Die Pickwickier. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183319
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wie er sprach.

      "Teufelslärm auf der Treppe, Kellner", sagte er. "Bänke hinauf – Zimmerleute herunter – Lampen, Gläser, Harfen. – Was gibt's denn?"

      "Ball, Sir", antwortete der Kellner.

      "Assemblee – wie?"

      "Nein, Sir, keine Assemblee; Ball für wohltätige Zwecke, Sir."

      "Wissen Sie nicht, Sir, ob hier in der Stadt viele schöne Frauen sind?" fragte Mr. Tupman angelegentlich.

      "Prächtig – fabelhaft. Kent, Sir, Kent ist weltberühmt; äpfel, Kirschen, Hopfen und Frauen. – Glas Wein, Sir?"

      "Bitte sehr."

      Der Fremde füllte und leerte sein Glas.

      "Ich würde ganz gern mit dabeisein", sagte Mr. Tupman, dem der Ball nicht aus dem Kopf ging.

      "Eintrittskarten zu einer halben Guinee beim Wirt, Sir", mischte sich der Kellner ein.

      Mr. Tupman drückte wiederholt seinen Wunsch aus, der Festlichkeit beizuwohnen, machte sich aber, da er in dem umflorten Blick Mr. Snodgraß und in den in Gedanken verlorenen Mienen Mr. Pickwicks keinem Verständnis begegnete, mit großem Eifer über den Portwein und das Dessert her. Der Kellner entfernte sich, und die Gesellschaft blieb allein, um die der Mahlzeit folgenden Stunden in traulicher Unterhaltung zu verbringen.

      "Sie entschuldigen, Sir", sagte der Fremde. "Flasche ruht – muß kreisen – der Sonne gleich – bis zum letzten Tropfen – keine Restchen." Wieder leerte er sein Glas, das er kaum zwei Minuten zuvor gefüllt hatte, und schenkte sich mit der Miene eines an Wein gewöhnten Mannes aufs neue ein.

      Die Flasche machte die Runde, und bald wurde eine neue bestellt. Der Fremde schwatzte, und die Pickwickier hörten zu. Mr. Tupman fühlte sich mit jedem Augenblick mehr geneigt, den Ball zu besuchen. Mr. Pickwicks Gesicht erglühte in einem Ausdruck alles umfassender Menschenliebe, und Mr. Winkle und Mr. Snodgraß sanken in festen Schlaf.

      "Oben fangen sie bereits an", sagte der Fremde. "Hören Sie? – Geigenklänge – jetzt die Harfe – es geht los." Musik tönte durch das Haus und verkündete den Beginn der ersten Quadrille.

      "Ich ginge gar zu gerne", begann Mr. Tupman abermals.

      "Ich auch", versetzte der Fremde. "Verdammtes Gepäck – langweiliges Gezottel – keinen passenden Anzug – ärgerlich, nicht wahr?"

      Nun gehörte zu den Grundzügen der Pickwick-Theorie unter anderem auch allumfassendes Wohlwollen, und niemand erwies sich eifriger in der Befolgung dieses edlen Grundsatzes als Mr. Tracy Tupman. Die Zahl der in den Protokollen der Gesellschaft verzeichneten Fälle, in denen dieser vortreffliche Mann Hilfsbedürftige zu anderen Klubmitgliedern nach Geldunterstützung oder abgelegten Kleidern geschickt hat, ist fast unglaublich.

      "Ich würde mich glücklich schätzen, Ihnen zu diesem Zwecke einen Anzug borgen zu können", sagte er, "aber Sie sind ziemlich schlank und ich ..."

      "Bißchen fett – ein echter Bacchus – ohne Kranz – vom Faß gestiegen und in Tuchhosen geschlüpft. – Haha! – Geben Sie mal die Flasche rüber."

      Ob Mr. Tupman ein wenig indigniert über den befehlenden Ton war, oder ob er als eines der bedeutendsten Pickwick-Klub-Mitglieder sich durch den respektlosen Vergleich mit einem unberittenen Bacchus verletzt fühlte, ist ein Faktum, das sich heute nicht mehr mit Sicherheit ermitteln läßt. Jedenfalls reichte er die Flasche hinüber, hustete ein paarmal und sah den Fremden einige Sekunden mit finsterem Gesichte an. Als er jedoch bemerkte, daß sich dieser durch seine Blicke nicht im geringsten beirren ließ, gewannen seine Züge allmählich ihren milderen Ausdruck wieder, und er brachte aufs neue den Ball zur Sprache.

      "Ich wollte bemerken, Sir", sagte er, "daß, wenn auch mein Anzug Ihnen zu weit ist, Ihnen doch vielleicht der meines Freundes Mr. Winkle besser passen würde."

      Der Fremde maß Mr. Winkle mit den Augen, und seine Züge erglänzten von Zufriedenheit.

      "Wie angegossen."

      Mr. Tupman sah sich um. Der Wein, der bereits an Mr. Snodgraß und Mr. Winkle seine schlafbringende Wirkung geübt, hatte sich auch der Sinne Mr. Pickwicks bemächtigt. Allmählich hatte der würdige Gentleman die verschiedenen Stadien durchlaufen, die der durch eine reichliche Mahlzeit veranlaßten Lethargie und ihren Folgen vorangehen, von dem Gipfelpunkt der Heiterkeit bis zu der Abgrundtiefe geistigen Elends, und wieder zurück. Wie eine Glaslampe im Freien, mit Luft in der Röhre, hatte er für einen Augenblick einen unnatürlichen Glanz verbreitet, dann war sein Licht zu einem kaum sichtbaren Flämmchen zusammengeschrumpft, das nach einer Weile für einen Moment wieder mit irrem und unsicherem Scheine aufflackerte, um schließlich ganz zu erlöschen. Sein Kopf war auf die Brust herabgesunken, und ein beständiges Schnarchen, gelegentlich durch einen Erstickungsanfall unterbrochen, war das einzig hörbare Anzeichen der Anwesenheit des großen Mannes.

      Die Versuchung, den Ball zu besuchen und die ersten Eindrücke der Schönheit der Kenter Damen zu genießen, übte gewaltigen Einfluß auf Mr. Tupman aus, und nicht minder groß war die Versuchung, den Fremden mitzunehmen, zumal er Ort und Einwohner so gut zu kennen schien, als ob er von Kindheit auf daselbst gelebt hätte. Mr. Winkle schlief, und Mr. Tupman wußte aus Erfahrung, daß sein Freund beim Erwachen sofort schwer ins Bett sinken würde. Er schwankte noch.

      "Schenken Sie sich ein und geben Sie die Flasche herüber", mahnte der unermüdliche Gast.

      "Winkle und ich schlafen zusammen. Wenn ich ihn jetzt weckte, könnte ich ihm nicht gut begreiflich machen, was ich von ihm will; aber er hat einen Abendanzug in. seinem Gepäck", begann Mr. Tupman nach einer Weile. "Ich denke, Sie könnten ihn ganz gut auf dem Ball tragen; ich brächte ihn nachher wieder an Ort und Stelle, ohne daß er überhaupt etwas von der Sache erführe."

      "Glänzend!" meinte der Fremde. "Famose Idee – verdammt verdrießliche Lage – vierzehn Röcke in den Kisten – und jetzt fremde Kleider anziehen müssen – sehr guter Gedanke das – gewiß."

      "Wir müssen aber jetzt unsre Eintrittskarten lösen", sagte Mr. Tupman.

      "Nicht der Mühe wert, Guinee zu halbieren. – Wollen losen, wer für beide zahlt. – Ich rate – Sie werfen. Also: – Frauenzimmer – Frauenzimmer – holdes Frauenzimmer."

      Das Goldstück fiel nieder, und der Drache, aus Galanterie Frauenzimmer genannt, kam nach oben zu liegen.

      Mr. Tupman klingelte, kaufte die Karten und ließ Kerzen bringen. In einer Viertelstunde war der Fremde mit Nathanael Winkles Kleidern ausstaffiert.

      "Es ist ein neuer Frack", erklärte Mr. Tupman, als sich der Fremde mit großer Selbstgefälligkeit in einem Ankleidespiegel betrachtete. "Der erste, der mit unsern Klubknöpfen gemacht wurde." – Er zeigte auf die vergoldeten Knöpfe, die die Buchstaben P. K. und dazwischen Mr. Pickwicks Brustbild aufwiesen.

      "P. K.?" sagte der Fremde. – "Schnurriger Einfall – Bild des alten Knaben und P. K.? – Was bedeutet P. K.? – Seltsamer Frack – wie?"

      Mr. Tupman erklärte mit steigendem Unwillen und großer Wichtigkeit die Bedeutung der geheimnisvollen Devise.

      "Etwas kurz in der Taille – nicht?" meinte der Fremde und verrenkte sich, um im Spiegel einen Blick auf die rückwärtigen Knöpfe zu erhaschen, die allerdings so ziemlich zwischen den Schulterblättern saßen. "Gerade wie eine Briefträgerjacke – wunderliche Fräcke das – statutenmäßig angefertigt – kein Maß genommen – geheimnisvolle Schickung der Vorsehung. – Alle kleinen Leute kriegen lange Röcke – alle großen kurze."

      So schwatzte der Fremde weiter, stutzte dabei seine – oder vielmehr Mr. Winkles – Garderobe zurecht und ging, von Mr. Tupman begleitet, die Treppe hinauf, die in den Ballsaal führte.

      "Ihre Namen, meine Herren?" fragte der Türsteher.

      Mr. Tupman wollte vortreten, um seinen Namen und Titel anzugeben, aber der Fremde hinderte ihn daran.

      "Nein. Keine Namen, ganz gute Namen – aber nicht bekannt – nicht berühmt genug – ganz famose