Flügelschatten. Carolin Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915533
Скачать книгу
weiteren Späher gesehen in den letzten Tagen.«

      Späher? Ich blicke neugierig unter der Brücke hervor. Die Tropfen kommen inzwischen mit solch einer Heftigkeit auf dem Fluss auf, dass sie von dort wieder ein kleines Stück zurück in die Luft springen.

      »Das ist gut.«

      »Glaubt Ihr, sie werden sich zurückziehen?«

      Forsch klettere ich ein Stück unter dem Brückenboden hervor, presse mich weiterhin nahe an das Gemäuer. Das Gras wuchert hoch und der Regen übertönt meine Schritte. Es ist inzwischen schon sehr dunkel geworden und ich bin meinen scharfen Augen dankbar, dass ich dank ihnen noch etwas erkennen kann. Zum Beispiel die Nischen in der Steinwand, in die meine Füße passen würden …

      »Fürs Erste vielleicht, aber bestimmt nicht für lange Zeit. Sie werden zurückkommen.«

      Ich ziehe mich vorsichtig an dem Gemäuer der Brücke empor. Die Steine sind rutschig und ich klammere mich gut an ihnen fest. Vorsichtig schiebe ich mich nach oben, um unauffällig über den Rand der Brüstung zu lugen. Das Gespräch der Elfen macht mich stutzig, genau wie die Tatsache, dass sie sich hier im strömenden Regen treffen.

      Jetzt erkenne ich sie. Die Gestalt, die als Erstes gekommen ist, steht mit dem Rücken zu mir, die Arme verschränkt und einen dunklen Mantel über die Schultern geworfen. Sie trägt keine Kapuze, weshalb die dunklen Haare an ihrem Kopf kleben. Ihr Gegenüber ist nicht so hochgewachsen und kräftig, ein etwas älterer Mann mit funkelnden grünen Augen und Haaren in der Farbe von Weizen, die er sich aus dem Gesicht gebunden hat. Er blickt ernst und besorgt drein.

      Ein Glück, dass sie in ihr Gespräch vertieft sind und sich besorgt anblicken, und ein Glück, dass es in Strömen regnet, auf diese Weise kann ich mich ein Stück weiter an sie heranwagen.

      »Was können wir tun?«, fragt der Mann mit dem mir zugewandten Gesicht, während sein Gegenüber seufzt. Er klingt erschöpft und müde. Resigniert.

      »Nicht viel. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt – Flucht oder Angriff. Am meisten sorge ich mich darum …« Er schüttelt den Kopf und sieht sich um. »Die größte Gefahr ist die Angst. Und auch wenn sie noch nicht hier sind, sie eilt ihnen voraus. Die Angst müssen wir schon jetzt bekämpfen.«

      Grimmig nickt der andere Mann und ich kauere mich hinter der Steinmauer zusammen, nur mit meinen Augen spähe ich verstohlen über die Brüstung und versuche, mir einen Reim auf diese seltsamen Worte zu machen. Wer kommt?

      Als die Männer einander wie zum Abschied zunicken, ducke ich mich verschreckt.

      Der ältere Mann verschwindet mit wehendem Mantel, während der mit den dunklen Haaren einen Moment länger auf der Brücke verweilt. Schließlich dreht auch er sich zu mir herum, um davonzustapfen.

      Und in dem Augenblick, als er sich umwendet, bleiben meine Gedanken für einen Moment entsetzt stehen. Gleichzeitig jagen zuckende Impulse durch meinen Körper und ich spüre, wie meine Finger verkrampfen und ich beinahe rücklings von der Mauer gefallen wäre.

      Ungläubig reiße ich die Augen auf, doch selbst durch den dichten Regenschleier ist es nicht zu leugnen. Sein Anblick trifft mich heftig und unvorbereitet wie ein Fausthieb in die Magengrube. Ich keuche auf. Es ist nur ein kurzer Moment, kaum länger als ein Blinzeln, ehe er sich zur Seite dreht und den Kragen seines Mantels hochschlägt, dennoch bin ich mir sicher. Das Bild brennt sich in mein Gedächtnis und vermischt sich dort mit einem Erinnerungsfetzen, der gestochen scharf urplötzlich aus den schwarzen Fluten auftaucht.

      Das Gesicht das Mannes verschwimmt hinter den Tropfen, die stahlblauen Augen jedoch, die in dem Grau der Abenddämmerung aufblitzen, die markanten und harten Wangenknochen, die blasse Hautfarbe und die zahlreichen Narben – ich kenne dieses Gesicht.

      7

      Ich gähne und stoße mit dem Fuß die Zimmertür auf. Es ist heiß und stickig darin. Müde ziehe ich die Schultern hoch und schlurfe zu dem Fenster auf der linken Seite. Jetzt, wo die Sonne von dunklen Wolken überschattet wird und sich der Abend neigt, ist es zum Glück ein wenig kühler geworden. Ich reiße die Fenster weit auf und atme die frische Luft ein, die nach Sommerregen riecht. Er prasselt lautstark auf das Dach und der Wind heult um das Haus. Froh, hier drinnen zu sein, recke ich den Hals und blicke auf das Dorf hinunter, das man von unserer Anhöhe gut sehen kann.

      Die spitzen Dächer ragen fast schon bedrohlich in der Nacht auf, ihre grauen Schieferplatten heben sich kaum von der Dunkelheit ab und der Wind trägt das Schlagen der Kirchturmuhr zu uns herüber. Es sieht friedlich aus. Leer und verlassen. Ich weiß, dass der Schein trügt.

      Gerade als ich mich wieder abwenden und auf mein Bett werfen will, meine ich, aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu sehen. Vom Regen verzerrt, abgehackt und kurz wie das Flügelschlagen einer Libelle. Ich kneife die Augen zusammen und sehe erneut dorthin, wo ich meine, eine Gestalt gesehen zu haben. Und tatsächlich:

      Eine junge Frau, nur schemenhaft erkennbar, denn der Regen verschleiert meine Sicht. Ihre weißblonden Strähnen kleben an ihrem Gesicht und sie zittert erbärmlich, die Arme um den Körper geschlungen. Ihr blasses Gesicht leuchtet in der Dunkelheit und die Haut ihrer nackten Beine schimmert wie Mondlicht.

      Sie wirkt klein und verlassen und einsam.

      Mit einem Mal hebt sie den Blick und starrt mich direkt an. Ich zucke zurück, dann beuge ich mich vor. Sieht sie tatsächlich mich an? Kann sie mich überhaupt erkennen, durch den Regen und im zweiten Stock des großen Hauses? Kann ich ihre Augen richtig sehen und beurteilen, dass sie zu mir aufblickt? Ich bin mir sicher. Es fühlt sich an, als würde mich ihr Blick geradewegs durchbohren, und ich spüre ein unangenehmes Ziehen in der Brust.

      Verwirrt erwidere ich einen Moment lang den intensiven Blick, unfähig, mich von ihr loszureißen. Irgendwie gruselig. Dann wende ich mich ab und streife mein Hemd über den Kopf, um es achtlos in eine Ecke zu pfeffern. Mein Blick gleitet zu dem hohen Wandspiegel und ich begutachte die Muskeln an meinen Armen. Das anstrengende Training macht sich bezahlt und ich nicke mir zufrieden zu. Unter meinem linken Auge hat sich ein Bluterguss gebildet, aber es könnte deutlich schlimmer sein. Verächtlich schnaube ich bei dem Gedanken daran, wie Liam mich damit ärgern wollte, dass es die braune Farbe meiner Iriden zur Geltung bringe.

      Mit einem Mal fegt ein Windstoß in das Zimmer herein. Er bauscht die Vorhänge auf und lässt die Fenster zittern. Obwohl mir vorhin viel zu warm war, fröstele ich jetzt. Regentropfen sprenkeln den Boden und es ist, als würde der Himmel noch ein wenig düsterer werden. Andererseits hatten wir auch lange kein ordentliches Sommer­gewitter mehr und Ilóris hat schon vor einigen Tagen prophezeit, dass es kommen würde.

      Halbherzig fahre ich mir durch die Haare und betrachte den breiten Kratzer an meinem Kinn, den ich mir gestern zugezogen habe. Hoffentlich wird er verschwinden und nicht zu einer hässlichen Narbe werden, von denen ich im Gesicht bisher kaum welche hab.

       Wumm.

      Ich fahre heftig zusammen, als über meiner linken Schulter urplötzlich ein Gesicht auftaucht. Verschreckt wirbele ich herum, so schnell, dass ich den Spiegel umstoße und er scheppernd zu Boden fällt. Doch hinter mir ist niemand. Das Zimmer ist leer, nur der Wind rüttelt an den Wänden.

      Dennoch bin ich mir sicher, dass ich jemanden gesehen habe … Unruhig wage ich nicht, mich zu rühren, mit meinen Blicken suche ich den Raum ab, dabei gibt es kaum Möglichkeiten, sich in dem spärlich eingerichteten Zimmer zu verstecken, schon gar nicht so schnell. Ich muss es mir wohl nur eingebildet haben … Ganz sicher habe ich es mir nur eingebildet. Langsam drehe ich mich zurück und hebe den Spiegel auf.

      Dann lege mich auf mein Bett. Aber sosehr ich es auch versuche, der Schlaf will nicht kommen. Dieser kurze Moment, dieses flüchtige Bild, es will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.

      Aufgekratzt wälze ich mich hin und her, finde keine Ruhe. Eine Windböe fegt erneut den Regen herein und ich springe auf, um die Fenster mit einem