Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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Die rein materiellen Lebensumstände änderten sich in der Armee zum Besseren: gute Unterkunft, echt gutes Essen, gute Kleidung. Zudem gab es 20 Dollar Taschengeld im Monat, mit denen man nicht mehr tun konnte als rauchen, trinken und zu Prostituierten gehen – nichts von dem hatte Hans bisher getan und er beließ es dabei. Nach vier Monaten in Texas schrieb der einfache Soldat in seinen Personalbogen auf die Frage, ob er Rauschmittel konsumiere oder konsumiert habe: nur Champagner zu Silvester, sonst nein.

      So angenehm die Rundumversorgung durch das Militär war, so schwer fiel ihm die Unterordnung unter das militärische Regime von Befehl und Gehorsam. Er wusste vieles besser als die Vorgesetzten und hatte stets eigene Ideen, erinnerte sich Hans. In der Beurteilung durch seinen Offizier am Ende der Grundausbildung liest sich das so: intelligent, couragiert, aber noch etwas kindisch. Arbeitet hart und verlässlich. Unter richtiger Führung ein äußerst nützlicher Nachwuchsoffizier für Einsätze im Kampfgebiet.

      Der Sicherheitscheck verlief ohne Überraschungen. Die vertraulichen Auskünfte, die das OSS über Hans Wijnberg einholte, standen der Beurteilung durch die Armee in nichts nach. Sie empfahlen ihn aufgrund seiner Loyalität, seiner Fähigkeiten und seines Charakters in höchstem Maße für Spezialeinsätze in Europa. Ein anderer der 35 Soldaten, die sich damals in der OSS-Zentrale in Washington eingefunden hatten, war Frederick Mayer.

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       Freiburg und Brooklyn

      Die Aufnahme läuft. Der Interviewer beginnt damit, den Tag und den Ort des Gesprächs aufzuzeichnen. Es ist Dienstag, der 5. Juli 1977. Wir befinden uns im Haus von Frederick Mayer in der Stadt Avon Bend, West Virginia, Vereinigte Staaten von Amerika. »Let’s see how we are doing« – »Schauen wir, was uns gelingt«, murmelt ein Mann mit sonorer Stimme und stellt die erste Frage: »I want you to tell me a little bit about your family background, how you wound up in the United States, how you wound up in the American military. – Well, we came over in 1938 and the whole family emigrated. – From where? – From Freiburg, Black Forest. – How did the family come to leave Germany? – Oh, because of Hitler. We were Jewish. Still are. So … we came over with the whole bunch.«58 Es sind immer die ersten Fragen, die Emigranten gestellt werden: Woher kommst du? Wie bist du hierhergekommen? Und: Warum hast du dein Land verlassen?

      Der Mann, der die Fragen stellt, ist der Autor Joseph E. Persico, langjähriger Redenschreiber des Gouverneurs von New York und amerikanischen Vizepräsidenten Nelson Rockefeller. Nun, nach dem Ende von Rockefellers Amtszeit, arbeitet er an seinem ersten Buch zum Zweiten Weltkrieg. Piercing the Reich. The Penetration of Nazi Germany by American Secret Agents during World War II wird 1979 in New York in dem renommierten Verlag The Viking Press erscheinen. Drei Jahre zuvor hat der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA einen 1947 verfassten und bislang unter Verschluss gehaltenen Bericht über das Office of Strategic Services freigegeben und damit erstmals einen Einblick in die geheimdienstlichen Praktiken im Kampf gegen die Achsenmächte ermöglicht.59 Durch seine guten Beziehungen war Persico unter den Ersten, die eine Kopie des Berichts erhielten. Ihn faszinierte vor allem der letzte, knappe Teil über Aktionen direkt im Dritten Reich. Die Entdeckung, dass es dem OSS 1944 und 1945 gelungen war, fast 200 Spione nach Deutschland einzuschleusen, in den Herrschaftsbereich der Gestapo, der als allmächtig, allgegenwärtig und grausam geltenden Geheimpolizei Hitlers, verlangte geradezu nach einem Buch. Doch die Central Intelligence Agency, die Nachfolgeorganisation des OSS, hielt die Dokumente dazu weiter unter Verschluss. Persico ließ sich nicht abwimmeln. Unter Berufung auf das Gesetz über die Freiheit der Information (Freedom of Information Act) forderte er die Herausgabe der Akten für die historische Forschung und erhielt schließlich immerhin 520 relevante Dokumente. Nun machte sich Persico auf die Suche nach den beteiligten Agenten, deren Namen die CIA in den Akten geschwärzt hatte und deren Identität sie verständlicherweise nicht preisgab. Es war schließlich eine private Vereinigung von Veteranen des OSS, von der Persico eine Liste ihrer Mitglieder erhielt. Einmal begonnen, verlief die Suche nach dem Schneeballsystem und am Ende hatte Persico in Europa und Amerika mit 122 Beteiligten gesprochen und die Interviews auf Tonband aufgezeichnet. Vorbildlich im Sinne wissenschaftlicher Transparenz und historischer Überlieferung stellte er die Tonbänder dem Archiv der Hoover Institution an der Universität Stanford zur Verfügung. Dort wurden sie digitalisiert und sind heute durch Onlineversand jedem Interessierten rasch zugänglich. Sie sind eine wesentliche Quelle für dieses Buch.

      Dem OSS-Bericht von 1976 konnte Persico entnehmen, dass die Operation Greenup der erfolgreichste Einsatz des amerikanischen Geheimdiensts in Österreich gewesen war, dass der Leiter des Agententeams der Folter durch die Gestapo standgehalten hatte und die Gefangennahme sogar zum Vorteil der US-Streitkräfte nutzen konnte, indem er den Gauleiter von Tirol und Vorarlberg davon überzeugte, Innsbruck ohne Blutvergießen an die Amerikaner zu übergeben. Damit, so konnte Persico lesen, habe das OSS bewiesen, dass es möglich sei, selbst in die am strengsten bewachten Gebiete einzudringen – gemeint war die ›Alpenfestung‹.60 Den Namen und die Adresse dieses herausragenden Greenup-Agenten fand Persico sehr bald heraus, denn er – Fred Mayer – war unter den Veteranen des OSS längst eine Legende. Auf das Interview mit ihm hatte sich Persico durch das genaue Studium der ihm vorliegenden OSS-Dokumente akribisch vorbereitet. Er nutzte das Interview hauptsächlich, um die darin enthaltenen schier unglaublichen Schilderungen von Mayers Aktionen in Tirol zwischen Ende Februar und Anfang Mai 1945 zu überprüfen. Über weite Strecken des Gesprächs las er ihm Zitate aus der Einsatznachbesprechung vom Juni 1945 vor und konfrontierte ihn mit Einschätzungen seiner Person durch andere Akteure. Mayer antwortete einsilbig, knapp, selten sagte er mehr als einen oder zwei Sätze. Gegen Ende der langen Befragung wurde die Atmosphäre etwas gelöster und Persico lenkte das Gespräch auf die Persönlichkeit von Fred Mayer, der ihm ins Wort fällt und mit einem leichten deutschen Akzent sagt: »I have always been best under pressure. I worked best under pressure. If you put pressure against me of any kind, even now, you can’t keep up with me.«

      Das Gespräch war keines der später populär gewordenen lebensgeschichtlichen Interviews, in denen der Fragende möglichst wenig interveniert und der Interviewte seine Geschichte frei erzählt. Persico ging es um Fakten, nicht um Erinnerung. Das entsprach sowohl der politischen Atmosphäre der 1970er-Jahre als auch dem Alter der Gesprächspartner. Zum Zeitpunkt des Interviews war Persico 47, Mayer 55 Jahre alt. Persico begann sich gerade als freier Autor zu etablieren, er benötigte eine gute, aber glaubwürdige Story. Mayer zog sich gerade aus einem Berufsleben zurück, an dessen Beginn die Operation Greenup zweifellos gestanden war. Sie war noch nicht Geschichte.

      Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen beim OSS hatte Mayer 1949 ein Angebot des staatlichen US-Auslandssenders Voice of America erhalten und war für den technischen Betrieb der Sender in Europa und Asien verantwortlich. Nach Einsätzen auf den Philippinen und in Marokko arbeitete er von 1958 bis 1964 in München, wo die Voice of America einen Langwellensender betrieb, der ihre Sendungen in die kommunistischen Staaten des Ostblocks ausstrahlte. So war Fred Mayer ein Akteur der Spionage gegen Nazi-Deutschland und ein Akteur der Propagandaschlacht des Kalten Krieges. Diese Gegenwart bestimmte in den 1970er-Jahren die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in den USA und Westeuropa. Unmittelbar nach Kriegsende hatten die USA die geheime Kriegsführung gegen Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion gewendet (und vice versa). Vom OSS zur CIA und den Propagandasendern wie Voice of America und Radio Free Europe gab es viele personelle Kontinuitäten. Davon abgesehen nutzte die CIA viele mittlere und hochrangige Nationalsozialisten, die in den Sicherheitsapparaten des NS-Staates tätig gewesen waren, als Informanten, Experten und sogar als Mitarbeiter. Im antikommunistischen Kampf gab es wenige bis keine Berührungsängste zum ehemaligen Feind, bekannt werden sollten diese Verbindungen jedoch tunlichst nicht. Vor diesem Hintergrund waren die lange Geheimhaltung und die spärlichen Auskünfte von beteiligten Personen wenig verwunderlich, genauso wie das immense Interesse von Historikern und Publizisten daran, diese Geschichten geheimer Kriegsführung zu erzählen.

      Für die Herkunfts- und Emigrationsgeschichte der Beteiligten interessierten sich wenige, einmal abgesehen von der möglichen Identifizierung als Juden, denn das machte die Geschichte der Spionage gegen die Nationalsozialisten noch einmal interessanter