Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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Herkunft zusammengeschweißt und Wijnberg hatte keinen höheren Rang als den eines technischen Corporals erreicht. Immerhin war er damit als Funkspezialist ausgewiesen. Auch Fred Mayer behielt gewisse Angewohnheiten bei, wahrscheinlich hatten sie durch die OSS-Ausbildung sogar an Effektivität gewonnen. Gerald Schwab berichtete er davon, dass er antisemitische Bemerkungen weiterhin mit deutlichen Zeichen der Ablehnung quittierte, einem gut platzierten Faustschlag beispielsweise, der einen weit größeren Kerl niederstreckte.114

      Im Mai 1944 kehrte die Gruppe nach Washington zurück. Die Männer erhielten zwei Tage Urlaub. Anfang Juni kam der erwartete Marschbefehl nach Algier in Nordafrika, wo das OSS eine große Basis für die Vorbereitung des D-Day aufgebaut hatte, jenes Tages, an dem die amerikanischen und britischen Streitkräfte in Frankreich landen würden. Die totale Mobilisierung der amerikanischen Gesellschaft für den Kampf gegen die Achsenmächte hatte die Kriegslage in Europa drastisch verändert. Schon vor dem Kriegseintritt entschloss sich Präsident Roosevelt, der Sowjetunion zu helfen. Die fortlaufende Lieferung von Edelstahl, Flaks, Flugzeugen, Kraftfahrzeugen und großen Mengen von Lebensmitteln über Persien, Wladiwostok und eine Luftbrücke aus Nordafrika war ein wesentlicher Faktor dafür, dass die Rote Armee den Ansturm der deutschen Streitkräfte aufhalten, die Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 für sich entscheiden und in der Folge mithilfe in den USA gebauter Lkws und Jeeps rasch gegen Westen vorrücken konnte.115

      Eine zweite wesentliche Wende führten amerikanische, britische und französische Truppen im selben Zeitraum in Nordafrika herbei, als sie in Marokko, Algerien und Tunesien landeten und in harten Kämpfen bis Mai 1943 die deutschen und italienischen Verbände besiegten. Einen wesentlichen Beitrag zum militärischen Sieg leisteten die Erkenntnisse über die deutschen Nachschublinien, die dem britischen Geheimdienst MI 6 vorlagen, nachdem es ihm gelungen war, die verschlüsselte deutsche Kommunikation zu knacken. Die Eroberung Nordafrikas bedeutete für Deutschland über kurz oder lang den Verlust Italiens als Verbündeten – das wiederum zog eine weitere Belastung durch die Besetzung eines großen Landes nach sich. An den Operationen in Algerien und Tunesien waren OSS- und SOE-Einsatzgruppen beteiligt. Beide schufen in Nordafrika Basen, um einerseits die Landungen der regulären Streitkräfte in Sizilien und Süditalien ab Juli 1943 mit Vorausgruppen zu unterstützen, andererseits Einsatzgruppen per Flugzeug über das Mittelmeer nach Frankreich zu schicken, wo sie mit Fallschirmen landeten, um der französischen Widerstandsbewegung unter die Arme zu greifen. Für ein derartiges Kommando waren Fred Mayer und Hans Wijnberg, die fließend Französisch sprachen, vorgesehen, als sie am 6. Juni 1944 ein Truppenschiff nach Algerien betraten. Am selben Tag begann die Operation ›Overlord‹, die Landung der angloamerikanischen Streitkräfte in der Normandie.

      Das Zielgebiet der OSS-Gruppe, die nach Algerien geschickt wurde, war Südfrankreich, wo eine zweite Landung folgen sollte. In Frankreich hatte es bis Mitte 1942 kaum bewaffneten Widerstand gegeben. Den Umschwung löste die Durchsetzung einer Arbeitsverpflichtung aus, die der deutsche Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, im August 1942 dem mit Deutschland verbündeten Regime unter General Philippe Pétain vorschrieb. Manche junge Männer entzogen sich dem Zwang, im Deutschen Reich Arbeit zu leisten, durch die Flucht ins Gebüsch (›maquis‹). Doch mehr als 700.000 französische Zivilisten wurden in das Deutsche Reich verbracht. Die Ungehorsamen erhielten vielfach Hilfe der Landbevölkerung, durch Verstecke, durch Lebensmittel, einfach durch das Ermöglichen des täglichen Überlebens. Dadurch übertraten auch bisher angepasst lebende Menschen die Vorschriften und die Illegalisierung des Alltags begann – eine günstige Voraussetzung für das Wachsen des Widerstands (wie es auch in Polen, Jugoslawien und Norditalien geschah). Bis zum Herbst 1943 bildeten etwa 20.000 junge Männer Widerstandsgruppen sowohl im südlichen Vichy-Frankreich als auch im okkupierten Norden des Landes. Mithilfe französischer und britischer SOE-Agentinnen und -Agenten, die Funknetzwerke aufbauten, befanden sie sich in Austausch mit der französischen Exilarmee unter Charles de Gaulle und hatten einen Nationalen Widerstandsrat gebildet, der von den Alliierten anerkannt wurde.116 Bis in das Frühjahr 1944 wuchs die Widerstandsbewegung ungeachtet massiver Repressalien nach amerikanischen Schätzungen auf eine Stärke von 100.000 Männern und Frauen an – diese Kraft konnte ein Element in den angloamerikanischen Planungen sein. Während der Invasionen in Frankreich setzten SOE und OSS unter einem gemeinsamen Kommando fast 100 weitere interalliierte Teams ab, die mit lokalen Widerstandsgruppen Sabotageaktionen durchführten und Waffenlieferungen abwickelten.

      Fred Mayer und Hans Wijnberg erinnerten sich, dass sie für einen solchen Einsatz in Südfrankreich vorgesehen waren, die Fallschirme bereits geschultert hatten, als der Abflug abgesagt wurde. Aus welchen Gründen auch immer: Mayer, Wijnberg und einige weitere Agenten aus ihrer Gruppe kamen nie auf die Liste der Mannschaften, die das gemeinsame britisch-amerikanische Kommando in Algier für Spezialeinsätze in Südfrankreich erstellte. Einige der Männer, die mit den beiden das Trainingsprogramm in den USA durchlaufen hatten, befanden sich unter den 200 OSS-Agenten, die im Lauf des Sommers in kleinen Teams oder in größeren Einsatzgruppen in Südfrankreich abgesetzt wurden.117 Stattdessen begann wieder eine Phase des Trainings, nun allerdings weniger um ihre Fähigkeiten auszubilden, als um sie beschäftigt zu halten, bis eine neue Einsatzmöglichkeit gefunden war. Die Moral der ursprünglich hochmotivierten Männer verbesserte sich dadurch nicht. Fred Mayer erinnerte sich im Gespräch mit Joseph Persico an die Enttäuschung, nach all seinen Anstrengungen, der regulären Infanterie zu entkommen, im nordafrikanischen Wüstensand gestrandet zu sein.

      Nordafrika verlor als Ausgangsbasis nach den Invasionen in Frankreich für OSS und SOE rasch an Bedeutung. Beide Organisationen hatten nach der alliierten Landung in Salerno und dem Ausscheiden Italiens aus der Achse im September 1943 in Süditalien neue Basen etabliert. Die deutsche Wehrmacht hielt Italien bis nördlich von Neapel besetzt. Vor dem Sporn an der Ostküste, in der Ebene von Foggia, richteten die Luftstreitkräfte ihre Flugplätze ein. Von hier aus waren nicht nur Norditalien, Südfrankreich und der Balkan besser zu erreichen. Erstmals befanden sich auch Deutschland, Österreich und Rumänien in Reichweite. Für SOE und OSS erschlossen sich damit erstmals Zugänge nach Zentraleuropa. Die an die 8. Britische Armee angeschlossenen SOE-Einheiten nannten ihre Basis bei Bari ›Maryland‹ und ihre Organisation ›No. 1 Special Force‹. Diese wickelte alle britischen Spezialeinsätze auf dem Balkan, in Italien und nach Österreich ab.118 Die an die 5. US-Armee angeschlossenen OSS-Einheiten wurden in Caserta unter der Bezeichnung 2677th Regiment OSS zusammengefasst. Dieses Regiment koordinierte alle amerikanischen Operationen auf dem Balkan, in Italien und Zentraleuropa.

      Aus dem toten Winkel Nordafrika herauszukommen war daher die dringendste Aufgabe für den kommandierenden Offizier der Einsatzgruppe, in der sich Fred Mayer und Hans Wijnberg befanden. Das gelang ihm erst Ende August 1944. Doch in einem Lager der US-Armee bei Neapel setzte sich das zermürbende Warten fort. Warten, mitten im Krieg? Das mag paradox klingen. Warten war aber keine Ausnahme, sondern im Fall von Agenten die Regel.

      Die Voraussetzungen, um einen Einsatz überhaupt planen und organisieren zu können, waren äußerst vielfältig. Die Art der Einsätze hing ganz wesentlich vom Entwicklungsstand des Widerstands im Zielgebiet ab. Für eine größere Einheit zur Verstärkung von Sabotage- und Widerstandsgruppen wie jene von Fred Mayer und Hans Wijnberg fehlten sowohl in Norditalien als auch in Jugoslawien die Voraussetzungen. In Norditalien hatte sich der bewaffnete Widerstand auf breiterer Basis erst im Frühjahr 1944 gebildet. Zunächst erhielten die kommunistisch geführten Garibaldi-Partisanen, die von der liberalen antifaschistischen Bewegung ›Giustizia e Libertà‹ geformten Gruppen und die von Christdemokraten gegründeten Osoppo-Partisanen Zulauf von italienischen Soldaten, die bislang auf dem Balkan gekämpft hatten und nun von einer Zwangsrekrutierung durch die Wehrmacht bedroht waren. Hinzu kamen Zivilisten, die vor der Verschickung zur Zwangsarbeit nach Deutschland flüchteten oder zum Stellungsbau herangezogen werden sollten. Unter den Aktivisten befanden sich viele Frauen. Ein Beispiel: 80 der 200 Mitglieder der ›7a brigata‹ der Gruppo di Azione Patriottica (GAP) in der Emilia-Romagna waren weiblich – die Brigade wurde von Novella Albertazzi geführt.119 Im Februar bildeten die antifaschistischen Parteien in Mailand das Comitato di Liberazione Nazionale Alta Italia (CLNAI). Die ersten Partisanenformationen agierten in Form kleiner Zellen in den Städten und in den Gebirgsregionen als noch lose Guerillagruppen, die keine direkten Kämpfe riskieren konnten. Sie waren