Flügelschatten. Carolin Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915533
Скачать книгу
sind mir ein wenig unheimlich mit ihren dunklen, fast schwarzen Augen, dem heim­tückischen Grinsen, das stets verschlagen in ihren Mundwinkeln lauert, und den seltsamen Kleidern, die sie tragen. Sie tauchen in kleinen Gruppen auf und tuscheln und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie uns immerzu aufmerksam beobachten.

      Dieser Veith, ihr Meister, hat es zwar als ein Angebot ausgedrückt, dass wir uns dem Kampf anschließen, trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es eher eine Drohung war. Sie brauchen Rekruten. Und ich zweifele nicht daran, dass sie uns mächtige Probleme bereiten könnten, wenn ihre Armee sich tatsächlich dermaßen weit in den Süden durchschlagen kann.

      Doch die Hexen sind nicht so bereit, uns zu helfen, wie wir es uns erhofft hatten. Mit undurchdringlichen Mienen beobachten sie uns, seitdem wir sie am Rande des Dorfes entdeckt haben und auf sie einreden.

      »… dann ist sie davongestürmt und wir versuchten ihr zu folgen, verloren jedoch ihre Spur. Sie war viel zu schnell!«, schließe ich. Die beiden Hexen wechseln ernste Blicke und wiegen dann in stillem Einvernehmen ihre Köpfe hin und her.

      »Was auch immer das ist, es ist eine Gefahr für uns alle! Wir müssen etwas unternehmen«, fügt Horan mit wackliger Stimme hinzu. Noch haben wir unseren Frauen und Kindern nichts erzählt, denn sie sollen sich keine Sorgen machen. Allein bei dem Gedanken an das Mädchen überkommt mich eine Gänsehaut. Wer weiß, in was für einer Gefahr wir schweben?!

      Nun tritt eine der Hexen einen Schritt vor und deutet auf mich.

      »Du«, stößt sie hervor und ich fahre verschreckt zusammen, versuche es rasch zu überspielen. Ein wenig unsicher weiche ich dem Blick aus den pechschwarzen Augen aus. »Wir werden dich zu Veith bringen. Er wird entscheiden, was zu tun ist.«

      Man beäugt mich von oben bis unten. »Und wehe dir, deine Geschichte sollte nicht bis ins kleinste Detail stimmen …«

      Ich schlucke und schüttele rasch den Kopf.

      »N-nein, es ist alles wahr, es ist alles genau so, wie ich sagte!«, presse ich erstickt hervor. Ein Knoten zieht sich bei dem Gedanken, dem Obersten Hexenmeister persönlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, in meinem Magen zusammen. Wieder blicken die Hexen sich an und die vordere packt mich grob am Arm. »Wir werden sehen.«

      6

      Es ist warm. Sehr warm sogar, als ich am nächsten Tag weiter­wandere. Es kostet mich reichlich Überwindung, den ersten Schritt zu machen, und kaum dass diese Entscheidung gefällt ist, gibt es kein Zurück mehr für mich, und ohne mich noch einmal umzu­sehen, mache ich mich auf den Weg ins Ungewisse.

      Eine leichte Brise weht mir um die Nase und es ist viel stiller als im Wald, keine zwitschernden Vögel, kein durchs Unterholz huschende Tier, nicht das Geräusch der Äste, wie sie sich im Wind wiegen, kein Knacken, nichts. Nur das Gras rauscht sanft, wenn der Wind mit seinen Fingern hindurchfährt. Trotzdem bin ich froh, dass nicht auch auf dieser Seite der Wald an ein Dorf grenzt. Es wird sich zwar sicherlich nicht vermeiden lassen, eins zu betreten, ungeachtet dessen ist es mir lieber, wenn ich das hinauszögern kann. Viel, viel lieber!

      Es tut gut, allein unterwegs zu sein, niemandem zu begegnen, nicht einmal einem kleinen Tier. Da bin nur ich und ich genieße es zu spüren, wie meine Muskeln sich bewegen, wie meine Beine sich fügen, wie ich einen Fuß vor den anderen setze und wie mein ganzer Körper arbeitet.

      Schon nach kurzer Zeit bereue ich zutiefst, dass ich die letzte Nacht mit Schlafen verschwendet habe. Es ist unerträglich heiß geworden, was meinem wunden Hals und meiner ausgetrockneten Kehle nicht gerade guttut. Im Schatten der Bäume war es angenehm kühl, jetzt brennt die Sonne erbarmungslos auf mich nieder und versengt meine Haut. Meine Zunge fühlt sich an wie Sandpapier, mein Magen knurrt schon eine ganze Weile vor sich hin. Schade, dass ich Gras nicht essen kann, davon hätte ich genug.

      Kraftlos schleppe ich mich weiter vorwärts, den Blick starr geradeaus gerichtet. Bald schon ist mir schlecht vor Hunger und ich sehe Dinge, die unmöglich da sein können. Zumindest bin ich mir sicher, dass es keine fliegenden Fische gibt, die vor meinen Augen auf und ab flattern.

      Das letzte Mal, dass ich Blut getrunken habe, ist nicht lange her, dennoch sehne ich mich danach. Die Sonne schwächt mich, und je länger sie unerbittlich auf mich niederbrennt, desto schlapper werde ich.

      Mein Kopf ist schwer und meine Glieder schmerzen bei jeder Bewegung. Immer wieder denke ich, dass das der letzte Schritt sein muss, für den ich überhaupt Kraft habe, stur treibe ich mich trotzdem weiter voran.

      Das Flackern wird stärker, die ganze Welt schwankt und meine Knie zittern so heftig, dass ich nicht glaube, dass sie mich noch einen Moment länger tragen können. Da entdecke ich sie.

      Zuerst traue ich meinen Augen kaum, denn es ist so wunderschön, dass es kaum wahr sein kann. Zahlreiche Apfelbäume stehen nah aneinander und das Allerschönste: eine Regentonne. Das Gras wächst dort höher, die Bäume wirken wie eine Abtrennung zu etwas anderem und für mich ist es regelrecht eine Art Energieschub. Ich reiße mich zusammen und stürze zu der Tonne. Begierig stütze ich mich am Rand auf, was den letzten Rest meiner Kraft verbraucht. Das Wasser steht hoch und ich mache mir gar nicht erst die Mühe, es mit den Händen zu schöpfen, sondern tauche einfach mit dem Kopf unter und trinke in großen Zügen, verschlucke mich fast. Das Wasser ist angenehm kühl durch die schattenspendenden Baum­kronen und macht meinen Kopf herrlich klar, erfrischt mich bis in die Haar­spitzen, dringt in jede Pore und gibt mir neue Kraft. Als ich endlich genug habe, sehe ich mich weiter um. Es handelt sich um einen Obstbaumgarten – eine vergessene Sense liegt auf dem Boden und ich wäre fast hineingetreten. Geschickt klettere ich an einer der Strickleitern nach oben, strecke mich und erwische einen Apfel. Es kracht laut, als ich die Zähne hineinschlage, ich genieße jeden Bissen und habe ihn bald bis auf das Kerngehäuse abgenagt. Noch zwei weitere Äpfel werden bis auf ihren Stiel reduziert, dann bin ich etwas gestärkt und komme dazu, mir meine Umgebung näher anzusehen. Hinter den Obstbäumen erstreckt sich ein kleiner Waldabschnitt, zwischen den Bäumen wuchern wilde Beeren und das Sonnenlicht tanzt zwischen den saftig grünen Blättern hindurch. Es sieht idyllisch aus. Ruhig. Mein Blick wird jedoch von etwas ganz anderem angezogen und langsam richte ich mich auf, lege meinen Kopf staunend in den Nacken, während meine Augen groß werden. Hoch oben in den Baumkronen entdecke ich eine Art von Behausungen. Aus den Zweigen hat man Baldachine geflochten und kleine Hütten errichtet. Sie sind mit Brücken verbunden, die aus Seilen und Gehölz geknüpft wurden und sich wie ein Netz durch die Baumkronen spannen. Diese sind größer und üppiger, als ich es je gesehen habe – die Äste sind derart mächtig, dass ich mich plötzlich winzig klein wie ein Schmetter­ling fühle. Ich könnte ohne Schwierigkeiten über sie balancieren und zu einer der Behausungen gelangen. Dutzende von ihnen befinden sich weit über dem weichen Waldboden. Bunte Tücher, wie Vorhänge vor den Eingängen, flattern in einer sanften Brise. Es sieht aus wie eine kleine Siedlung.

      Doch sie ist verlassen.

      Kein Geräusch dringt aus den Häusern zu mir und als ich mich zu einem von ihnen hinauf wage, bemerke ich, dass sie wirken, als wären die Einwohner hastig verschwunden – keine persönlichen Gegenstände oder Ähnliches, nur Betten aus Gräsern und Kissen aus Blättern und Blüten, die achtlos über den Boden verstreut wurden. Ein zerbrochener Krug liegt auf Holzdielen, eine gewebte Tasche hängt über einem Zweig, der in das Haus ragt. Sie ist eingerissen, als hätte man sie mitnehmen wollen und wäre hängen geblieben.

      Ich stutze. Könnten das Wesen wie ich sein, wenn sie auch oben auf Bäumen leben? Es kann sich nicht um Menschen handeln, die würden das nicht tun! Nur, wenn das Behausungen sind – wo sind dann ihre Bewohner?! Wieso sieht es aus, als wären sie überstürzt von hier fortgegangen?

      Neugierig klettere ich die mächtigen Äste weiter empor – ihre Größe und die vielen Strickleitern machen es mir einfach, durch das Blätterdach zu stoßen und in die Ferne zu blicken. Mein Herz rast und überschlägt sich förmlich, als ich erkenne, was hinter den Obststreifen und dem kleinen Waldabschnitt liegt.

      Ein