Stalingrad - Die stillen Helden. Reinhold Busch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhold Busch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783990810422
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Wissenschaftler und Ärzte beraten, konnten die Sanitätsoffiziere mit gutem Friedenswissen ihr Gewissen stärken. Dennoch mußten sie oft genug ärztliches Niemandsland betreten mit allen unguten Gefühlen, die ein solches Unternehmen begleiteten. Alte, noch nicht gekannte, neue, bisher unbekannte, durch Eintritt ungefeiter Organismen in eine neue Umwelt erzeugte Krankheitsbilder, Überempfindlichkeits- und Giftwirkungen bis zum ‚Tschir- und Donfieber‘, die erste Begegnung mit dem Fünftagefieber, diagnostiziert aus Fieberkurven, die auf weißgekalkten Wänden aufgezeichnet wurden, mit den zunächst ganz leichten aber ansteckungsmäßig um so gefährlicheren Fleckfieberanfällen, Malaria, zuerst als Lungenentzündung gedeutet, das Versagen von Testseren, die bunten Bilder der Typhen, die deliranten Zustände, die Nervenlähmungen, zuletzt die aus früher schachbrettartigem Auftreten in schwere Epidemie ausbrechende, ganze Truppenteile befallende und mit Malaria und Virusleiden verbundene ‚epidemische Gelbsucht‘ mit ihren unvorhersehbaren Folgen und der lähmenden Schwäche der Ergriffenen bewegten die Internisten der Einheiten bis zur letzten Kesselschlacht. Im Kessel selber war es der Beginn der Fleckfieberepidemie und der Dystrophie – fast nur mehr Gegenstand der Diagnose – und tragischen Prognose! Als im Operationsbunker der Sanitätskompanie der eingeflogene Pathologe die Leiche eines an Dystrophie verstorbenen Soldaten öffnete und die Organe untersuchte, wirkte es wie der Untergang einer militärärztlichen Welt!

      Die Chirurgen, die aus Friedenszeiten ein Können mitbrachten, das jeder anderen Spitze im Vergleich standhielt, bedrückte weniger der Mangel an Instrumenten als an Mitteln und Möglichkeiten der Betäubung, Beleuchtung, Infektions- und Schockbekämpfung, Blutersatz, Nachbehandlung und Transportsicherheit. Neben eigener Erkrankung und Nervenbelastung – wenn z. B. während einer Bauchoperation vom Stab der wohlgemeinte Befehl kam, mitten in der Nacht und Winterschlacht die Stellung zu wechseln und selber um das eigene Leben zu kämpfen – waren die ärgsten Proben wohl im jeweiligen Entschluß zur Operation gelegen, besonders bei Bauchschüssen, Hirnverletzungen und Amputationen. Sie waren in eigener Verantwortung noch unerträglicher als jene spätere Lage, da der Chirurg in den ersten Tagen der Gefangenschaft russische Verwundete operieren mußte und ein Sowjetsoldat mit der Maschinenpistole danebenstand und so den guten Erfolg zu sichern suchte!

      Ein großes Arbeitsfeld fanden die Dermatologen vor; in Frankreich zunächst im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten – mit allen umgebenden Grotesken, unterstützt von Sanitätsdienstgraden in Stahlhelm, die vor dem Krieg das Gewand des Jesuitenordens trugen – bis zu den Erfrierungskatastrophen der Winterschlacht und des Kessels. Daß ein Korpsarzt den Befehl gab, Soldaten mit Erfrierungen trotz medizinischer Notwendigkeit erst nach den Verwundeten ausfliegen zu lassen, brachte den Arzt ebenso zur Verzweiflung wie die vergebliche Suche nach Mitteln und klaren Plänen, die Träger von Frostschäden zu behandeln. Zusätzlich stellten sich immer mehr Hauteiterungen ein, welche in die Dauerschäden durch Dystrophie und Vitaminmangel überführten und in der Gefangenschaft schließlich zur Eingangspforte tödlicher Blutvergiftungen wurden.

      6Friedrich Paulus (geb. 23. September 1890 in Breitenau/Krs. Melsungen, verst. 1. Februar 1957 in Dresden) führte die 6. Armee als Oberbefehlshaber nach Stalingrad und wurde noch am 30. Januar 1943 zum Generalfeldmarschall befördert. In Gefangenschaft schloss er sich 1944 dem „Nationalkomitee Freies Deutschland“ an.

      7Siehe Dr. Larbigs Biografie und Bericht weiter unten.

      8Oberstabsarzt Dr. Erwin Paal (geb. 4. Dezember 1902 in Viersen, verst. 11. Februar 2004 in Münster) studierte Medizin in München, Wien u. Münster (dort Examen u. Promotion). Weiterbildung zum Chirurgen an der Charité Berlin bei Sauerbruch, am Marienhospital Bonn und am Krhs. Bergmannsheil in Bochum (später Oberarzt). In Stalingrad Chef der 1. San.Kp. der 16. P.D. Nach dem Krieg Chirurg im Krhs. Tegte, danach Chefarzt der medizinischen Abteilung der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Nach der Pensionierung bis 1992 Werks- und Musterungsarzt.

      9Typoskript Dr. Paals o.J., das er 2003 dem Verfasser überreichte.

      10Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi (geb. 9. Okober 1886 in Essen, verst. 1. April 1967 in München) stammte aus einer Ärztefamilie. Zunächst bei der bayerischen Landespolizei, wechselte er zur Wehrmacht und wurde 1936 als Oberstarzt Kommandeur der San.Abtlg. 36. 1940 Generalarzt und Panzergruppenarzt der Panzergruppe 1, am 1. November 1942 als Generalstabsarzt Armeearzt 6. Gefangennahme am 24. Januar 1943 im Kessel; 1949 Verurteilung zu lebenslanger Lagerhaft, erst am 9. Oktober 1955 nach Deutschland entlassen. Danach lebte er als Rentner in München.

      11Beratender Chirurg der 6. Armee war Oberstabsarzt Dr. habil. Friedrich Gross (geb. 1. Juni 1898 in Schwäbisch Hall, verst. 6. April 1993 in Stuttgart); studierte nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg Medizin in Tübingen, Kiel und München; Examen und Promotion 1923 in Tübingen. Nach einem internistischen Jahr in München Weiterbildung zum Chirurgen am Stadtkrhs. Augsburg und 1926–1934 an der chirurgischen Uniklinik Leipzig; Habilitierung 1933. 1934 chirurgischer Chefarzt des Katharinenhospitals Stuttgart; Umhabilitierung nach Tübingen 1943. Vom 20. April 1941 bis 26. Oktober 1942 als Oberstabsarzt bei der Kriegslaz.Abtlg. 612 der 7. Armee, dann ab 26. Oktober 1942 der Armee-Sanitätsabteilung 542 der 6. Armee. Als Nachfolger von Prof. Kuntzen letzter Beratender Chirurg der 6. Armee; am 2. Februar 1943 im Nordkessel in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten. Erst am 26. September 1953 entlassen, wurde er in seine frühere Chefarztposition wiedereingesetzt und 1954 in Tübingen zum Professor ernannt. Nach seiner Pensionierung 1963 noch als Gutachter und Vertreter seiner Schüler tätig.

      12Prof. Dr. Heinrich Kuntzen (geb. 11. Januar 1893 in Hann. Münden, verst. 9. Mai 1977 in Jena) nahm nach dem Physikum in Jena 1914 als Feldunterarzt am Ersten Weltkrieg teil und legte das medizinische Staatsexamen 1920 in Rostock ab. Zunächst als Assistenzarzt der Pathologie in Rostock und Leipzig, erhielt er 1923–1937 seine chirurgische Weiterbildung bei Payr in Leipzig und wurde 1936 a. o. Professor für Chirurgie. 1937–1951 war er Chefarzt einer chirurgischen Klinik in Chemnitz. 1939 als Oberfeldarzt Beratender Chirurg der 6. Armee; im September begleitete er den schwer verwundeten Sohn von Paulus mit dem Flugzeug aus Stalingrad, danach Beratender der Heeresgruppe Süd. Nach dem Krieg Chef der Chirurgie am Küchwald-Krhs. Chemnitz; 1951 Lehrstuhl für Chirurgie in Jena als Nachfolger von Guleke. 1961 Emeritierung; 1964 Ehrenmitglied der Deutschen Chirurgischen Gesellschaft.

      13Prof. Dr. Wilhelm Fick (geb. 11. September 1898 in Leipzig, verst. 13. Juni 1981 in Ebersberg/Obb.) nahm als Unterarzt am Ersten Weltkrieg teil. 1937 Facharzt für Chirurgie, ärztlicher Direktor und Dirigierender Arzt am Rudolf-Virchow-Krhs. Berlin. In Stalingrad Beratender Chirurg der 6. Armee. 1945 Chefarzt der chirurgischen „Heilanstalt Dr. Krecke“ in München.

      14Prof. Dr. Fritz Eugen Flügel (geb. 20. März 1897 in Dresden, verst. 23. April 1971 in Erlangen) studierte Medizin in Leipzig, Freiburg, Breslau, Würzburg und München (1924 Staatsexamen und Promotion). Danach Assistent und Oberarzt an verschiedenen neurologischen Kliniken; 1932 Habilitation in Leipzig. 1936 Oberarzt in der Wehrmacht. 1938 a. o. Professor. 1939–1949 Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie in Halle, 1951–1965 in Erlangen. In Stalingrad Beratender Psychiater der