Sie sahen zu, wie Sarti aus dem Restaurant kam und sich seine Zigarette anzündete.
»Da ist er.«
Peter zog die Maschinenpistole unter seiner Jacke hervor. Eric legte einen Gang ein und fuhr aus der Parklücke.
Sarti spähte zu dem Motorrad, als dieses auf der Höhe des Mercedes angelangte. Peter hob die Waffe und feuerte eine lange Salve ab. Die Schüsse zerrissen die Stille der Nacht. Ein grellrotes Muster erschien auf Sartis elegantem gelbem Seidenhemd. Die Zigarette glitt ihm aus den Fingern. Er fiel vornüber auf den Gehsteig.
Der Leibwächter schoss, während das Motorrad vorbeipreschte. Die Schüsse hallten von den umstehenden Appartementhäusern wider. Das Motorrad geriet ins Schlingern. Peter grunzte und feuerte eine zweite Salve ab. Der Leibwächter taumelte und fiel. Eric stieg aufs Gas und das Motorrad donnerte davon.
Eine halbe Stunde später parkte die Maschine in einer Mietgarage am Stadtrand. Der Raum wurde nur von einer einzelnen, mit Fliegendreck übersäten Glühbirne erhellt, die von der Decke hing. Peter lag auf dem ölverschmierten Betonboden. Seine Jacke war blutgetränkt. Die Kugel hatte ihn tief an der Seite erwischt, aber er hatte es geschafft, sich auf dem Motorrad zu halten, bis sie die Garage erreichten. Jetzt aber befand er sich in einem Schockzustand und war kaum noch bei Bewusstsein. Sein Gesicht wirkte verkniffen und bleich im schwachen Licht der Lampe. Unter ihm breitete sich langsam eine Blutlache aus. Eric zog ein Handy hervor und wählte eine Nummer.
»Ist erledigt«, meldete er. »Aber es gab Schwierigkeiten.«
»Welche Schwierigkeiten?«
»Peter ist schwer verwundet. Er muss ins Krankenhaus.«
»Das geht nicht.«
»Ich weiß.«
»Du weißt, was zu tun ist. Kehre in die Botschaft zurück.« Der Anruf endete.
Eric schaltete sein Telefon ab und kniete sich neben den Mann am Boden. Zu dumm. Er hatte gerade angefangen, ihn zu mögen.
»Tut mir leid«, sagte er mit leiser Stimme.
Silbern blitzte ein Messer in seiner Hand auf. Er trieb es unter dem Brustbein in den Körper und drehte es herum. Blut schoss aus Peters Mund. Fassungslos riss dieser die Augen auf. Sein Körper versteifte sich, dann sank er kraftlos zurück. Der Gestank von Ausscheidungen füllte den Raum.
Eric stand auf. Er wischte das Messer an Peters Shirt ab und steckte es in seine Tasche zurück. Er verließ die Garage durch die Seitentür und lief zu einem Wagen, der in der Nähe parkte. In sechs oder sieben Stunden würde er in Paris sein. Wenn die Polizei das Motorrad und die Leiche fand, würde er bereits außer Landes sein. Die Behörden würden annehmen, dass Sartis Tod Teil eines Machtkampfes innerhalb der Unione Corse gewesen war, und dass man den anderen Mann umgebracht hatte, um ihn damit zum Schweigen zu bringen.
Was das anbelangte, würden sie recht haben, aber sie würden nicht auch nur im Entferntesten ahnen, was der wahre Grund hinter der Attacke in dieser Nacht war.
Kapitel 6
Auf dem Arbeitstisch in Selenas luxuriöser Eigentumswohnung lagen ausgebreitet die Seiten des Nostradamus-Manuskripts. Nick verbrachte viel Zeit hier, hatte sein eigenes Appartement aber behalten. Jedes Mal, wenn er erwog, bei ihr einzuziehen, hielt ihn etwas zurück. Selena hatte ihn nicht weiter gedrängt. Vielleicht, weil sie Angst davor hatte, was danach passieren würde, oder weil sie genauso vorsichtig war wie er. Er wusste es nicht, und sie hatten auch noch nicht darüber gesprochen.
In letzter Zeit hatte es den Anschein, als hätte sich etwas zwischen ihnen verändert. Als hätten sie sich voneinander entfernt. Er konnte nicht genau sagen, was genau es war. Nur so ein Gefühl. Manchmal beschlich ihn das Gefühl, dass die Beziehung zu ihr diesem Gummiball an einem Holzschläger glich, der davonhüpfte und wieder zurückgezogen wurde.
Er betrachtete die Manuskriptseiten auf dem Tisch. Ihretwegen hatte jemand versucht, auf offener Straße in Paris ein Messer in ihn hineinzurammen. Und Selenas Freund hatte sein Leben für sie gelassen. Was machte sie so wertvoll, dass man dafür sogar mordete?
»Glaubst du, dass Nostradamus wirklich in die Zukunft sehen konnte?«
Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Darüber streiten sich die Gelehrten, seit die Prophezeiungen 1555 veröffentlicht wurden. Ein paar seiner Verse scheinen sich auf reale Begebenheiten zu beziehen. Diese beiden zum Beispiel.«
Sie las aus ihren Notizen vor.
Eine Insel in der neuen Welt birgt Gefahren
Der junge Adler steht vor dem Bären
Donnergrollen über den Wassern
Schatten unterhalb des Meeres, grimmiger noch als Drachen
»Und?«, fragte Nick.
»Der Bär symbolisiert Russland, auch damals schon. Ich denke, es beschreibt die Kubakrise von 1962. Der Adler und der Bär könnten für Amerika und Russland stehen. Donnergrollen über den Wassern könnten Jets sein. Und die Schatten unterhalb des Meeres könnten sich auf U-Boote beziehen.«
»Du glaubst, er hat ein Ereignis vorhergesagt, dass 400 Jahre in der Zukunft lag?«
»Möglich ist es. Er sah auch den Aufstieg und Fall Hitlers und der Nazis voraus. Wenn er bei Hitler richtig lag, wieso dann nicht auch bei Kuba und den Russen?«
»Vielleicht. Du sagtest zwei Verse. Wie lautet der andere?«
Die Sonne berührt die Erde
Mit einem Wimpernschlag ist alles vorbei
Das Klagelied des Volkes
Verhallt ungehört vor dem Flammenthron
»Es gibt nur einen Flammenthron«, sagte sie, »und das ist der Chrysanthementhron in Japan. Demnach handelt dieser Vers von Hiroshima. Man könnte es so auslegen, dass das japanische Volk von ihrem Kaiser nicht erhört wurde, nachdem die Bombe gefallen war. Erst nach der zweiten gab Hirohito auf.«
Sie sah auf die Seiten hinunter. »Ich habe noch zwei weitere übersetzt, aber sie ergeben nicht viel Sinn.« Sie nahm einen Zettel mit Notizen auf und reichte ihn ihm.
Ein dunkler Prinz sucht, was gestohlen ward
Beim Klang der Trompeten
Lassen die goldenen Cherubim die Himmel erzittern
Ob sie obsiegen oder untergehen ist ungewiss
Wo Wasser mit Gold aufgewogen
Birgt eine kleine Burg unbezahlbare Schätze
Ein Kreuz und eine Kuppel weisen den Weg
Doch hüte dich vor dem roten Reiter
»Nichts davon ergibt einen Sinn«, sagte Nick. »Ein dunkler Prinz. Damit könnte er genauso gut Darth Vader meinen. Man kann diese Texte interpretieren, wie es einem gefällt.«
Selena lächelte. »Das war schon immer ein Problem mit dem lieben Doktor.«
»Nostradamus war ein Arzt?«
»Mehr oder weniger. Er besuchte nie eine medizinische Hochschule. Aber er war dafür bekannt, die Menschen während der Pest zu behandeln. Leider waren seine Mixturen nicht sonderlich erfolgreich.«
»Sieht so aus, als würdest du das so richtig