Die Worte des Windes. Mechthild Glaser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mechthild Glaser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783732014545
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weit entfernt von allem.

      Und ich persönlich nahm natürlich ohnehin an, nie wieder einem von ihnen zu begegnen.

      Aber das war ein Irrtum.

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      1. Strophe

      Wettervorhersage

      Das nieselige Novemberwetter beschert ungemütliche Tage.

      Der Wind weht dabei schwach bis mäßig aus östlicher Richtung und treibt zwei geheimnisvolle junge Hexer vor sich her.

      Nachts kann es teils zu stürmischen Böen mit Geschwindigkeiten von über 100 Kilometern pro Stunde kommen.

      Robin sollte also lieber in Deckung gehen.

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      1

      Ein Sturm zieht auf

      Der Wind raunte mir Geheimnisse ins Ohr und das aufziehende Unwetter prickelte bereits in meinen Fingerspitzen. Jede Faser meines Körpers sehnte sich danach, den Kopf in den Nacken zu legen und auf das noch ferne Donnergrollen zu lauschen. Wie gern wäre ich mitten auf der Straße stehen geblieben, um auf die ersten silbrigen Regenfäden zu warten und sie mit den alten Liedern zu begrüßen!

      Aber das ging natürlich auf keinen Fall. Wieder einmal ermahnte ich mich selbst: Nach allem, was ich angerichtet hatte, durfte ich keine Hexe mehr sein. Jenen Teil meines Lebens hatte ich zusammen mit meiner Kindheit längst hinter mir gelassen. Ein Sturm sollte für mich inzwischen nur noch etwas sein, das manchmal eben geschah. Herrje, ich musste dringend aufhören, es für etwas anderes zu halten.

      Eilig hastete ich weiter über das Pflaster. Autos brausten an mir vorbei, wirbelten bräunliche Pfützen auf und mein Haar löste sich aus dem Knoten an meinem Hinterkopf, um wie eine Fahne hinter mir herzuflattern. Langsam bekam ich Seitenstiche, so als wäre ich wirklich bloß Robin, das sechzehnjährige Menschenmädchen, als das ich mich ausgab.

      Trotz der Stiche beschleunigte ich meine Schritte weiter. Ich konnte jetzt nicht zurückfallen. Nicht, wenn ich das Schlimmste verhindern wollte.

      Die Sohlen meiner Turnschuhe quietschten auf dem regenfeuchten Stein, während mich die schmutzigen Plattenbauten der Wohnsiedlung beobachteten. Es hatte den ganzen Vormittag über geschüttet wie aus Eimern und auch jetzt bauschten sich dunkle Wolken am Himmel über der Stadt. Und das Rauschen der verdammten Brandung, die wenige Häuserblocks entfernt über den Strand tanzte, erschien mir wieder einmal allgegenwärtig.

      Ein Stück vor mir erkannte ich derweil gerade noch die beiden Pferdeschwänze, die um die nächste Ecke verschwanden. Sie gehörten zu zwei Mädchen aus dem Jahrgang über meinem: Marie und Vivien. Ich kannte sie nicht wirklich und hegte eigentlich auch nicht den Wunsch, daran etwas zu ändern.

      So ziemlich jeder auf unserer Schule wusste, dass die beiden selten Gutes im Schilde führten. Wenn sie sich nicht rauchend bei den Toiletten herumdrückten, machten sie mit Vorliebe Jagd auf jüngere Schüler, um ihnen Geld oder die Handys abzuknöpfen. Notfalls mit Gewalt. Und ich hatte vor ein paar Minuten beschlossen, dabei nicht weiter zuzusehen. Eine Entscheidung, die ich möglicherweise schon bald bereuen würde, aber das war jetzt egal.

      Ich schlitterte ebenfalls um die Kurve und kurz darauf fand ich mich in einer Sackgasse wieder. Es war eine Art Hinterhof, an drei Seiten von bröckligen Betonmauern umgeben, die irgendjemand mit fragwürdigen Parolen besprüht hatte. Dazwischen Mülltonnen und ein rostiges Fahrrad – und Louisa aus der Achten.

      »Haha, jetzt kriegst du die Spider-App«, grölte Vivien, die sich vor ihr aufgebaut hatte und somit den einzigen Fluchtweg versperrte. Sie war kräftig gebaut und pfefferte Louisas uraltes iPhone mit Schwung auf den Boden.

      Louisa zuckte beim Geräusch des Aufpralls so heftig zusammen, dass sie beinahe ihre Brille verloren hätte. Vor Wut kamen ihr Tränen.

      »Bist du bescheuert?!«, rief sie, traute sich jedoch offenbar nicht, sich nach dem Handy mit dem nun gesprungenen Display zu bücken. Sie war vierzehn (sah allerdings aus wie zwölf) und erst vor einer Woche in unserer Wohngruppe eingezogen. Ich hatte mir daher überlegt, sie unter meine Fittiche zu nehmen, bis sie sich eingewöhnt hatte. Von ihrem Talent, sich andauernd in Schwierigkeiten zu bringen, hatte ich da natürlich noch nichts geahnt.

      »Jetzt ist deine Klappe plötzlich nicht mehr so groß, was?«, feixte Marie. Sie war so stark geschminkt, dass es mich an das Farbenspiel so mancher Tiefseeraubfische erinnerte. Auf ihren Wangen glänzte perlmuttfarbenes Puder und ihr Lidstrich war etwa zwanzigmal dicker als mein eigener. Vielleicht bemerkte sie mich auch deshalb erst, als ich mich an ihr vorbeidrängte und vor Louisa schob.

      »Robin!«, murmelte diese erleichtert und ich nickte ihr kurz zu, bevor ich mich an die Smartphone-Zerstörerinnen wandte.

      »Okay, das reicht, ihr hattet euren Spaß«, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Lasst sie in Ruhe.«

      Vivien, die inzwischen Anstalten gemacht hatte, auf dem Handy herumzutrampeln, hielt in ihrer Bewegung inne. »Und was hast du hier zu sagen?«, erkundigte sie sich halb belustigt, halb genervt. Ihr Sweatshirt spannte über ihrer Brust, als sie sich zu ihrer vollen Größe aufrichtete.

      Ich blinzelte, weil ich keine Lust auf diesen Blödsinn und schon seit der Mathestunde schlimme Kopfschmerzen hatte. Es war dieses dumpfe Pochen hinter meinen Augen, das mich häufig belästigte und auch heute wieder wie ein unaufhörlich kreiselnder Wirbelsturm in meinem Schädel wütete … Ich biss mir auf die Unterlippe und konzentrierte mich aufs Atmen.

      Unterdessen reckte Vivien herausfordernd das Kinn. »Was du zu melden hast?«, wiederholte sie mit einem warnenden Unterton in der Stimme.

      Ich seufzte und sah ihr direkt in die Augen. »Witzigerweise wollte ich dich gerade genau dasselbe fragen.«

      Sie starrte mich an und ich starrte zurück, während ich mich daran zu erinnern versuchte, ob es Vivien oder Marie gewesen war, die letztes Jahr diese Jugendstrafe wegen Körperverletzung bekommen hatte.

      Realistisch betrachtet hatte ich natürlich keiner der beiden etwas entgegenzusetzen. Ich war schließlich kaum größer als Louisa, nicht gerade muskulös und konnte keinerlei Judotricks oder so. Warum hätte ich so etwas auch lernen sollen, wenn ich meine Hexenmagie besaß? Zwar stand es nicht zur Debatte, sie je wieder einzusetzen … Doch ich wusste, dass ein schwacher Abglanz meiner früheren Macht noch immer dann und wann aufblitzte, und vielleicht gelang es mir ja …

      Tatsächlich wichen die beiden Mädchen plötzlich kaum merklich vor mir zurück.

      Marie, die noch immer Louisas Rucksack in der Hand hielt und just ein Trinkpäckchen darin gefunden hatte, kniff die von künstlichen Wimpern umrahmten Augen zusammen und betrachtete mich genauer. Sie taxierte mich einen Moment lang, bevor sie murmelte: »Du bist doch die Schlafwandler-Schlampe aus der Elften.«

      »Hundert Punkte.« Selbstverständlich schlafwandelte ich ganz und gar nicht, aber es war immer noch die beste Erklärung für meine neumondnächtlichen Spaziergänge am Strand und daher ließ ich die Leute gern in dem Glauben. »Und ihr seid also diejenigen, die für diese Handyreparatur aufkommen werden«, sagte ich. »Schön, dass wir das klären konnten.«

      Jetzt sog Marie scharf die Luft ein. »Wie bitte?«

      Vivien schnaubte. »Als ob –«, begann sie.

      »Doof, dass es euch versehentlich heruntergefallen ist«, fuhr ich fort. »Aber Louisa gibt euch netterweise die Chance, es wiedergutzumachen. Wir lassen euch dann die Rechnung für das neue Display zukommen.« Ich bückte mich nach dem Handy und wischte es an meiner Jeans sauber, bevor ich es Louisa reichte. Anschließend schnappte ich Marie den Rucksack weg, ehe sie so