Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
Скачать книгу
Building in die Armee einzuschreiben. An die Motive dafür erinnerte er sich sehr klar: »Bei mir kamen Hass und Liebe zusammen. Hass auf die Nazis und Liebe zu Amerika.«91

image

      027 Fred Mayer, ab 1942 Soldat der US Army.

      Er musste sich gedulden. Seit die USA im Herbst 1940 die Wehrpflicht eingeführt hatten, waren zwar auch Einwanderer, die noch keine Staatsbürgerschaft hatten, verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Das System der tatsächlichen Einberufung war aber auf regionaler Ebene unterschiedlich organisiert, kompliziert und beruhte auf einer Art Lotterie, hing also nicht davon ab, ob sich jemand freiwillig meldete. Nichtstaatsbürger hatten zudem nur dann das Recht, sich freiwillig zu melden, wenn sie die Staatsbürgerschaft bereits beantragt hatten.92 Fred Mayer besaß diese ›first papers‹ zwar schon, musste aber auf eine Einberufung warten. Warten war nicht seine Sache, er suchte nach Möglichkeiten der Beschleunigung und die ergaben sich, als sein Bruder Julius die Einberufung erhielt. Da Julius sich auf einem College eingeschrieben hatte und noch etwas Zeit für den Abschluss benötigte, ersuchte Fred die Einberufungsbehörde darum, ihn statt Julius zu nehmen.

      Am 20. Oktober 1942 stand niemand mehr auf der Bremse. Fred Mayer trat im Grand Central Palace in Manhattan der US-Armee bei. Seine Präferenzen waren klar, Luftwaffe oder Panzertruppen, schließlich war er ein perfekter Mechaniker. Ebenso eindeutig war die diametral entgegengesetzte Entscheidung des Systems: Infanterie – was Fred widerwillig zu akzeptieren hatte. Das bedeutete zunächst mehrere Wochen Grundausbildung in Camp Rucker, Alabama. In dieser Zeit machte er ausführlich mit dem Küchendienst Bekanntschaft, dem er wegen allerlei kleiner Verstöße strafweise zugeteilt wurde. Dann wurde er zur 81. Infanteriedivision transferiert, die eine Wildkatze als Divisionsabzeichen trug – das behagte Fred schon mehr. Er meldete sich zu einer Spezialeinheit der Division. Auf dem Ausbildungsgelände war ein komplettes Nazi-Dorf mit 25 Gebäuden, Sprengfallen, Nazipuppen und anderen Utensilien für Nahkampfübungen nachgebaut – hier konnte Fred ausgezeichnet lernen, Nazis zu töten. Feldmanöver in den Bergen von Tennessee und Überlebenstraining in der Wüste Arizonas waren weitere Stationen, die er mit guten Leistungen und Eifer absolvierte – am Ende wurde er in den Rang eines Korporals befördert und zum ersten Aufklärer seiner Einheit ernannt.

      Als es Fred während eines Manövers gelang, das Hauptquartier der Division zu infiltrieren und ›einzunehmen‹, fielen seine Fähigkeiten dem kommandierenden General der Division, Marcus G. Bell, auf. Wie in späteren Bewertungen zu lesen ist, konnte er während der Ranger-Ausbildung nicht nur seine körperliche Fitness stählen, sondern auch seine Talente und Charaktereigenschaften militärisch schärfen: das Interesse, gestellte Aufgaben zu lösen, Zielgerichtetheit, Führungsfähigkeit, Entschlusskraft, Unternehmungsgeist, Überzeugungskraft, Agilität, Kühnheit, Unempfindlichkeit, Stehvermögen – all diese Eigenschaften wurden ihm später in höchstem Maße zugesprochen.93 In den Augen Bells verschwendete Fred bei den Rangers seine Talente. Diese Erkenntnis kam gerade noch rechtzeitig, damit er tatsächlich Nazis ins Visier nehmen konnte. Denn Mitte November 1943 wurden die Wildkatzen nach Kalifornien verlegt, um für den Kampf gegen Japan im Pazifik Wasserlandungen zu trainieren. Am 9. Dezember erhielt er als einer von zwei Soldaten seiner Division ›special orders‹, sich in Washington D.C. zu melden, in der Zentrale des OSS.94 Endlich rückte die Chance, auf die er lange gewartet hatte, näher: »Ich wollte Nazis töten. Das war die Motivation für uns jüdische Jungs.«95

      Brooklyn war jedenfalls eine solide Ausgangsbasis für dieses Vorhaben. Neben Chicago und Pittsburgh einer der größten Produktionsräume der Welt, wickelte der Stadtteil mehr als die Hälfte der gesamten Fracht im Hafen von New York ab. Er verfügte über den größten Andock- und Kopfbahnhof der Welt. Ein Symbol dieser ungeheuren industriellen Stärke war die Marinewerft. Nach dem Kriegseintritt wurden dort Arbeitskräfte in bisher ungekanntem Ausmaß mobilisiert. 70.000 Männer und Frauen arbeiteten in dem Riesenbetrieb rund um die Uhr, um so viele Schiffe wie nur möglich zu produzieren. Beladen wurden sie mit dem militärischen Gerät für den Kampf gegen Hitlers Armeen in Europa. Und auch die Soldaten, die diesen Kampf zu führen hatten, traten den Weg über den Atlantik in Brooklyn, dem Muskel Amerikas, an.96

image

       Widerstand und Sabotage in Europa

      Als Hans Wijnberg und Fred Mayer im Dezember 1942 in das OSS aufgenommen wurden, war die Organisation gerade einmal eineinhalb Jahre alt. Nicht nur die amerikanischen Streitkräfte lagen 1941 im Argen. Noch schlimmer stand es um die Nachrichtendienste. Die USA verfügten über keine Einrichtung, die auch nur annähernd dem britischen Auslandsgeheimdienst MI 6, der deutschen Abwehr und dem Sicherheitsdienst der SS (SD) oder dem sowjetischen NKWD entsprach. Angesichts der Eskalation der deutschen Kriegsführung in Europa beauftragte Präsident Franklin D. Roosevelt den renommierten konservativen New Yorker Rechtsanwalt William Donovan mit der Konzeption eines neuen zentralen Geheimdiensts, der im Juni 1941 mit der Bezeichnung Coordinator of Information (COI) gegründet wurde und ab Juni 1942 Office of Strategic Services (OSS) hieß.

      Im Jahr 1940, vor der Gründung des neuen Geheimdiensts, besuchte Donovan Großbritannien, um sich sowohl über die deutsche Kriegsführung als auch über die britischen Gegenmaßnahmen zu informieren. Die britischen Geheimdienste hatten sich in den 1930er-Jahren fast ausschließlich und zu lang mit dem Kommunismus und der Sowjetunion beschäftigt, die sie als Hauptgegner des Empires ansahen. Doch im März 1938 wurde der Auslandsgeheimdienst MI 6 in Wien von der deutschen Abwehr und der Gestapo auseinandergenommen. Im November 1939 folgte der nächste Schlag im niederländischen Venlo, als der SD zwei führenden britischen Agenten eine Falle stellte und sie nach Deutschland entführte. Die deutsche Propaganda beschuldigte die beiden, als Drahtzieher hinter dem gescheiterten Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller zu stehen. Der SD ›deckte‹ in der Folge eine antideutsche britisch-niederländische Verschwörung auf, die als Legitimation für den Angriff auf die Niederlande diente, ähnlich wie der SD bereits den Angriff auf Polen als Verteidigungsfall inszeniert hatte.97

      Abgesehen von den Lektionen in Wien und Venlo verarbeiteten die britischen Nachrichtendienste zwischen 1938 und 1940 zwei generelle Erfahrungen: erstens die zunehmende Bedeutung des politischen Untergrundkampfs seit dem Ersten Weltkrieg und zweitens die neuen Methoden der deutschen Nachrichtendienste während der 1930er-Jahre. Sie hatten in den Nachbarländern mithilfe von Exiltruppen (wie der Österreichischen Legion oder des Sudeten-Freikorps), eingeschleusten Agenten und lokalen Aktivisten durch Anschläge, Propaganda und Demonstrationen die etablierten politischen Systeme unterwandert, angegriffen und massiv destabilisiert. Die desaströse politische Entwicklung in Österreich hin zur Machtübernahme durch die NSDAP im März 1938 galt britischen Beobachtern als Paradebeispiel für den kombinierten Einsatz innerer Subversion und externen politisch-militärischen Drucks. Nach dem Fall Frankreichs im Juni 1940 stand Großbritannien alleine gegen die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan. Der sowjetische Diktator Josef Stalin hatte mit Hitler einen Pakt über die Aufteilung Polens geschlossen, die USA verharrten in einer quasineutralen Beobachterrolle. In dieser Situation setzte das britische Kriegskabinett unter Premier Winston Churchill neben einer massiven Mobilisierung der herkömmlichen Streitkräfte auf den Aufbau einer neuen Organisation, die den Krieg auf dem europäischen Festland, in den von Deutschland besetzten Gebieten, mit unkonventionellen – auch irregulären – Mitteln fortsetzen sollte. Die im Juni 1940 gegründete Special Operations Executive (SOE) sollte die Achsenmächte kurzfristig mit gezielter Sabotage etwa der Verkehrsinfrastruktur und Propaganda im Inneren schwächen, langfristig sollten aber autochthone Widerstandsbewegungen, auf deren Entstehen gehofft wurde, unterstützt und ausgerüstet werden.

      Eine ›europäische Revolution‹ gegen Nationalsozialismus und Faschismus war es, was dem ersten Chef der SOE, dem Sozialisten Hugh Dalton, vorschwebte. Eine wichtige Rolle sollten dabei Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich und den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten spielen. In einem der vielen Ideenpapiere hieß es dazu: »We should have among our refugees