Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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dass sich die europäischen Juden von den Nazis wie Lämmer zur Schlachtbank hatten führen lassen. Im Fall Persicos traf das Zweite zu. Er nannte sein Kapitel über Fred Mayer ›The Jew who dared return‹ – der Jude, der es wagte zurückzukehren.

      Joseph Persico: When you made this jump, what was your mood?

      Fred Mayer: I was anxious to get the war over. That was the most it was about. I always thought that I have a personal stake in that since Hitler was a bastard.

      Aber über die Biografien der Agenten und das persönliche Interesse (›personal stake‹) erfahren wir in Persicos Buch wenig. Darüber schrieb als Erster der amerikanische Diplomat Gerald Schwab in seinem Buch OSS Agents in Hitler’s Heartland. Destination Innsbruck, das 1996 in den USA erschien. Auch das war kein Zufall. Schwab und Mayer kannten einander aus Kindheitstagen. Schwab stammte ebenfalls aus einer bürgerlich-jüdischen Familie in Freiburg im Breisgau. Beide Eltern waren Kaufleute gewesen – die Väter eng befreundet –, beide Familien fanden in den USA eine neue Heimat. Beide waren mit der US-Armee gegen NS-Deutschland in den Krieg gezogen. Schwab kämpfte 1944 als Infanterist in der 10. US-Gebirgsdivision in Italien gegen die Wehrmacht, danach arbeitete er in den Jahren 1945 und 1946 als Übersetzer und Dolmetscher für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, wo einigen führenden Nationalsozialisten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gemacht wurde.61

      Fred Mayer, Hans Wijnberg und Franz Weber waren nach 1945 miteinander in Kontakt geblieben, sie trafen sich mehrfach in Oberperfuss und brachten ihre Familien dorthin mit, um gemeinsame Urlaubstage zu verbringen. 1991 lud Mayer seine Greenup-Freunde sowie die Piloten und Besatzungsmitglieder des Bombers, aus dem die Agenten in Tirol abgesprungen waren, dazu ein, seinen 70. Geburtstag in Freiburg zu feiern. Gerald Schwab lernte bei dieser Gelegenheit alle Beteiligten kennen, hörte ihre Geschichten und Anekdoten und stieß mit seiner Idee, ein Buch über Greenup zu schreiben, auf keine Widerrede. Mayer, Wijnberg und Weber standen ihm für lange Gespräche und Nachfragen zur Verfügung. Die Crew des Liberator-B-24-Bombers – der Pilot John Billings, der Bombenschütze Richard Gottleber, der Navigator Charles Smith und der Absetzer Walter Haass, der die Agenten im Laderaum zum Absprung fertigmachte – schilderte ihm die Vorbereitung und Durchführung der außergewöhnlichen und deshalb denkwürdigen Mission in allen Einzelheiten. Schwabs Darstellung blieb sehr nahe an den handelnden Personen und war ihrer Geschichte verpflichtet. Mit den vielen militärischen Details liest sie sich wie eine Veteranengeschichte der Befreiung, eine universelle Emanzipationsgeschichte, in der zwei junge Juden den Antisemiten entkommen, sich in der Emigration behaupten, sich ausbilden, rüsten und furchtlos werden. Sie verbünden sich mit einem Wehrmachtsoffizier, der sich nach langem Ringen von den Nazis löst, und treffen mit der Macht der US-Armee im Rücken in einem Tiroler Bergdorf auf tiefkatholische Frauen und Männer, die nur auf eine Gelegenheit gewartet haben, sich aufzurichten und ihren Teil dazu beizutragen, eine Stadt vor der Zerstörung zu retten. In diese Stadt, Innsbruck, sind Mayer und Wijnberg zwar einige Male zurückgekehrt, und Weber hat dort bis zu seiner Pensionierung als Landespolitiker gearbeitet und gelebt. Öffentlich erzählt haben sie ihre Geschichte in Innsbruck jedoch nie.

      Fred Mayer vermied – bis auf eine Ausnahme – öffentliche Auftritte auch in seiner Herkunftsstadt Freiburg im Breisgau. Die Mayers gehörten 1938 zu den am längsten in Freiburg ansässigen jüdischen Familien. Ihr Stammbaum reichte in Süddeutschland zwei Jahrhunderte zurück. Als das liberale Großherzogtum Baden 1862 als erster deutscher Staat die Juden als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannte, war Freds Großvater Julius Mayer unter den ersten, die vom Land in die Stadt zogen und eine jüdische Gemeinde gründeten.62 Als erster Jude seit der mittelalterlichen Vertreibung kaufte er sich in der Universitätsstadt ein Haus, in der Herrenstraße im Stadtzentrum.63 Er eröffnete eine Eisenhandlung, die er am Sabbat geschlossen hielt, worauf er in seinen Annoncen, etwa bei der Suche nach Personal, ausdrücklich hinwies.64 Einer ersten Ehe entstammten fünf Kinder, der zweiten Ehe mit Rachel Weingärtner zwei Söhne, der ältere, Freds Vater Heinrich, trat nach Lehrjahren in Frankfurt und Hannover die Nachfolge im Betrieb an.65 Zur Jahrhundertwende befand sich das jüdische Leben in Freiburg in einer Blüte, die der Stadtrabbiner Adolf Lewin in höchsten Tönen würdigte: »So ist die Fremde uns zur Heimat geworden. So fühlen wir uns nicht als Fremde – werden auch nicht als solche angesehen – denn ein Gefühl der Liebe umschlingt uns alle und unsere andersgläubigen Mitbürger, das Band der Liebe zu Fürst und Vaterland, zu unserer schönen Mutterstadt.«66

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      020 Heinrich Mayer im Ersten Weltkrieg.

      Die Loyalität der Freiburger Juden gehörte gleichermaßen Kaiser Wilhelm. Heinrich Mayer meldete sich 1906 freiwillig zu einem einjährigen Militärdienst. Im Ersten Weltkrieg diente er vom ersten bis zum letzten Tag, von August 1914 bis November 1918, meist im Stellungskampf im Oberelsass, in Verdun und an der Mosel.67 Im Rang eines Leutnants mit dem Eisernen Kreuz Zweiter Klasse ausgezeichnet, bildete das Militär einen positiven Bezugsrahmen der deutsch-jüdischen Identität des Vaters. Fred sollte später, so berichtet es Gerald Schwab, seinen Eifer, als Soldat Außergewöhnliches zu leisten, auf die einprägsamen Erzählungen seines Vaters aus dem Ersten Weltkrieg zurückführen.68 Die militärischen Erinnerungen pflegte Heinrich Mayer im Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, dessen Ortsgruppe Freiburg er zehn Jahre lang leitete und dessen Aufgabe es war, die Leistungen der deutschen Juden für das Vaterland herauszustreichen, um der antisemitischen Agitation entgegenzutreten.69

      Gerald Schwab zeichnete das Leben der Mayers in den 1920er-Jahren als eine bürgerlich-jüdische Idylle. Bereits 1918 heiratete Heinrich seine Frau Hilda, Tochter des Metzgermeisters Ludwig Dreyfuß in Bretten im Landkreis Karlsruhe. Das Nachkriegselend überstand die Familie dank der Solidarität von bäuerlichen Kriegskameraden, die sie mit Lebensmitteln versorgten. Sie bildeten auch den treuen Kundenstock des Eisenwarenhandels. Im Hof hinter dem Laden entdeckte Sohn Friedrich – die Namensänderung auf Frederick und die Kurzform Fred werden 1938 der erste Tribut an New York sein – die Liebe zu Motoren und Fahrzeugen aller Art, die dort repariert wurden. Er besuchte das Rotteck-Realgymnasium, fuhr Ski und war Athletiker. 1931 brachte seine Mutter Hilda nach zwei Söhnen, der ältere nach dem Großvater Julius benannt, und einer Tochter, Ruth, noch ein Mädchen, Ellen, zur Welt.

      Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 veränderte die Situation der jüdischen Gemeinde grundlegend. Die Freiburger Nationalsozialisten, allen voran die Sturmabteilung (SA), riefen, wie ihre Parteigenossen überall in Deutschland, zum Boykott jüdischer Betriebe auf, postierten sich vor Geschäften, kennzeichneten diese als ›Judenläden‹ und veranlassten öffentliche Einrichtungen und Wirtschaftsverbände, keine Geschäfte mehr mit Juden zu tätigen.70 Diese Praxis widersprach den noch geltenden Gesetzen und das Reichswirtschaftsministerium rief dazu auf, die wirtschaftsschädlichen Boykottaktionen zu unterlassen. Zu diesem Zeitpunkt existierten in Freiburg knapp 240 jüdische Unternehmen, darunter Ärzte, Anwälte, hauptsächlich aber Handelsbetriebe, und hier wiederum war der Vertrieb von Textil-, Lederund Eisenwaren sowie der Viehhandel das Metier jüdischer Unternehmer. Viele Familien hatten ihre Geschäfte in der Kaiserstraße, der Hauptader durch die Altstadt. Die Nationalsozialisten nutzten sie als Zielscheibe ihrer antisemitischen Agitation. Viele jüdische Unternehmer, schreibt die Historikerin Andrea Brucher-Lembach in ihrer Studie über die schrittweise Beraubung der Freiburger Juden, »wollten aber nach dem ersten Schock nicht gleich aufgeben, zumal sich die allgemeine Wirtschaftslage besserte«71.

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      021 Aufmarsch der NSDAP in Freiburg.

      Von den ersten antisemitischen Gesetzen, die ein Berufsverbot für Juden im öffentlichen Dienst, an Universitäten und Schulen enthielten und Juden die Ausübung juristischer Berufe untersagten, war die Familie Mayer nicht direkt betroffen. Vielleicht war es die Ausnahmeregelung für Veteranen des Ersten Weltkriegs, die Heinrich Mayer hoffen ließ, dass es für ihn und die Seinen keinen derart dramatischen Entzug der Lebensgrundlagen geben würde. Allerdings bekam er keine rationierten Artikel wie Lötzinn,