Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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the topographical lay-out of practically every important town in Central Europe today. We should set about exploiting their knowledge and ability right now.«98 Diese Konzeption einer subversiven Zusammenarbeit mit demokratischen und fortschrittlichen Kräften im britischen Exil und in Europa trat auf britischer Seite bald in den Hintergrund oder wurde, genauer formuliert, zu einem Nebenaspekt der übergeordneten Strategie der militärischen Bezwingung der deutschen Streitkräfte unter Herstellung einer westlichen Hegemonie in Europa.

      Auch die Idee der Einbeziehung von Flüchtlingen und Exilanten in die Kriegsanstrengungen gegen die Achsenmächte wurde zwar aufgegriffen, aber zögerlich und halbherzig umgesetzt. Stattdessen bildeten die nationalen Exilregierungen in London eigene Streitkräfte, die Free French Forces, die polnischen Truppen im Westen, die norwegische Exilarmee, die tschechoslowakischen Verbände, die alle zum Teil selbstständig, zum Teil unter dem Kommando der britischen Armee und Luftwaffe gegen die Achsenmächte kämpften. Internationale Kampfverbände nach dem Vorbild der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg entstanden nicht. Der Widerstand gegen Hitlers Imperium konstituierte sich entlang nationaler Linien. Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich blieben gewissermaßen übrig, denn es gab weder eine deutsche noch eine österreichische Exilregierung. Als feindlichen Ausländern (›enemy aliens‹) erlaubte die britische Regierung ihnen erst ab 1943, sich zu den bewaffneten Streitkräften zu melden. Vorher mussten sie sich mit den nichtkämpfenden Pioniereinheiten begnügen, also mit dem Verladen von Kriegsmaterial in den Häfen, dem Beseitigen von Bombenschäden in London, dem Errichten von Baracken in Wales oder dem Graben von Straßen in Schottland.

      Einzige Ausnahme war die SOE, die allerdings hochselektiv rekrutierte. 1941 nahm sie von etwa sechzig Kandidaten nicht mehr als fünfzehn deutschsprachige Flüchtlinge aus den Pioniereinheiten auf, um sie für Spezialeinsätze hinter den feindlichen Linien, für Sabotage, Kontaktaufnahme mit NS-Gegnern und Widerstandskämpfern, auszubilden. Es handelte sich fast ausschließlich um jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich. Der Verlauf der ersten Einsätze zeigte, dass die Zeit in keiner Weise reif war für derartige Missionen. Durch den Überfall Deutschlands auf Jugoslawien im April 1941 war auch an der Südostgrenze des Deutschen Reichs der Zugang zum Land versperrt. Dort, im Grenzgebiet zwischen Jugoslawien, Kärnten, der Steiermark und Italien, hatten die Briten 1940 den ersten Versuch gestartet, mithilfe österreichischer, jugoslawischer und italienischer Antifaschisten die kriegswichtige Südbahnstrecke zwischen Wien und Udine zu sprengen. Die Bahnlinie bildete die wichtigste Verkehrsader zwischen den Industrieräumen im Ost- und Südostraum der Achsenmächte, über die aufgrund der britischen Seeblockade ein Großteil der deutschen Kohletransporte nach Italien abgewickelt wurde. Es gelangen zwar einige kleine Anschläge, die Abwehr und die Gestapo konnten das subversive Netzwerk mithilfe eingeschleuster Doppelagenten aber rasch aufdecken. Die Aktivisten wurden gnadenlos verfolgt, in KZs deportiert, schwer misshandelt und durch ein deutsches Kriegsgericht in Klagenfurt sowie ein italienisches Tribunal in Triest zum Tod verurteilt.99

      Die ersten Agenten, die Anfang 1941, noch vor dem Überfall der Achsenmächte, von London nach Jugoslawien gesandt wurden, um Kontakte zu NS-Gegnern im Deutschen Reich herzustellen, waren der ehemalige Wiener sozialdemokratische Schutzbundführer Theodor Schuhbauer und der sudetendeutsche Sozialdemokrat Franz Preiss. Das Schiff, auf dem sie England verließen, wurde vor Westafrika von einem deutschen Torpedo versenkt – eines von vielen Ereignissen, welche die praktischen Schwierigkeiten subversiver Kriegsführung im Herrschaftsbereich der Achsenmächte zu diesem Zeitpunkt drastisch offenbarten.100

      Die Schweiz als letztes Sprungbrett ins Deutsche Reich im Herzen des Kontinents agierte strikt neutral und ihre Geheimdienste gingen gegen jeden Versuch der Briten vor, das Land als Basis für eine Infiltration ins Deutsche Reich oder für die Sabotage von Wehrmachtstransporten zu nutzen. In Schweden war es nicht anders. Die erste Repräsentantin der deutsch-österreichischen Abteilung der SOE in der Schweiz, Elizabeth Hodgson, die mithilfe des Schweizer Sozialisten René Bertholet und des deutschen Sozialisten Karl Gerold, beide Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK), Kurierlinien nach Süddeutschland, Vorarlberg und Tirol legte, hatte dabei schon die Brennerstrecke als Sabotageziel im Visier. Über den Brenner rollten die deutschen Rohstoffexporte nach Italien – die Strecke war die zweite zentrale Wirtschaftsader des Bündnisses zwischen Hitler und Mussolini. Doch Hodgson musste 1943 aus der Schweiz fliehen, nachdem die Schweizer Behörden Gerold festgenommen und sie zur Verhaftung ausgeschrieben hatten.101

      Die Dokumente der NS-Justiz zeigen jedoch, dass ein anderer Zugang in den ersten beiden Jahren nach Kriegsbeginn einfacher und produktiver war als eine direkte Infiltration von Agenten: Radiosendungen, die lokalen NS-Gegnern Anleitungen für Sabotage übermittelten. Der britische ›Sender der Europäischen Revolution‹, den deutsche und österreichische Exilsozialisten der Gruppe Neu Beginnen mithilfe der SOE in England betrieben, darunter die Wiener Sozialwissenschaftlerin Marie Jahoda, verbreitete nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion im Juli 1941 detaillierte Anleitungen, wie Züge mit einfachen Mitteln nachhaltig beschädigt werden können. Starken Gebrauch davon machten Arbeiter und Eisenbahner in der Obersteiermark und in Kärnten. Sie wollten die überfallene Sowjetunion unterstützen und fanden die naheliegende Methode darin, in den Bahnhöfen Wehrmachtszüge durch eine technische Manipulation der Bremslager zu beschädigen.102 Die von Kommunisten aufgebaute Organisation verübte mehr als 200 solcher Sabotageakte. Im Herbst 1941 wurde sie von der Gestapo Klagenfurt zerschlagen. Der NS-Staat nahm diesen frühen militanten Widerstand sehr ernst. Dreizehn Saboteure wurden zum Tod verurteilt und starben unter dem Fallbeil. Die »Eisenbahnsabotageorganisation in der Steiermark und Kärnten« war dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin, der Führungsbehörde der Gestapo und SS, neben der »Wiener Sabotage- und Terrororganisation«, die aus tschechischen Kommunisten bestand und 47 Brand- und Sprengstoffanschläge in Wien und Umgebung durchgeführt hatte, Beleg dafür, dass die »Ostmark […] in sabotage-polizeilicher Hinsicht eine wesentlich größere Rolle« spielte als das Altreich.103 Sichtbar nach außen wurde dieser Widerstand jedoch nicht. Die deutschen Kriegserfolge im Westen und im Osten überdeckten alles.

      Solange sich die deutsche Wehrmacht in der Offensive befand, ein Land nach dem anderen überrollte, war offener Widerstand im deutschen Herrschaftsbereich nur zu einem sehr hohen Preis und mit geringen Auswirkungen möglich. Daher stellte die Zeit bis 1942/43 in jenen Ländern, in denen die deutsche Herrschaft zumindest bei einem Teil der Bevölkerung auf Ablehnung stieß, eine Phase der Bildung von Widerstandsorganisationen im Untergrund dar. Diese bereiteten sich auf den Aufstand gegen die Besatzung vor: in Polen, Jugoslawien, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich.104 Der Tag würde kommen, an dem die westlichen Alliierten in der Lage waren, neben der sowjetischen eine zweite Front in Europa zu eröffnen. Die Alliierten bereiteten sich auf die Unterstützung des Widerstands durch die gründliche Ausbildung von Einsatzgruppen vor – das Personal dafür bildeten im Wesentlichen Flüchtlinge aus diesen Ländern, die in den Jahren 1941 bis 1943 rekrutiert wurden.

      Durch den späteren Kriegseintritt hatten sich die Amerikaner die Lernphase der britischen Geheimdienste bis 1941 einerseits erspart, andererseits zogen sie die Konsequenzen weit radikaler. Donovan baute mit dem OSS eine völlig neue und vielgestaltige Organisation auf, ein militärisch-ziviles Hybrid aus drei grundlegenden Praxisformen: Informationsbeschaffung und Auswertung (›Secret Intelligence‹), Spezialeinsätzen zur Unterstützung von Widerstandsbewegungen (›Special Operations‹) und psychologischer Kriegsführung durch subversive Propaganda (›Morale Operations‹).105 Noch viel stärker als die Briten zog Donovan, der selbst auf eine vielfältige Karriere im Schnittfeld von Militär, Politik und Privatwirtschaft zurückblickte und über ein entsprechend erstklassiges Netzwerk verfügte, in allen Bereichen ziviles Personal heran: Juristen, Geschäftsleute, Journalisten, PR-Experten, Techniker, Künstler, Psychologen, Sozialwissenschaftler und Historiker. Er rekrutierte sie an den Eliteuniversitäten, in den besten Rechtsanwaltskanzleien, den großen Tageszeitungen und in den Führungsetagen der führenden Unternehmen des Landes.

      Und er gründete – anders als die Briten, die diesen Bereich immer dem polizeilichen Inlandsgeheimdienst MI 5 überlassen hatten – eine eigene Abteilung, um die Potenziale der Flüchtlinge aus Europa zu erkunden und für das OSS zu heben. Die ›Foreign Nationalities Branch‹ (FNB)