Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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das Ehrenkreuz für Frontkämpfer, »im Namen des Führers und Reichskanzlers«, wie es auf der Urkunde hieß, per Post und mit dem Gruß »Heil Hitler« zugestellt.73

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      022 Im Namen Adolf Hitlers erhielt Friedrich Mayer das Ehrenkreuz für Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs, September 1934.

      Doch mit den 1935 erlassenen Nürnberger Rassengesetzen beendeten die Nationalsozialisten die Phase der gesetzlichen Gleichberechtigung der Juden als Reichsbürger. Sie wurden zu Staatsbürgern ohne politische Rechte degradiert. Damit gehörten sie als ›Blutsfremde‹ nicht zur ›deutschen Volksgemeinschaft ‹. Sie war ein exklusives Versprechen an die ›Volksgenossen‹, vom Staat ein gutes Leben zu bekommen.

      Im Alltag war der Ausschluss nicht gleich zu spüren. Noch im selben Jahr hatte Fred die Pflichtschuljahre absolviert und sich entschieden, seiner Leidenschaft folgend eine Mechanikerlehre zu beginnen. Er fand eine Stelle in einer Werkstätte für Dieselfahrzeuge und besuchte die Berufsschule. 1936, das Jahr der Olympischen Spiele, war eine Phase ohne weitere Radikalisierung, was Hoffnung auf eine Beruhigung der politischen Entwicklung nährte.74 Heinrich Mayer erhielt in diesem Jahr eine weitere Auszeichnung: die Silberne Ehrennadel des Reichsbunds Jüdischer Frontsoldaten für zehn Jahre ununterbrochene Leitung der Ortsgruppe Freiburg. Weiterhin engagierte er sich intensiv in der jüdischen Gemeinde. Zwischen 1933 und 1937 war er Mitglied ihrer Gemeindevertretung, zuletzt Obmann des geschäftsführenden Vorstands.75

      Über Fred berichtete Gerald Schwab, dass er sich, von seiner Statur her zwar nicht besonders groß, aber gedrungen und kräftig, gegen Altersgenossen beherzt und schlagkräftig zur Wehr setzte, wenn sie ihn einen jüdischen Bastard (›Jew bastard‹) nannten.76 In der Schule kassierte er dafür keine Strafe, sondern stieß bei einem Lehrer sogar auf Verständnis. Im Rückblick erschien das Bleiben als illusorisches Zögern, als Verkennen einer Entwicklung. Fred Mayer begründete es damit, dass sich sein Vater an seine Verdienste für das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg klammerte. Wirtschaftliche Überlegungen werden eine ebenso wichtige Rolle gespielt haben. Zwar gab es in Freiburg bereits eine schleichende ›Arisierung‹, etwa durch Notverkäufe an nichtjüdische Unternehmer oder Mitarbeiter. Aber erst 1937 erhöhten staatliche Stellen den Druck auf Juden, ihre Unternehmen weit unter ihrem Wert zu verkaufen oder zu schließen. Damit sollten die ›deutschen‹ Unternehmer von unliebsamer Konkurrenz befreit werden. Erst diese Radikalisierung dürfte Heinrich Mayer die letzten Hoffnungen auf ein Auskommen in Deutschland geraubt haben. Doch 1937 fand er keinen Käufer mehr für seinen Betrieb, dessen Wert er später auf etwa 50.000 Reichsmark schätzte. Seine Schuldner beglichen ihre Außenstände in der Höhe von 10.000 Reichsmark nicht mehr.77 Heinrich Mayer blieb nichts übrig, als seinen Betrieb aufzulassen, nachdem er ein Dreivierteljahrhundert existiert hatte. Im Frühjahr 1938 bestand in der Stadt nur mehr ein Drittel der jüdischen Betriebe von 1933, ein Jahr später gab es keinen einzigen mehr.78

      Betrachtet man die gesamte Emigration bzw. Flucht deutscher Jüdinnen und Juden zwischen 1933 und September 1939, dem Beginn des Krieges, war Familie Mayer nicht unter denen, die im ›letzten Augenblick‹ Deutschland verließen. Bis 1935 wanderten 90.000 der knapp 520.000 in Deutschland lebenden Juden aus, ein Drittel davon nach Palästina, nur 14 Prozent in die USA und nach Großbritannien. Viele von ihnen waren Studenten, Juristen, Ärzte und Intellektuelle, gegen die sich die ersten antisemitischen Gesetze gerichtet hatten.79 Diese frühe Migration war zudem stark zionistisch motiviert. Beide Faktoren trafen auf Heinrich Mayer und seine Familie nicht zu – als sein Vaterland betrachtete er immer noch Deutschland, nicht ein künftiges Israel, und die Existenz der Familie war nicht an die öffentliche Verwaltung und den Universitätsbetrieb, sondern an die lokale Privatwirtschaft gebunden. Die meisten Juden, zwischen 100.000 und 150.000, flüchteten erst nach den landesweiten Pogromen im November 1938, als das NS-Regime die ersten systematischen, schweren Gewaltexzesse gegen die jüdische Bevölkerung durchführte und auf radikale Weise offenbar gemacht wurde, dass das ›Vaterland‹ nicht mehr schützte oder wenigstens duldete, sondern die physische Existenz angriff.

      Die Aufzeichnungen der amerikanischen Immigrationsbehörden zeigen für die Familie Mayer ein differenzierteres Bild als das einer überstürzten Flucht im letzten Moment. Die Emigration geschah weder ad hoc noch unvorbereitet. Heinrich Mayer begann spätestens 1937 die Ausreise seiner Familie zu organisieren, sprich Einreisevisa für die USA zu beantragen. Zu diesem Zeitpunkt war es noch leicht, Visa für die USA zu bekommen. Diese hatten nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 die Einwanderungsquote für Deutschland zwar auf jährlich 20.000 Personen reduziert und im Lauf der tiefen Depression der amerikanischen Wirtschaft in den 1930er-Jahren nicht mehr erhöht. Daran bestand aber auch kein Bedarf, denn die Quote wurde bei weitem nicht ausgeschöpft. Sie erreichte in keinem Jahr zwischen 1933 und 1938 fünfzig Prozent Auslastung. Die meisten deutschen Juden waren nach Frankreich, Belgien oder in die Niederlande gegangen in der Hoffnung, das NS-Regime sei nicht von Dauer.80

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      023 Abschied von der jüdischen Gemeinde in Freiburg, Februar 1938.

      Am 26. November 1937 erhielt Heinrich Mayer am amerikanischen Konsulat in Stuttgart die Visa für seine Familie und seine Schwiegermutter Hannchen Dreyfuß. Zugleich zeigen die Aufzeichnungen, dass in den Jahren zuvor enge Verwandte, ebenfalls Gewerbetreibende in der Landwirtschaft, bereits in die USA emigriert waren, und zwar aus der Familie von Heinrichs Ehefrau Hilda. Ihr Bruder, der Metzger Kurt Dreyfuß, ging zwei Monate nach dem Tod des Vaters im Mai 1937 an Bord der SS Berengaria und fand im New Yorker Stadtteil Brooklyn Aufnahme bei der Familie seines Onkels Max Heumann. Dieser hatte mit seiner Frau Ida 1936 unweit von Bretten, im Dorf Flehingen, seinen Viehhandel aufgegeben, um den Söhnen Siegfried und Otto, auch sie Metzger, nach Brooklyn zu folgen, wohin sie bereits 1934 bzw. 1935 ausgewandert waren. Sie hatten schon auf die Unterstützung eines Onkels, Adolf Heumann, ebenfalls Viehhändler, bauen können, dessen Kinder Ernst und Alice in den 1920er-Jahren nach New York emigriert waren. Emigration war vor diesem Hintergrund in der Familie sicher ein ständiges Thema, und Fred Mayers Erinnerungen, die er Gerald Schwab erzählte, dürften durch die Diskussionen der Eltern über die Frage der Auswanderung entstanden sein: der Vater aus patriotischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen abwartend, die Mutter dafür. »Wir sind Juden, und wir müssen gehen« – dieser Satz blieb Fred Mayer im Gedächtnis.81 Nachdem Heinrich Mayer in der Freiburger jüdischen Gemeinde den Entschluss zur Emigration bekanntgegeben hatte, erhielt er vom Synagogenrat und dem Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten Dankes- und Abschiedsschreiben und Geschenke zum bleibenden Andenken an Freiburg.82

      Als erste Unterkunft in New York gab Heinrich Mayer die Familie von Berthold Ackermann an, einem Schwager seiner Frau, der ein Lagerhaus in Flehingen betrieben und 1936 gemeinsam mit den Heumanns das Dorf verlassen hatte. In der ländlich-agrarischen Gesellschaft hatten massiver Druck der Nationalsozialisten auf Bauern, organisierte Boykotte, Ausschlüsse aus Viehmärkten, Dorfverweise, Zahlungsverweigerungen, Entzug von Handelslizenzen und Ähnliches das nötige Vertrauensverhältnis zwischen Landwirten und jüdischen Viehhändlern sukzessive zerstört, lange bevor Juden 1938 der Viehhandel überhaupt verboten wurde.83 Wie Heinrich Mayer hatte sich auch Berthold Ackermann in der kleinen jüdischen Gemeinde des Dorfes und in der Synagoge engagiert.84

      Ein Grund, warum die Emigration gewerbetreibenden Juden schwerfiel, waren die restriktiven Devisenregelungen, die es unmöglich machten, erworbenen Wohlstand in größerem Ausmaß zu transferieren. Weder durften Verkaufserlöse als Bargeld mitgenommen werden, noch konnten Devisen in größeren Mengen erworben und transferiert werden. Heinrich Mayer erhielt von der 1937 gegründeten ›Allgemeinen Treuhandstelle für die jüdische Auswanderung‹ die Genehmigung, 12.000 Reichsmark in Dollar umzuwandeln, in den USA bekam er nur die Hälfte davon ausbezahlt – die andere Hälfte behielt sich das Regime ein.85 Das Einzige, was Juden 1938 unbeschränkt aus Deutschland mitnehmen konnten, waren Wissen und Erfahrung. Warum die Mayers nach Erteilung der Visa noch mehr als drei Monate mit der Überfahrt nach New York zuwarteten, ist nicht überliefert. Möglicherweise ging es darum, dass Fred noch seine