Da also beide Seiten in ein langwieriges Kräftemessen zur See und an Land hineingezogen waren, wurde die Logistik zum entscheidenden Faktor. Das Erstarken der regulären niederländischen Flotte machte es den Spaniern – vor allem im Zusammenspiel mit den Kaperfahrten der Freibeuter – sehr schwer, die Flandernarmee von See aus zu versorgen. Zwar hatten die Spanier 1585 Antwerpen zurückerobert, aber die niederländische Präsenz auf den Inseln vor Zeeland bewirkte de facto eine völlige Blockade der Scheldemündung, während die zahlreichen Sandbänke, die Dünkirchen schützten und es zu einem derart tauglichen Freibeuternest machten, zugleich die Einfahrt größerer (Transport-)Schiffe verhinderten. Diese Probleme waren im Zuge der Armada-Kampagne von 1588 schlagartig zutage getreten, als die spanische Flotte vergeblich einen sicheren Hafen suchte, um ihren englischen Verfolgern zu entkommen und Parmas Truppen an Bord zu nehmen.120 Die Schwierigkeiten der Versorgung auf dem Seeweg erhöhten die strategische Bedeutung jener Marschroute, die der Herzog von Alba 1567 eingeschlagen hatte und die inzwischen als „Spanische Straße“ zu allgemeiner Bekanntheit gelangt war.
Die Spanische Straße
Obwohl sie insgesamt als „Straße“ bezeichnet wurde, bedeutete eine Reise auf der Spanischen Straße doch erst einmal eine Reise auf dem Seeweg: von der spanischen Mittelmeerküste nach Genua, das – wie Rom – zum informellen Imperium der Spanier gehörte. Truppen, Geld und Nachschub wurden vom Galeerengeschwader der Genuesen transportiert, das auf diese Weise zum ebenso inoffiziellen Bestandteil der spanischen Mittelmeerflotte wurde. Von Genua aus marschierten die Soldaten in Richtung Norden, nach Mailand, dem Zentrum der spanischen Macht in Oberitalien, wo sie sich erholen konnten und ihre Reihen oft durch Rekruten aus den italienischen Besitzungen der Spanier verstärkt wurden. Die Hauptroute führte dann von der Festung Alessandria im Südwesten des Mailänder Territoriums hinüber nach Asti im Piemont, das dem Herzog von Savoyen gehörte, einem Verbündeten der Spanier bis 1610. Hier teilte sich der Weg: Der eine Abzweig führte in nordwestlicher Richtung über Pinerolo auf den Alpenpass am Monte Cenisio und von dort hinunter in das eigentliche Savoyen und an den Oberlauf der Rhône, der die Soldaten flussaufwärts nach Norden bis in die Franche-Comté folgten. Eine Nebenstrecke lief durch das Susatal westlich von Turin und über den Pass am Mont Genèvre. Wahlweise konnten die Truppen auch von Mailand aus direkt nach Norden marschieren, das Tal von Ivrea hinauf, dann durch das Aostatal, um über den Großen oder den Kleinen Sankt Bernhard auf die andere Seite des Gebirgsmassivs zu gelangen, wo sie durch das Tal der Arve in Obersavoyen hinunter nach Genf kamen und dann, in nordöstlicher Richtung am Kamm des Jura entlang, ebenfalls in die Franche-Comté. Hier liefen die drei Streckenvarianten wieder zusammen und nahmen Kurs nach Norden, durch das Herzogtum Lothringen nach Luxemburg hinein, womit bald auch das Kampfgebiet erreicht war. Die Seereise aus dem nordspanischen La Coruña um die Iberische Halbinsel herum nach Genua erfolgte über Tagesdistanzen von bis zu 200 Kilometern – fast zehnmal schneller als der mühsame Marsch über die Alpen und weiter über Land, bei dem die rund 1000 Kilometer von Mailand nach Flandern mit immerhin 23 Kilometern am Tag zurückgelegt wurden. Dennoch war der Überlandweg die sicherere Wahl, und so marschierten zwischen 1567 und 1620 mehr als 123 000 Soldaten auf der Spanischen Straße nach Norden, während im selben Zeitraum nur 17 600 auf dem Seeweg nach Flandern gelangten.121
Die Hugenottenkriege Die Sorge um „ihre Straße“ zog die Spanier in den 1580er-Jahren immer tiefer in die inneren Angelegenheiten Frankreichs und Savoyens hinein – in etwa so, wie die Niederländer und andere Nachbarn in die innerdeutschen Streitigkeiten hineingezogen wurden. Im Fall der Spanier kam es jedoch nicht zum Ausbruch eines Großkonflikts, da Frankreich für Spanien eine wesentlich größere Bedrohung darstellte, als dies irgendein deutsches Fürstentum vermocht hätte.
Frankreich war nach seinem Sieg über die Engländer im Hundertjährigen Krieg in eine Phase dynamischer Expansion eingetreten. Die französischen Könige aus dem Haus Valois konsolidierten ihre Herrschaft in den Kernprovinzen des Landes und zwangen auch vormals autonome Grenzregionen unter ihre Kontrolle: die Normandie (1450), Provence (1481) und Bretagne (1491), das Bourbonnais und die Auvergne (1523) sowie die piemontesische Markgrafschaft Saluzzo (1548). Bestrebungen, nach dem Tod des letzten Herzogs von Burgund 1477 auch dessen Erbe einzuziehen, führten zu einem langwierigen Krieg mit den Habsburgern, der nach der Invasion Italiens durch Karl VIII. von Frankreich im Jahr 1494 auf neue Schauplätze übergriff. Zwar endete dieser Konflikt schließlich, 1559, mit einer französischen Niederlage, aber die Bevölkerung Frankreichs hatte sich über das vergangene Jahrhundert hinweg verdoppelt und wuchs sogar noch weiter, sodass sie um 1600 die Zahl von 19 Millionen Einwohnern erreichte. Das Vermögen der französischen Krone, aus diesem Potenzial Nutzen zu ziehen, wurde jedoch durch den tödlichen Unfall Heinrichs II. bei einem Turnier 1559 stark eingeschränkt. Die französische Krone ging an seine Witwe, Katharina de’ Medici, die nacheinander als Regentin für eine ganze Reihe minderjähriger Söhne des verstorbenen Königs fungierte: Franz II. (1559–60), Karl IX. (1560–74) und Heinrich III. (1574–89). Die französische Aristokratie und überhaupt alle, die während des vergangenen Jahrhunderts zunehmender Königsmacht andauernd zu kurz gekommen waren, bemühten sich nun, ihren Einfluss wieder geltend zu machen, und schlossen sich unter der Führung diverser Prinzen von Geblüt gegen die Krone zusammen. Diese waren Angehörige des Hochadels, die durch Heirat mit dem Königshaus verschwägert, durch die Prinzipien der Erbfolge und das Verlangen der Krone, alle Macht bei sich zu konzentrieren, jedoch von der Herrschaft ausgeschlossen waren. Durch die Religion wurde die Sache kompliziert, da viele Angehörige des französischen Hochadels und ihre Klientel in den Provinzen um 1560 Hugenotten wurden, also die französische Spielart des calvinistischen Glaubens annahmen, während ihre Rivalen katholisch blieben. Nach 1562 kam es deshalb zu einer Reihe erbitterter Auseinandersetzungen, die als Hugenottenkriege in die Geschichte eingegangen sind und die königliche Autorität der Valois nachhaltig beschädigten, weil sie allen zeigten, dass dieses Königshaus keinen Frieden garantieren konnte.122
Der europäische Frieden wurde nun nicht mehr durch eine mögliche französische Aggression nach außen bedroht, sondern vielmehr von der Gefahr, eine Implosion des Königreiches könnte die umgebenden Länder in seinen Bürgerkrieg gleichsam „hineinsaugen“. Diese Gefahr drohte insbesondere dem Heiligen Römischen Reich, dessen Fürsten schließlich als eine ihrer „teutschen Libertäten“ das Recht ansahen, verbündeten christlichen Mächten im Bedarfsfall Waffenhilfe zu leisten. Obwohl die Reichsverfassung einer Aushebung von Soldaten zu diesem Zweck durchaus Grenzen setzte – sie durfte nicht gegen den Kaiser oder den Landfrieden gerichtet sein –, konnte man aufgrund der starken Zersplitterung der Reichsterritorien