Die drei Männer hatten sich getroffen, um weiter darüber zu debattieren, wie sich ihr Plan, einen Krieg im Mittleren Osten auszulösen, in die Tat umsetzen ließ.
Die Insel gehörte Phillip Harrison III. Er war ein drahtiger Mann Mitte sechzig. Er trug ein weiches, sportliches Hemd mit geöffnetem Kragen, eine aufgebügelte hellbraune Hose und bequeme Slipper. Sein Gesicht besaß die typischen Züge eines alten Neuengländers, ein Gesicht, dem jede Spur von Humor fehlte und wie man es von den Porträts kolonialer Geistlicher und wohlhabender Händler aus dem 18. Jahrhundert kannte – hager und ernst. Harrison hatte graue Haare, haselnussbraune Augen und Hände mit langen, schmalen Fingern. Seiner Familie gehörte ein Großteil des amerikanischen Vermögens, und das bereits seit den frühen Tagen der Republik. Er besaß die größte private Investmentbank des Landes. Unter einer Summe von fünf Millionen Dollar konnte dort niemand ein Konto eröffnen. Harrison hielt das für eine vergleichsweise geringe Summe.
Oft dachte Harrison, dass er sich im 18. oder 19. Jahrhundert wohler gefühlt hätte, als sich Führungspersönlichkeiten für ihre Handlungen noch einzig und allein vor Gott verantworten mussten. Harrison glaubte an Gott. Er glaubte daran, dass Gott ihn in diese Welt geschickt hatte, um reich zu werden und diesen Reichtum dafür zu nutzen, den wahren christlichen Glauben zu verbreiten. Er glaubte daran, dass Gott ihn auf eine Mission ausgesandt hatte, um das Heilige Land und den Mittleren Osten der Kontrolle des Islams zu entreißen. Dies war der vorrangigste Antrieb in seinem Leben. Und es war der Grund, weshalb sich die drei Männer hier zusammengefunden hatten, auch wenn jeder von ihnen unterschiedliche Gründe besaß, dieses Ziel zu erreichen.
Der zweite Herr in der Runde war Stephen Boyd. Boyd war ein Mann mit einem rundlichen Gesicht und einem ebenso rundlichen Bauch. Seine Gesichtszüge wiesen erste Anzeichen für seinen körperlichen Verfall auf. Seine Lippen waren aufgedunsen, beinahe blau, was auf Verdauungsprobleme hindeutete, die ihn in Gesellschaft oft in Verlegenheit brachten. Boyds Familie war eine der dominanten Kräfte im Ölgeschäft gewesen, seit dem Beginn der Industrie in Pennsylvania. Die CIA hatte ihn direkt von der Uni abgeworben. Derzeit galt er als inaktiv, jedoch eine tiefgehende Quelle für jegliche Informationen. Nirgendwo existierten öffentliche Aufzeichnungen darüber, dass es überhaupt je Beziehungen zwischen ihm und Langley gegeben hatte. So war es ihm auch am liebsten.
Arthur Croft, dem dritten Mann, gehörte die Jacht am Ende des Piers. Croft betrieb ein internationales Konsortium von Rüstungsfirmen. Man konnte sich jede beliebige Waffe auf der Welt herauspicken, und die Chancen standen gut, dass sie von einer der Firmen innerhalb seines Konsortiums hergestellt worden war. Er besaß das Aussehen eines Raubvogels, mit schwarzen Augen, die unter dichten Augenbrauen funkelten. Auf einen gewissen Typ von Frauen wirkte er damit attraktiv. Für Croft war Krieg gut fürs Geschäft, egal, in welchem Teil der Welt er sich abspielte. Er war immer auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern, und ein großer regionaler Konflikt war die beste Geschäftsgelegenheit von allen. Der Konflikt, den sie gerade planten, würde ansehnliche Profite abwerfen.
Alle drei waren Mitglieder der Cask and Swords, einer Geheimgesellschaft, die sich in den Anfangstagen der Universität gebildet hatte. Jede Nation in der Geschichte besaß eine herrschende Kaste, die sich auf Vermögen, Beziehungen und Macht gründete. In Amerika gehörten viele dieser Kaste zu der Cask and Swords, darunter frühere und derzeitige Präsidenten, Kabinettsmitglieder, Gouverneure, Militärführer, Senatoren und Kongressabgeordnete. Der finanzielle Kurs des Landes befand sich derzeit ganz in der Hand von Cask-and-Swords-Mitgliedern.
Machtausübung und die Anhäufung von Vermögen bedurften stets der Opfer der Massen. Gewöhnliche Menschen hatten das nie verstanden, Harrison und die anderen aber schon. Alle drei Männer hielten es für ihr Geburtsrecht, das Schicksal der Nation zu formen und zu herrschen.
Sie beließen es bei Smalltalk, solange ein Diener ein leichtes Mittagessen und Getränke servierte. Harrison wartete, bis der Mann den Raum verlassen hatte.
»Der Versuch, das Nostradamus-Manuskript zu beschaffen, schlug fehl«, begann er.
»Wen hatten Sie mit der Beschaffung betraut?«, wollte Croft wissen.
»Marcel Sarti. Den Paten der Unione Corse.«
»Ich hätte Ihnen jemand besseren empfehlen können. Die französische Mafia ist unzuverlässig. Sie sind viel zu grob.«
»Das macht jetzt keinen Unterschied mehr. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass Sarti mich enttäuscht hat. Er besaß sogar die Arroganz, einen Teil des Honorars einzubehalten, und das, obwohl er scheiterte. Offenbar wähnt er sich in Kontrolle.«
»Was beabsichtigen Sie jetzt zu tun?«, fragte Boyd.
»Mit Sarti?« Harrison sah auf seine Uhr, eine goldene Patek-Phillipe. »Er wird uns bald schon keine Schwierigkeiten mehr machen. Das Manuskript bereitet mir größere Sorgen. Bertrand schickte es einer Frau, die für das PROJECT arbeitet.«
»Ah, die Lieblings-Geheimdienst-Einheit des Präsidenten.«
»Ja. Sie war mit Bertrand befreundet und zufällig in Paris. Bertrand schickte es ihr, kurz bevor er starb. Sie ist ausgebildete Kampfsportlerin. Als Sartis Schergen es ihr abzunehmen versuchten, beförderte sie die Männer in ein französisches Krankenhaus.«
»Glauben Sie, dass sie weiß, was sich in der Akte befindet?«
»Noch nicht.« Harrison nippte an seinem Weißwein aus einem seiner italienischen Weinberge. »Aber sie ist eine Sprachenexpertin. Sie wird in der Lage sein, es zu übersetzen. Dann wird sie es ihrer Vorgesetzten vorlegen. Das verkompliziert die Dinge.«
»Was werden sie Ihrer Meinung nach tun?«
»Ich vermute, dass sie der Spur der Quatrains folgen werden. Das gleiche, was wir beabsichtigen.«
»Und was, wenn sie finden, wonach wir suchen?«
»Es könnte für uns von Nutzen sein.«
»Das alles kann sich genauso gut als Zeitverschwendung herausstellen«, sagte Croft. »Ich denke, wir sollten mit dem Alternativplan fortfahren.«
»Wir müssen Geduld haben«, sagte Harrison. »Es ist über 3000 Jahre her. Ein wenig länger können wir noch warten.«
»Die Wahl in Israel rückt immer näher und Weisner liegt in den Umfrageergebnissen immer noch hinten.«
»Wie ich bereits sagte, Arthur, gedulden Sie sich. Auf die eine oder andere Art wird sich eine Möglichkeit bieten. Wenn eine andere Herangehensweise erforderlich werden sollte, werden wir dieser folgen. Alles ist bereit. Es wäre jedoch sehr viel besser, wenn alles so ausgeht, wie wir es uns erhoffen. Die Entdeckung wird Weisner in Israel zu einem Volkshelden machen. Seine Wahl wird damit sichergestellt sein. Und der Rest wird sich ergeben.«
Boyd trank einen Schluck Wasser. »Die EPA macht mir schon wieder Schwierigkeiten. Präsident Rice nimmt die Gesetze viel zu ernst.«
»Wenn der Krieg erst einmal begonnen hat, wird es keine Probleme mehr mit der EPA geben. Rice wird auf das Öl angewiesen sein«, antwortete Harrison.
Die Männer begannen zu essen.
Kapitel 5
Marcel Sarti trat aus seinem Lieblingsrestaurant in das abendliche Marseille hinaus, zündete sich eine Gitane an und seufzte zufrieden. Blauer Rauch stieg in trägen Spiralen von seiner Zigarette in die Luft auf. Von hier aus würde sich Marcel in einen seiner Clubs begeben, wo es Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen gegeben hatte. Sarti mochte keine Unregelmäßigkeiten. Er war dahintergekommen, wer dafür verantwortlich war, und beabsichtigte nun, eine anschauliche Botschaft an alle zu senden, die ebenfalls auf kreative buchhalterische Ideen kommen sollten. Doch im Moment genoss er einfach nur die Nachtluft und die Erinnerung an eine ausgezeichnete Mahlzeit. Die bevorstehende Unannehmlichkeit würde noch etwas warten müssen. Neben Sartis schwarzem Mercedes wartete ein Leibwächter an der geöffneten Wagentür.
Etwas weiter die Straße hinunter