• Die reale äußere Welt wird durch manipulative Einflussnahme auf die Bezugspersonen verändert. Bei dieser interpersonellen Abwehr spielt der Mechanismus der projektiven Identifizierung und manipulativen Kontrolle von anderen eine bedeutende Rolle.
Verdrängungsabwehr
Auf der Stufe der reifen Entwicklung bzw. beim höheren Strukturniveau bestehen Möglichkeiten, Spannungen weitgehend durch intrapsychische Verarbeitung abzubauen. Dabei werden insbesondere die spannungserzeugenden Wahrnehmungen, z. B. Affekte und Konflikte, verdrängt. Diese Form der reiferen Abwehr bezeichnet man deshalb auch als Verdrängungsabwehr.
Wie bei allen Vorgängen, die einer Entwicklung unterliegen, ist eine strikte Trennung zwischen früher und reifer Abwehr willkürlich. Beide Formen können nebeneinander bestehen. Das geschieht vor allem beim mittleren Strukturniveau. Unter Druck kann eine reifere Abwehr außerdem im Rahmen einer strukturellen Rregression aufgegeben werden und eine bereits zurückgetretene frühere Abwehrformation wieder wirksam werden.
Abwehr und Bewältigung (Coping)
Unter Bezugnahme auf das lerntheoretisch fundierte Konzept des Copings (
• Abwehr ist ein überwiegend unbewusster Prozess, der einsetzt, wenn der Betroffene vor einer unlösbaren Aufgabe steht. Sie führt nicht zu einer Lösung des Problems, sondern dazu, dass es aus der bewussten Wahrnehmung und Reflexion ausgeschlossen wird.
• Bewältigung (Coping) ist ein mehr oder weniger bewusster Vorgang, mit dem der Betroffene versucht, sein inneres Gleichgewicht durch Veränderung seiner Emotionen, Kognitionen oder seines Verhaltens trotz weiter bestehender Belastungen aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen und dadurch den Problemdruck zu mäßigen.
Abwehr und Bewältigung sind an sich lebenswichtige und förderliche Prozesse. Zum Problem können aber ein Übermaß an Abwehr oder eine ausgeprägte Rigidität der Abwehr werden. Sie würden auf stark wirksame unbewusste Einschränkungen und Konflikte hinweisen.
Störend können auch die Folgen der Abwehr sein: Fehlhandlungen aufgrund einer Verdrängung, Symptombildungen aufgrund einer Regression oder neurotische Charakterzüge bei dauernd eingesetzten Abwehrmechanismen. Ebenso kann Bewältigung maladaptiv werden, indem z. B. durch übergroße Aktivitäten ein angeschlagener Gesundheitszustand, um dessen Bewältigung es ginge, weiter geschwächt wird.
2.1.3 Struktur39
Struktur bezeichnet die überdauernden Muster, mit denen der Mensch sich zu sich selbst und seinen Objekten in Beziehung setzt. Sie äußert sich in basalen Fähigkeiten, insbesondere in den Fähigkeiten zur Regulation von Beziehungen, Affekten, Impulsen und im Selbstwertgefühl. Diese Fähigkeiten charakterisieren das Strukturniveau der Persönlichkeit. Bei defizitären Entwicklungen der psychischen Struktur entstehen Regulationsstörungen. Sie werden in diesem Buch als Entwicklungspathologie bezeichnet und der Konfliktpathologie gegenübergestellt.
Struktur ist ein zentraler Begriff der Persönlichkeitslehre. Er bezeichnet im psychodynamischen Denken ein System von Prozessen. Darin gehen Motivationen (Grundbedürfnisse und spezifische Triebe), Befindlichkeiten (Affekte und Emotionen) und Ichleistungen (Abwehr, Bewältigung, basale Fähigkeiten) ein und bilden überdauernde Muster. Sie entstehen aus frühen Beziehungserfahrungen, in denen der Mensch im Spiegel der anderen ein Bild von sich erwirbt und sich mit Vorbildern identifiziert.
Als klassisches Konzept entwickelte Freud das psychoanalytische Strukturmodell der menschlichen Psyche (
Das psychoanalytische Strukturmodell40
Freuds klassisches Strukturmodell der Psychoanalyse unterscheidet zwischen Ich, Es und Überich.
• Das Ich ist die beobachtende, vermittelnde und integrierende, das innere Gleichgewicht und die Funktionsfähigkeit wahrende Steuerungsinstanz. Ihre Inhalte und Funktionen sind teils bewusst, teils unbewusst. Sie vermittelt zwischen dem Lustprinzip des Es und den Werten und Normen des Überichs und, aus anderer Perspektive, zwischen der inneren und der äußeren Realität bzw. zwischen dem Selbst und seinen Objekten. Das Ich wird vom Realitätsprinzip und vom Bedürfnis nach Integration, Kontinuität und Sicherheit geleitet. Für diese Aufgaben werden eine Vielzahl von Ichfunktionen aufgebaut, darunter die Abwehrmechanismen.
• Der Mensch bildet sich Vorstellungen über sich selbst und seine Beziehungen zu Menschen und Dingen der Welt. Diese Vorstellungen bilden einen Komplex im Ich, der als Selbst41 bezeichnet wird. Die Fähigkeit, zwischen dem Selbst und den Erwartungen und Rollenzuweisungen der Umgebung eine Balance zu halten, ist der Kern der Identität42.
• Das Es repräsentiert die Triebe und Bedürfnisse. Es wird durch das Lustprinzip motiviert und strebt nach Triebbefriedigung. Man kann es als die Instanz der von innen kommenden, biologisch-genetisch fundierten Motivationen betrachten.
• Das Überich verkörpert die verinnerlichten Normen und Verbote, die Vorbilder, Ideale und Gebote. Man kann die Verbotsseite als Überich im engeren Sinne von der Gebotsseite abgrenzen und diese als Ichideal bezeichnen. Das Überich enthält als Gegenpol zum Es die sozialen Motivationen, die durch Identifikationen mit den Bezugspersonen, mit sozialen Werten und kulturellen Normen erworben werden.
Nach diesem Modell werden Konflikte, z. B. zwischen dem Es und dem Überich, durch das Ich geschlichtet und zwar z. B. durch Verdrängung des unverträglichen Triebwunsches (Triebabwehr), des gesamten Konfliktes (Konfliktabwehr) oder der konfliktbedingten Angst (Angstabwehr). In gleicher Weise können auch Konflikte zwischen dem Ich und dem Es bzw. zwischen dem Ich und dem Überich durch Verdrängung ins Unbewusste gelangen.
Im Prinzip ist das Freudsche Modell für das Verständnis der Konfliktstörungen, d. h. der »klassischen Neurosen« noch immer gültig. In der Systematik dieses Buches findet es für das Verständnis der Konfliktpathologie auf höherem Strukturniveau Anwendung. Dabei stehen heute allerdings weniger die Triebkonflikte im Fokus. Beziehungskonflikte sind an ihre Stelle getreten.
Abb. 2.1: Das Strukturmodell der Psychoanalyse
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