Flügelschatten. Carolin Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915533
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ist ja wohl mehr als gefährlich. Nervös sehe ich mich um, ob noch mehr derartige Gefahren irgendwo auf mich lauern, bereit, mir in den Weg zu springen. In diesen Häusern kann man ja nie wissen.

      »Hey! Es geht hier um dein Zimmer. Also kannst du ruhig herkommen.«

      Ich runzle die Stirn und tapse vorsichtig zu ihm hin. Er hält eine Tür auf. Unschlüssig bleibe ich stehen und blicke von ihr zu ihm und wieder zurück.

      »Du musst schon reingehen.« Seine Stimme klingt genervt, als wollte er das alles nur schnell hinter sich bringen und mich dann endlich los sein. Gleichzeitig spüre ich, wie er mich beobachtet. Wie sein Blick die ganze Zeit auf mir ruht, als stellte er sich die gleichen Fragen, was mich betrifft, die ich auch an ihn habe: Wer ist er? Wieso sieht er so seltsam aus?

      Ich bewege mich weiterhin nicht. Ich kann nicht. Die entsetzliche, eiskalte Angst sitzt in meinem Nacken und lähmt meine Glieder. Es ist der Fußboden, der nicht weich und moosbedeckt ist, wie ich es gewohnt bin. Es ist der geschlossene Raum, der mich einengt, weil ich das Gefühl habe, die Wände würden stetig weiter auf mich zurücken und mich zwischen ihnen zerquetschen. Es ist die hohe Decke, das Dach über mir, das den Himmel ausschließt und von oben auf mich niederdrückt. Es ist dieser Celdon mit seinem durchdringenden Blick. Jetzt zuckt sein Mundwinkel fast unmerklich.

      »Du brauchst dich nicht zu fürchten.«

      Ich fahre zusammen und sehe zu ihm auf, meine Augen müssen die stumme Frage herausschreien, sodass er seine Schultern hebt. »Man kann es riechen.«

      Ertappt weiche ich seinem Blick aus. Er kann meine Emotionen auf diese Weise wahrnehmen? Wie unheimlich! Ich überlege. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich flüchten und einen anderen Ort finden kann? Sehr gering. Dass ich in diesem gruseligen Haus keinen weiteren Elfen oder Menschen begegnen muss? Gleich null. Also bleibt mir die Möglichkeit, weiterhin draußen zu schlafen oder hierzubleiben. Und dann ist da noch Elijah.

      Ich seufze tief.

      Zaghaft macht sie einen Schritt auf das Zimmer zu und sieht mich dann erneut an. Ich zeige mit einer eindeutigen Geste, wie sinnlos ich das Ganze finde, indem ich sarkastisch die Arme ausbreite und die Brauen hebe. Was soll denn das ganze Theater?!

      Endlich schleicht sie zögerlich in den Raum. Ihre Bewegungen sind vorsichtig, misstrauisch. Sie streckt die Arme aus, als hätte sie Angst, die Wände würden sich um sie schließen. Es ist eine Bewegung, die mir ein leichtes Ziehen in der Brust entlockt. Als Elf ist mir Platzangst mehr als bekannt. Gerade wir können enge Räume, Tunnel oder Höhlen nicht sonderlich gut leiden. Dass die junge Frau keine Elfe ist, ist jedoch mehr als offensichtlich.

      Ich folge ihr mit genügend Abstand. Sie hat echt ein hübsches Zimmer bekommen. Das mit dem riesengroßen Fenster, dem Himmel­bett mit den Spitzenvorhängen, den weißen Kissen und dem weichen cremefarbenen Teppich in der Mitte. Der rot lackierte Kleider­schrank steht links, die Tapete ist hell. Alles in allem sehr freundlich und gemütlich.

      Um ehrlich zu sein, frage ich mich, wieso Elijah ausgerechnet ihr eins der schönsten Zimmer im Haus gibt. Sie muss es sich nicht einmal mit jemandem teilen!

      Es ist ja nicht so, als wären wir hier eine Art Gaststätte oder etwas Derartiges. Ich für meinen Teil würde ebenfalls gern meine Ruhe haben, aber bitte, vielleicht ist es auch besser, wenn sie einen eigenen Raum hat. Sie wirkt jedenfalls nicht gerade wie jemand, der gern Personen um sich hat, und mich beschleicht das Gefühl, dass auch die anderen hier ihr eher misstrauisch gegenübertreten werden. Kein Wunder, bei den Flügeln! Es kribbelt mich in den Fingern, sie einmal zu berühren. Sie sehen kräftig und dennoch filigran aus. Gleichzeitig flammt ein kurzer Stich der Eifersucht in mir auf und meine Hand zuckt kaum merklich zu meinem Rücken.

      Wenigstens bemüht sie sich, sie eng an ihren Körper zu pressen, sodass es aussieht, als könnte sie die Schwingen einklappen. Ansonsten würde sie auch sämtliches Mobiliar auf der Stelle umschmeißen.

      Staunend sieht sie sich um und ich beobachte sie verstohlen dabei. Meine anfängliche Abneigung ihr gegenüber verblasst langsam, als ich sehe, wie sie durch den Raum wandert. Ihr Mund ist leicht geöffnet, den Kopf hat sie in den Nacken gelegt, als hätte sie etwas wie dieses Zimmer noch nie gesehen. Und gesprochen hat sie auch bisher kein Wort. Ein bisschen komisch ist sie ja schon, irgendwie gibt sie mir dennoch das Gefühl, als müsste sie jemand beschützen vor all diesen Sachen, die sie nicht kennt. Ihre linke Hand streicht über die weiche Decke und sie dreht sich um und setzt sich auf die Bettkante. Die Matratze gibt nach, sie umklammert verschreckt ihre Beine. Ihr gesamter Körper versteift sich. Ich muss beinahe lachen, denn sie sieht schlichtweg albern aus, wie sie sich vor dem Bett fürchtet. Ihre schmutzigen Füße wirken neben dem ganzen Weiß noch dreckiger, als sie sich jetzt langsam entspannt, sich vor das Bett stellt und sich rücklings, mit ausgebreiteten Armen in die Kissen fallen lässt. Ein zartes Lächeln umspielt ihre Lippen. Ich muss grinsen, beiße mir im nächsten Moment auf die Lippe. Kann ich nicht schon längst gehen? Sie weiß Bescheid und es ist sicher nicht meine Aufgabe, für sie hier das Kindermädchen zu spielen. Doch seltsamerweise rühre ich mich nicht vom Fleck.

      Sie ist so eigenartig mit ihren kalten Augen und den verdreckten Sachen, und je länger ich sie anstarre, umso mehr Dinge fallen mir an ihr auf, die ich betrachten kann. Dass ihre Haut vollkommen frei von Muttermalen oder Narben ist, zum Beispiel. Sie ist einfach rein und weiß und schimmert ein wenig. Oder dass ihre Lippen im Gegensatz zu dieser blassen Haut fast schon unheimlich rot leuchten.

      Die junge Frau setzt sich auf und hüpft ein bisschen. Mit einem Mal fällt ihr ein, dass ich noch da bin, und ihr flüchtiges Kichern endet abrupt. Blitzschnell springt sie auf, zieht die Schultern hoch und sieht mich mit diesem verschlossenen und misstrauischen Blick an, den sie schon die ganze Zeit über draufhat.

      Ich habe ohnehin keine Lust, länger hier herumzustehen, wende mich ab und gehe zurück in mein Zimmer. Kaum dass ich die Tür geschlossen habe, höre ich das Bett nebenan quietschen. Schöner Mist, jetzt schläft sie ausgerechnet neben mir und hüpft die ganze Nacht herum. Mann, schon als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass mit ihr was nicht ganz rund läuft, und mit jemandem, der sich derart über ein Bett wundert, kann etwas nicht stimmen. Hoffentlich bleibt sie nicht allzu lange hier. Am besten gar nicht. Wir haben schon genug Sorgen …

       Das ist ja herrlich!

      Ich grinse breit und tolle ausgelassen auf dem Bett herum. Es ist Wahnsinn! Ein richtig kuscheliger Wahnsinn, so unglaublich weich, und es macht mehr als nur Spaß, darauf herumzuhüpfen. Ich albere eine ganze Weile herum, dann krieche ich unter die Decke, kuschle mich in die Kissen und fühle mich wie auf Wolken gebettet. Dank des großen Fensters komme ich mir nicht allzu eingeengt vor. Aber die Bettdecke ist schwer, die Matratze im Gegensatz zu dem Ast, auf dem ich sonst schlafe, fast schon zu weich, alles schlichtweg ungewohnt. Die Waldgeräusche fehlen, keine Eule ruft, kein Wind rauscht durch die Blätter, nichts raschelt. Es ist unerträglich still.

      Ich brauche lange, bis ich einschlafe, und träume schlecht.

      Bilder zischen an mir vorbei, Momentaufnahmen, nur kurze Ausschnitte, und bevor ich sie richtig sehe, sind sie auch schon wieder weg und ich kann mich an fast keines erinnern. Mit einem Mal wird alles schwarz, ich höre einen wütenden Schrei und sehe schlagartig wieder das Fenster zersplittern, sehe wieder die Scherben fliegen, das Sonnenlicht bricht sich darin. Ein Schrei, ich wirble herum, ein Arm rutscht von meiner Schulter. Ich sehe in seine Augen. Vertraute Augen. Dann rieche ich es. Mein Blick wandert zu seiner Wange, auf der ein langer Riss prangt …

      Schweißgebadet fahre ich hoch. Das Laken klebt an meiner Haut, panisch wühle ich mich aus den Deckenschichten, die sich um mich schlingen, als wollten sie mich erwürgen, und stehe zitternd da. Der Boden ist kalt und hart. Verzweifelt sinke ich auf die Knie, presse die Hand auf die Dielen und versuche, die Finger in sie hineinzu­krallen. Natürlich geschieht nichts, außer dass ein Fingernagel abbricht. Solange ich denken kann, war da der weiche Waldboden, die schützenden