenquerung mehr geblieben war. Glücklicherweise war das nun, nach Abschluss des Zwölfjährigen Waffenstillstands mit den Niederländern 1609, nicht mehr so wichtig.

      Die spanische Friedenspolitik

      In der französischen und der protestantischen Geschichtsschreibung haben die Spanier lange Zeit die Rolle der niederträchtigen Aggressoren spielen müssen. Ihre tatsächlich gar nicht seltenen Versuche, die eigenen Probleme um 1600 friedlich zu lösen, sind dagegen in den Hintergrund getreten. Nun war Spanien nicht die einzige Macht der Zeit, die so handelte, und natürlich hing der Erfolg der spanischen Friedensbemühungen im Einzelfall immer davon ab, dass andere europäische Mächte ebenfalls Frieden schließen wollten. Auch beendete niemand einen Krieg aus altruistischen Motiven, sondern hatte dabei stets die eine oder andere Vorstellung einer europäischen Friedensordnung im Blick, bei der eine dominante Macht ihre Interessen wahrte, indem sie Streitigkeiten zwischen ihren Rivalen entschied. Sowohl Jakob I. von England als auch Heinrich IV. von Frankreich waren überzeugt davon, dass ihr eigener Einfluss und Nachruhm ganz entscheidend von ihrer Fähigkeit abhänge, europäische Konflikte zu lösen. Die Päpste hofften ebenfalls, sich von der Einflussnahme Spaniens und Frankreichs befreien zu können, wenn sie eine solche Vermittlerrolle einnähmen.127 Derartige Bestrebungen sind auch Ausfluss eines grundlegenden Wandels in den europäischen Beziehungen, der vom christlich-mittelalterlichen Weltbild weg- und zu einer internationalen Ordnung hinführte, die auf souveränen Staaten beruhte. Zugleich banden zwar wirtschaftliche und politische Beziehungen diese souveränen Staaten wieder in ein gemeinsames System ein; die genaue Beschaffenheit dieses Beziehungsgeflechts musste jedoch erst noch geklärt werden.

      Im Denken der Zeit bedeutete „Ordnung“ Hierarchie, nicht Gleichheit; von einer „Ordnung“ erwartete man, dass eine herausragende Macht an ihrer Spitze stehen und Frieden für alle garantieren werde – wie ein Monarch in seinem Reich oder der Magistrat in einer Stadt.

      Die Vision einer pax Hispanica in einem ganzen Weltreich war für das Sendungsbewusstsein der spanischen Krone von zentraler Bedeutung. Wie die Friedensbemühungen anderer europäischer Monarchen auch, so zielte die Politik der Spanier darauf ab, Konflikte aus einer Position der Stärke heraus beizulegen. In der Praxis lief