Flügelschatten. Carolin Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915533
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recht knapp und will sie zuschieben. Die junge Frau stellt ihren Fuß dazwischen und hält mich auf diese Weise davon ab. Entnervt öffne ich sie wieder ein Stück.

      »Ich mein’s ernst, verschwinde wieder«, knurre ich ungehalten. Sicher bin ich zu grob und barsch. Kein Wunder, nachdem ich sie gestern Nacht schon wieder vor dem Haus zu sehen glaubte, wird mir die ganze Sache ein wenig zu unheimlich. Was genau ist ihr Auftrag? Auch jetzt starrt sie mich nur an. Mann, hat die einen Blick drauf und komische Augen. Sie sind von einem solch kräftigen und tiefen Violett, dass ich fröstele. Ich habe schon einiges gesehen, aber bestimmt nicht solche Augen. Fragend mustere ich sie von oben bis unten und ziehe die Brauen hoch. Zum einen, weil sie im strömenden Regen nichts als ein einfaches Oberteil mit grober Jacke zu einer fast verboten kurzen Hose und keine Schuhe trägt, zum anderen, weil das ihre schlanken Beine perfekt in Szene setzt.

      Trotz meiner harschen Worte bewegt sie sich nicht und das lässt mich unruhig werden. Ich runzele die Stirn und versuche sie anzusehen, wobei ihr frostiger Blick das mehr als erschwert.

      »Was willst du hier?«, setze ich nach, denn darauf, dass sie vor unserem Haus herumlungert und jetzt triefend nass mit diesen merkwürdigen Flügeln vor mir steht, kann ich mir beim besten Willen keinen Reim machen. Doch sie macht nicht einmal Anstalten, den Mund zu öffnen und mir zu antworten. Dazu hätte sie auch keine weitere Gelegenheit mehr.

      »Bin schon da!«

      Elijah, wie gewöhnlich ganz in Schwarz gekleidet, taucht hinter mir auf. Er klatscht erfreut in die Hände und lächelt die Frau mit diesem Lächeln an, das mich nur entnervt die Augen rollen lässt. Für meinen Geschmack ist es ein wenig zu freundlich. Sie reagiert nicht einmal mit einem Wimpernschlag.

      »Schon ist gut«, erwidere ich meinerseits, wende mich ab und will gehen. Bei ihr habe ich alles andere als ein gutes Gefühl. Sie sieht nicht aus, als könnte man ihr vertrauen – warum sollte sie nun schon seit zwei Nächten in Folge vor unserem Haus herumlungern? Ist sie etwa eine Spionin, eine von denen?! Sofort spüre ich Wut in mir aufkochen und meine Hände ballen sich zu Fäusten. Jede Wette, sie hat schließlich noch Flügel! Mein Vater hält mich an der Schulter zurück.

      »Es wäre kein Problem, wenn du höflicher zu Gästen wärst«, raunt er und wirft mir einen strengen Blick zu. Ich funkle ihn trotzig an.

      »Sie sollte nicht unser Gast sein, Elijah«, gebe ich zurück.

      Die Frau will ich auf keinem Fall hier im Haus haben. Bloß nicht. Auf mein Bauchgefühl ist für gewöhnlich Verlass und ihr traue ihr nicht weiter, als ich bei dem dichten Regen da draußen sehen kann. Es treiben sich zu viele zwielichtige Gestalten in der Gegend herum.

      »Ich denke, das habe in erster Linie ich zu entscheiden.« Elijahs Stimme ist streng und hart. Ich beiße meinerseits mit meinen Zähnen fest aufeinander.

      »Na dann wirst du wohl wissen, was du da tust«, presse ich hervor und reiße mich unwirsch aus seinem Griff los. Nach der Auseinandersetzung von vorhin wird er ohnehin nicht auf meine Meinung hören wollen. Ich schnaube – als würde er jemals darauf eingehen, was ich denke. In letzter Zeit geraten wir viel zu oft aneinander und kommen selten auf einen Nenner. Es ist die angespannte Stimmung, die wie eine düstere Wolke über unserem Haus liegt und an sämt­lichen Nerven zerrt. Deshalb kann ich gar nicht rasch genug zurück in mein Zimmer kommen. Gerade noch kann ich vernehmen, wie Elijah mit seiner lockeren, immer freundlichen Stimme zu der Frau sagt: »Ach, lass dich von ihm nicht verunsichern.«

      Um zu wissen, dass er ihr dabei verschmitzt zuzwinkert und abwinkt, muss ich nicht neben ihm stehen.

      Ich lache verächtlich und knalle grob meine Zimmertür zu.

      Ganz gleich, wie unfreundlich der Kerl war, der mir die Tür geöffnet hat, es ist vergessen, sobald ich Elijah erkenne. Er ist es, zweifelsohne. Der Mann, den ich auf der Brücke gesehen habe und der mir so bekannt vorkam. Wie soll ich nur das vermitteln, was ich fühle? Wie soll ich ihm sagen, dass ich ihn kenne? Erkennt er mich denn nicht? Er hat nichts gesagt außer einem lockeren Komm doch herein und wenngleich ich noch nie in einem Haus gewesen bin und mich sofort Unwohlsein überkommt, will ich unbedingt mehr herausfinden.

      Ein wenig unsicher und ein wenig neugierig gehe ich also hinter Elijah her. Er kleidet sich gänzlich in Schwarz, von der Hose über das Hemd bis hin zu dem Ring, den er im Ohrläppchen trägt. Sogar seine unordentlich abstehenden Haare sind dunkel sowie sein stoppeliger Bart, über den er sich beim Reden ständig streicht. Er ist ziemlich groß und deswegen muss ich den Kopf in den Nacken legen, wenn ich sein Gesicht im Auge behalten will. Am meisten irritiert mich das Lächeln darin. Es ist so ungewohnt freundlich, dass es eigentlich gar nicht mehr freundlich sein kann.

      Von innen ist die Villa genauso imposant wie von außen. Die Türen sind alte Flügeltüren, die Möbel mit wunderschönen Schnitzereien verziert, die langen schmalen Fenster mit Vorhängen versehen, der Boden aus Holzdielen und die Zimmer haben hohe Decken. Es gibt sogar einen Kronleuchter, der in der Eingangshalle hängt und den ich eine ganze Weile beeindruckt anstarre, ehe ich Elijah überhaupt folgen kann. Er ist mit dunklen Kerzen bestückt und Kristalle funkeln an ihm.

      Wir betreten einen großen und dann wieder winzig kleinen Raum nach dem anderen. Sie sind verbunden mit langen Fluren und Treppen mit verschlungenen Geländern führen in die oberen Stockwerke. Auf den offenen Galerien meine ich neugierige Gesichter zu erspähen, die zu uns herunterblicken; wenn ich nach oben sehe, verschwinden sie rasch wieder.

      Ein leises Flüstern und Raunen dringt durch das verschachtelte Haus und ich ziehe die Schultern hoch, sehe beeindruckt an den Wänden hoch, die in bunten Farben angemalt sind. In einigen Räumen zieren Bilder die hohen Decken, Wälder oder andere Naturschauplätze, die mit einem feinen Pinsel gezeichnet wurden.

      Ungeachtet dessen, dass alles sehr weitläufig und groß ist, fühle ich mich irgendwie eingeengt wie ein Vogel, der seine Flügel nicht ausbreiten kann. Meine muss ich eng an meinen Körper pressen, weil ich befürchte, sie könnten sonst irgendetwas umstoßen oder berühren.

      Selbst wenn Elijah nicht durchblicken lässt, dass wir uns kennen, scheint er verstanden zu haben, dass ich keine Bleibe habe, und bietet mir an, mich im Haus umzusehen und bei ihnen unterzukommen.

      »Es leben viele hier, die nicht wissen, wo sie sonst bleiben sollen«, erklärt er mir und ich nicke, wenngleich ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich das verstehe.

      »Wie heißt du denn?«, fragt er jetzt und dreht sich zu mir herum. Ich fahre staunend mit den Fingern über eine Strebe des Treppen­geländers. Das Holz ist kühl unter meinen Fingern.

      »Mädchen? Hast du einen Namen?«

      Ich sehe ihn mit großen Augen an. Er erwidert meinen Blick mit seinen klaren, eisblauen. Sieht er nicht das, was ich sehe? Fühlt er nicht, dass wir einander bekannt sind? Oder irre ich mich?! Nein, das kann nicht sein! Sein Gesicht ist das erste, was dieses Gefühl in mir auslöst. Ich kann die Augen schließen und weiß ganz genau, wie es aussieht, habe es mir fest eingeprägt. Aber vielleicht habe ich ihn damals, vor der Dunkelheit, auch nur beobachtet, so wie auf der Brücke. Vielleicht kann er sich gar nicht an mich erinnern.

      »Du verstehst mich, oder?«, meint er und legt seinen Kopf leicht schräg. Mein Herz gerät ins Stolpern. Was hat er gefragt? Ah. Mein Name. Was soll ich jetzt sagen? Dass mir niemand einen gegeben hat? Dass ich es nicht genau weiß? Dass ich gar nichts mehr weiß? Er übernimmt glücklicherweise das Reden für mich, als er meinen unschlüssigen Gesichtsausdruck bemerkt.

      »In Ordnung, du weißt es also nicht oder möchtest es mir zumindest gerade nicht sagen, habe ich recht?«

      Ich nicke zaghaft. Nicken ist besser als etwas zu sagen.

      »Nun gut, weißt du, wo du herkommst? Aus welchem Dorf?«

      Dieses Mal schüttle ich den Kopf und mache eine unbedeutende Handbewegung.

      »Hm, und deine Eltern? Was ist mit ihnen?«

      Wieder