Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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Geheimdienst OZNA vom November und Dezember 1944, die erst im Jahr 2018 entschlüsselt werden konnten. Die Dokumente lassen erkennen, dass Mayr, Dereatti und Moser ebenfalls als politische Gegner der Nachkriegsziele der KPS betrachtet und als ›Spione‹ des westlichen Imperialismus eingestuft wurden. Sehr wahrscheinlich wurden auch sie nach den Verhören in der Enklave von Gorenja Trebuša in der Nähe von Tolmin im Geheimen liquidiert.124

      So unrühmlich die stalinistischen Praktiken der Beseitigung von tatsächlichen oder vermeintlichen politischen und ideologischen Konkurrenten im Widerstand sind, sollten sie doch nicht vom zentralen Problem ablenken, mit dem die Offiziere der SOE und des OSS bei ihren Erkundungen im Grenzgebiet konfrontiert waren: dem fehlenden Widerstandswillen in der deutschsprachigen Bevölkerung, dem Ausbleiben von Anzeichen oder Nachrichten über existierende Widerstandsgruppen. Obwohl Hubert Mayr mithilfe von friulanischen Osoppo-Partisanen, ortskundigen Wehrmachtsdeserteuren und einigen Einheimischen in Oberkärnten und Osttirol ein filigranes Netzwerk an Anlaufstellen und Kurieren aufbauen konnte, blieb ihm nach einem Verrat bei der Gestapo im Oktober 1944 nur mehr die Flucht zurück zu den slowenischen Partisanen. In Nordostitalien hatten SS- und Wehrmachtseinheiten sowie Kosakentruppen die im Sommer 1944 erkämpften Partisanenrepubliken zerstört. Auch Hesketh-Prichard hatte unter der deutschsprachigen Bevölkerung in Ostkärnten kaum Anknüpfungspunkte für sein Vorhaben gefunden, sich von der slowenischen Partisaneneinheit zu trennen und weiter nach Ostösterreich vorzudringen. Berichte über einen blühenden Widerstand von Partisanengruppen mit so klingenden Namen wie ›Freiheitsfront‹ (Salzburg), ›Roter Adler‹ (Tirol) und ›Grüne Kader‹ (Steiermark), verfasst von Mitarbeitern des amerikanischen Counter Intelligence Corps im Frühjahr 1944, waren vermutlich aus irreführenden Berichten aus Jugoslawien und durch die von der sowjetischen Propaganda gespeisten Illusionen österreichischer Exilorganisationen entstanden.125 Bis zum Herbst 1944 hatten sie sich für SOE und OSS als Makulatur herausgestellt. Genau zu diesem Zeitpunkt begann die imaginäre Fabrikation von österreichischen Partisanenverbänden an einem anderen Ort, der Schweiz. Diese fantastischen Erzählungen stammten aus der Feder von Fritz Molden.

      Was das Zielgebiet Deutschland betraf, gab es beim OSS-Regiment in Bari bis September 1944 keinerlei Planungen für Spezialeinsätze zur Unterstützung von Widerstandsgruppen oder für die Sabotage von militärisch oder ökonomisch wichtiger Infrastruktur jenseits der deutschen Südgrenze. Für die sogenannte ›northern penetration‹, also Einsätze in Österreich, Ungarn, der Tschechoslowakei und Deutschland, stand in Bari weder eine Organisation noch Personal bereit.126 Wahrscheinlich deshalb erhielt die Österreich-Abteilung der SOE Ende Mai 1944 das Angebot, an einer OSS-Operation teilzunehmen, die zwei Agenten nach Bozen bringen sollte, um dort italienische Widerstandsgruppen per Funk mit Bari zu vernetzen. Der Leiter der Mission, der Trentiner Kommunist Mario Puecher, ein enger Mitarbeiter des Chefs der Kommunistischen Partei Italiens, Palmiro Togliatti, verfügte zudem über exzellente Verbindungen zu einer kommunistischen Gruppe in Innsbruck, die er wenige Wochen zuvor besucht hatte.127 Diese Verbindung sollte ein dritter Agent ausnutzen. Obwohl die Österreich-Abteilung der SOE normalerweise nicht mit Kommunisten arbeitete, stimmte sie zu, denn die Chance, mithilfe der Innsbrucker Gruppe die Brennerstrecke zu sabotieren, war mehr als verlockend. Ausgewählt wurde der 23-jährige Wiener Friedrich Berliner, der sich als jugendlicher Nazi-Gegner in Wien 1939 einen Reisepass organisiert hatte, der ihn als Juden auswies, um der Gestapo als Begleitperson eines Kindertransports nach England entkommen zu können. Berliner war ein Allroundtalent, Mechaniker, künstlerisch versiert, Radsportler. Seine Ausbildner beschieden ihm hohes Selbstbewusstsein, Risikofreude und Kaltschnäuzigkeit. Für die SOE war die Brenner-Eisenbahn ›of paramount interest‹. Zweifellos würde die Bahnstrecke streng bewacht sein, aber – so die Hoffnung der SOE – »if the Communists have an efficient organisation, they might well find some means of attacking it«. Ein Erfolg am Brenner wäre, so der für Österreich zuständige SOE-Offizier James Darton, »a very great feather in all of our caps«.

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      032 Der Wiener Flüchtling und SOE-Offizier Friedrich Berliner sollte im Sommer 1944 die Brennerlinie ins Visier nehmen. Sein Versuch einer Fallschirmlandung scheiterte in der Nähe von Bozen.

      Die hochversierten Dokumentenfälscher der SOE produzierten für Friedrich Berliner die Deckidentität eines Wiener Mechanikers, der von der Wehrmacht zurückgestellt war und seinen Arbeitsplatz in einem Steyr-Daimler-Puch-Werk in Wiener Neustadt wegen Bombenschäden verloren hatte. Nun war er der gefälschten Arbeitskarte zufolge in der Maschinenfabrik Julius Kinz, Feldgasse 11, in Innsbruck beschäftigt, die es tatsächlich gab. Ein ganz ähnliches Muster einer Deckidentität sollte Fred Mayer später während der Operation Greenup verwenden.

      Berliner erhielt ein Funkgerät, in dem seine deutschen Identitätspapiere versteckt waren, und sprang am 27. Juli 1944 mit den beiden OSS-Agenten in der Nähe von Bozen ab. Doch die Landung ging schief. Berliner wurde abgetrieben und beschossen, es gelang ihm nur mit knapper Not die Flucht. Er schaffte es in einer achtwöchigen Odyssee mithilfe von Zivilisten und Partisanen zurück über die Front. Wie sich erst nach Kriegsende herausstellte, war Mario Puecher als Doppelagent für die deutsche Sicherheitspolizei in Bozen tätig gewesen. Von einer kommunistischen Widerstandsgruppe in Innsbruck im Frühjahr 1944 ist bis heute nichts bekannt. Friedrich Berliner kam frustriert an die SOE-Basis zurück. Er brannte darauf, einen weiteren Einsatz zu versuchen. Nach dieser Erfahrung und dem Scheitern der Expedition von Hubert Mayr nach Nordtirol hatte die Österreich-Abteilung das Interesse an Tirol verloren und konzentrierte sich auf Ostösterreich – dort war auch dem bereits antizipierten nächsten Feind, der Sowjetunion, zu begegnen. Unter diesem Vorzeichen sandte ihn die SOE im Februar 1945 alleine nach Graz, um einige Sozialdemokraten zu kontaktieren, deren Adressen ihm Exilsozialisten bei der SOE mitgaben. Berliner fand in Graz keine Aufnahme. Er schloss sich slowenischen Partisanen auf der Koralm an und wurde schließlich auf dem Weg nach Slowenien in der Nähe von Marburg verhaftet und der Grazer Gestapo überstellt. Am 2. April 1945 ließ ihn der für die Verfolgung von Fallschirmagenten zuständige SS-Hauptsturmführer Adolf Herz in der Wetzelsdorfer Kaserne in Graz erschießen. Auch weitere SOE-Einsätze im Sommer 1944 direkt in Österreich brachten keine Ergebnisse. Der Wiener Arbeiter und Wehrmachtsdeserteur Alois Sokol geriet bald nach seiner Landung in Niederösterreich in die Fänge der Gestapo und wurde im November 1944 von der SS im KZ Mauthausen hingerichtet.128

      Die erste Entsendung einer größeren Gruppe von OSS-Agenten mit dem Zielgebiet Deutsches Reich entsprang einer Planung der Labor Section und der Abteilung für Secret Intelligence in Central Europe (SI-CE), beide hatten im OSS-Regiment in Süditalien Filialen für Einsätze in Zentraleuropa. Die Erste stand unter der Leitung von Edward Mosk, einem linksliberalen Rechtsanwalt aus Kalifornien, der nach dem Krieg Aktivist der ›Progressive Citizens of America‹ wurde.129 Die Zweite wurde von Howard Chapin geleitet, einem Werbefachmann bei General Foods, dem größten Nahrungsmittelkonzern der USA. Die zwölf Männer, ein gemischtes Team aus amerikanischen Offizieren sowie deutschen und österreichischen Exilanten, starteten Ende August 1944 mit großen Hoffnungen, die sich aus Erinnerungen an die kämpferische österreichische Sozialdemokratie, den Spanischen Bürgerkrieg, Erwartungen linker Solidarität seitens der slowenischen Partisanen und auch Gerüchten über Partisanengruppen in Österreich speisten. Die Kluft zur harten Realität war gravierend. Unter dem Kommando von Charles Fisher130, im Zivilberuf Industrieanalyst bei einer Kommunalbank in Pittsburgh, und dem deutschen Exilsozialisten Robert Wichmann erhielten sie weder ausreichende Unterstützung der slowenischen Partisanenführung, um die Drau zu überqueren, noch wurden sie von österreichischen NS-Gegnern in Slowenien kontaktiert – in beiden Richtungen eröffnete sich keine Kommunikation. Ohne Aussicht auf Erfolg musste ein Teil der Gruppe nach wenigen Wochen nach Italien zurückkehren. Auch Wichmann verließ Slowenien gemeinsam mit dem Leiter der OSS-Mission in Slowenien, Franklin Lindsay, zwei Monate später unverrichteter Dinge. Ihr Aktionsradius war durch die Kontrolle der Partisanenführung derart eingeschränkt, dass sie nicht einmal von der Aufstellung der Österreichischen Bataillone innerhalb der Partisanenarmee unter der Führung der KPÖ etwas mitbekamen.131 Gerüchte darüber hatten sie gehört, aber nach zwei Monaten in Slowenien war Fisher überzeugt, dass sie gar nicht existierten, wie er in seinem letzten Brief an Howard