Flügelschatten. Carolin Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915533
Скачать книгу
hier gelebt haben, dorthin gegangen? Nur warum?

      Ich seufze stumm, zwinge mich dazu, ein paar Früchte einzu­stecken und den Baum wieder hinunterzuklettern, um auf das Dorf zuzuhalten. Meine Neugier ist größer als meine Furcht. Zu meiner Enttäuschung und großen Sorge handelt es sich allerdings ebenfalls um Menschen, wenn auch, wie mir diesmal auffällt, einige von ihnen anders zu sein scheinen. Da gibt es menschenähnliche Wesen mit intensiv leuchtenden Augen in einem satten Moosgrün oder blitzendem Silberton. Ihre Ohren laufen spitz zu und sie bewegen sich viel geschmeidiger und eleganter, als die Menschen es vermögen. Ich spüre eine Art seltsame Energie, die von ihnen ausgeht. Sie ist sehr stark wahrnehmbar, beruhigend und sanft plätschernd wie ein Bach. Wenn ihre Füße die Erde berühren, sprießen herrlich bunte Blüten an diesen Stellen aus dem Boden empor und ich habe das Gefühl, als wäre ihre Haut von einem leicht goldenen Schimmer überzogen.

      Diese Wesen sind keine Menschen, sie sind überlegt und still, trotzdem können sie mit den Menschen offenbar koexistieren, versuchen es zumindest.

      Abgesehen davon bin ich mir sicher, dass ich sie in dem Ort, den ich vor langer Zeit im Wald besucht habe, nicht antreffen konnte.

      Kommen sie aus den Baumsiedlungen?

      Ich ziehe mich in eine Hausnische zurück und versuche, mein weiteres Vorgehen zu planen: Den Ort schnell durchqueren und so weit wie möglich hinter mir lassen? Andererseits werde ich noch durch viele andere Dörfer gehen müssen, also bringt es nichts, wenn ich es rasch verlasse, denn das nächste wird nicht lange auf sich warten lassen. Ich sollte mich besser darin üben, mich mit anderen menschen­ähnlichen Wesen zu umgeben …

      Also trete ich nach einem kurzen Zögern in das Sonnenlicht.

      Das Dorf unterscheidet sich nicht sehr von dem, in dem ich vorher war, grundlegend sehen sie sich sogar ziemlich ähnlich, nur dass die Straßen und Häuser ein wenig anders aussehen und anders angeordnet sind, trotzdem kommt mir das Ganze wie ein schreckliches Déjà-vu vor. Geduckt schleiche ich auf die Straße und bemühe mich, mich wie sie zu verhalten, indem ich die Leute, die an mir vorbeigehen, verstohlen und verschreckt beobachte, indes sie kaum eine Notiz von mir nehmen, sie sind viel zu beschäftigt. Es ist eine bunte Mischung aus Menschen und diesen eigenartigen anderen Wesen, deren Name mir nicht einfallen will. Doch ich bemerke sie.

      Ein Mädchen, das eine Handvoll Kieselsteine in die Luft wirft, die sich in schillernde Seifenblasen verwandeln, oder eine alte Frau mit silbriger Haut und endlos langen Haaren, ein Mann mit Stiefeln, die bei jedem Schritt die Farbe wechseln. Aber was sie sind, fällt mir nicht mehr ein …

       Elfen.

      Richtig! Ich spüre die Magie in ihren Adern fließen, die Aura, die sie umgibt, und ich kann fühlen, dass die Stimme in meinem Kopf recht hat. Sie sind Elfen. Und mitten unter ihnen: ich. Meine Augen sind trotz allem eine Seltenheit, genau wie meine Flügel. Noch dazu sind meine Haare völlig verfilzt, meine Füße nackt und dreckig, meine Beine schmutzig, meine Kleidung zerrissen, mein Gesicht zerkratzt. Obendrein schleiche ich angespannt herum. Sehr unauffällig.

       Guck ein bisschen freundlicher, so misstrauisch wie jetzt ziehst du nur die Blicke auf dich!

      Es kommt mir vor, als hätte ich mir das schon öfter sagen müssen, als wäre ich schön öfters in Dörfern gewesen und hatte mich verstellen müssen, um nicht aufzufallen. Wann soll das gewesen sein? Mir ist aufgefallen, dass es kleinere Menschen gibt, jüngere, ich kann mich jedoch nicht erinnern, einmal wie sie gewesen zu sein. Da war nur Dunkelheit. Geht es den Menschen auch so?

      Es frustriert mich, dass ich mir die immer gleichen Fragen stellen muss und nie eine Antwort darauf habe. Nie eine Antwort darauf bekomme.

      Angestrengt versuche ich meine Angst zu verbergen und ein Lächeln aufzusetzen. Ein kleiner Junge wirft mir einen irritierten Blick zu, zieht am Rock seiner Mutter und zeigt auf mich. Schnell sehe ich zur Seite.

       Geh nicht so gebückt, nimm den Kopf etwas hoch, bewege dich lockerer.

      Ich bemühe mich angestrengt, alle Anweisungen zu befolgen, und straffe vorsichtig meine Schultern. Meine Gelenke knacken kurz und leise, als sie sich in eine andere Position bewegen. Mein Rücken schmerzt und es fühlt sich unangenehm und schutzlos an, aufrecht herumzulaufen. Nervös will ich mich umsehen, reiße mich energisch zusammen.

      Der Ort ist groß und schließlich geht die Sonne langsam am Horizont unter, wobei sie die Straßen in ein feuriges Licht taucht. Dann beginnt es zu regnen. Plötzlich und stark. Menschen und Elfen eilen über das holprige, ausgetretene Kopfsteinpflaster, um sich in ihre trockenen Häuser zu retten. Mit hochgezogenen Schultern laufen sie an mir vorüber, um ja schnell den Tropfen zu entgehen, und wenn ich vorhin kaum blinzeln konnte, so beklemmend war das Gefühl, inmitten der Menge zu gehen, stehe ich jetzt mit einem Mal allein und verlassen auf der gepflasterten Straße. Ich hebe den Kopf zum Himmel und genieße das Gefühl, wie die Regentropfen sanft auf mich niederprasseln, eine zarte Berührung. Der Geruch von warmem Sommerregen breitet sich in der Luft aus und ich schließe die Augen, obwohl meine Sachen schon bald klitschnass sind und mir am Körper kleben.

      Irgendwo werde auch ich mich in Sicherheit bringen müssen, denn der Regen wird heftiger, fast schon schmerzhaft prasseln die Tropfen bald auf mich nieder und der Himmel ist grau und wolken­verhangen. Das Sonnenlicht schwindet und schnell ist es dunkel geworden. Die nun leer gefegten Gassen erscheinen mir noch größer und endloser und die Gebäude zu ihren Seiten ragen bedrohlich über mir auf, sodass ich mich unter dem Blick ihrer dunklen Fenster ängstlich ducke.

      Pfützen bilden sich in den Löchern auf dem Weg und das Wasser spritzt zu allen Seiten, wenn ich hineintrete. Ich ziehe mir meine Jacke über den Kopf und beginne zu laufen, Selbst wenn es gar nicht der Regen ist, der mich dazu treibt. Ich habe das Gefühl, mich bewegen zu müssen, schnell rennen zu müssen, jetzt, wo Platz dafür ist. Ich verlasse die alte Straße und klettere Schutz suchend unter eine der vielen kleinen Brücken, die sich bogenförmig über einen Fluss spannen. Sie sind ebenfalls aus blassem Sandstein und mit schwarzen Laternen gesäumt, deren Kerzen noch niemand entzündet hat.

      Ich kauere mich in das Gras am Uferrand und ziehe die Beine an, schlinge die Arme um meine Knie und blicke zu der Unterseite der Brücke über mir auf. Nass werde ich nun zwar nicht mehr, dennoch schaffe ich es nicht, irgendein anderes Gefühl in mir zu spüren als eine traurige Leere. Wie ich plötzlich die Einzige war, die auf der Straße stand, weil ich keinen Ort hatte, an den ich gehen könnte, das lässt mich nachdenklich werden. Muss ich nicht auch irgendwohin gehören? Nur wohin?

      Ich sehe auf den grauen Fluss vor mir, der langsam und still vor sich hin fließt. Er verliert sich in einiger Entfernung zwischen den Häusern, hinter denen er langläuft, ehe er eine schmale Biegung macht.

      Mit einem Seufzen versuche ich es mir ein wenig bequem zu machen. In der Nacht werde ich weiterwandern können, denn dann schlafen die Menschen und sicher auch die Elfen in diesem Dorf und ich muss ihnen nicht begegnen. Ich lausche auf die Tropfen, die auf die Brücke über mir klopfen, und will gerade die Augen schließen, als ich Schritte wahrnehme. Sie nähern sich, lange Schritte, leicht­füßig und überlegt. Ein wenig hastig. Ich versteife mich, doch schnell stellen meine geübten Ohren fest, dass die Person sich auf der Brücke befindet und somit nichts von mir ahnt, mich von dort oben auf keinen Fall sehen kann.

      Die Schritte halten an. Eine Schuhsohle scharrt über den Boden, als wäre jemand nervös, ungeduldig. Sein Herz klopft schneller.

      Ein zweites Paar Schritte beginnt jetzt über die Erde zu trippeln. Ebenfalls leicht und nicht so stampfend, wie ich es von den Menschen gewohnt bin – vermutlich handelt es sich um Elfen, diese sind überlegter, sanfter. Glaube ich zu wissen. Wieder einmal erschrecke ich darüber, wie gut mein Gehör ist, denn es dauert überraschend lange, bis auch diese Schritte über mir auf der Brücke widerhallen und die Gestalten einander offenbar erreicht haben.

      Auch diese Füße halten an. Sie scheinen also aufeinander zu warten. Warum sind sie nicht in ihren Häusern wie alle anderen?

      Auch über das Prasseln des Regens kann ich noch ihre Stimmen vernehmen – männlich und dunkel.

      »Gibt