Psychotherapie und Psychosomatik. Michael Ermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Ermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783170368026
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      Konflikte und ihre Verarbeitung bei der Konfliktpathologie

      Konflikte und ihre Verarbeitung bilden traditionell den Kern jeder psychoanalytischen Betrachtungsweise. Dabei werden das aktuelle Erleben, Persönlichkeitszüge, die Beziehungsgestaltung und die Symptomatik psychogener Störungen unter der Perspektive der Konfliktbewältigung betrachtet. Die Verdrängung spielt dabei eine besondere Rolle.

      Der Ausgangspunkt der psychoanalytischen Konfliktlehre waren die Triebkonflikte, die als intrapsychische Prozesse beschrieben wurden. Die Inhalte können sehr unterschiedlich sein. Es handelt sich z. B.

      • um nicht verarbeitete Gegensätze zwischen Bedürfnissen (Triebwünschen) und ihrer Versagung,

      • um gegensätzliche Triebregungen oder Gefühle (zerstören versus bewahren; hassen versus lieben),

      • um Konflikte zwischen Impulsen einerseits und Geboten, Werten, Idealen oder Verboten andererseits (Inzestwunsch versus Inzestverbot; Mordimpuls versus Tötungstabu).

      In dieser Betrachtungsweise schlagen sich Triebschicksale (gemeint ist das Ergebnis der Verarbeitung von Triebkonflikten) als neurotische Reaktionsbereitschaft in der Persönlichkeit nieder. Der dynamisch wirksame Affekt ist dabei die Konfliktangst. Sie wird durch Konfliktabwehr vermindert und letztlich durch Verdrängung unbewusst und bildet die Disposition für die Entstehung von Konfliktstörungen im späteren Leben (image Kap. 3.2).

      Bei dieser intrapsychischen Konzeptualisierung werden Konflikte den Kategorien des psychoanalytischen Persönlichkeitsmodells zugeordnet und als Konflikte zwischen Es und Überich oder zwischen innen und außen beschrieben. Sie können durch Entbehrungen, Stimulierung, Verzichtsforderung, Strafandrohung, Kränkung, Vernachlässigung, unrealistische Werte und Erwartungen, durch Enttäuschungen und Ablehnung u. v. a. hervorgerufen werden, die als solche im Ich bewusst oder unbewusst wahrgenommen und als Konflikte erlebt werden.

      Aus traditioneller Sicht betrachtet man Konflikte also vorrangig in der intrapsychischen Dimension, d. h. man untersucht z. B. die Beziehung zwischen dem Ich und dem Überich als Repräsentation eines zwischenmenschlichen Konfliktes. Die neueren Konzepte betonen dagegen die zwischenmenschliche Dimension des Konflikterlebens. Sie beschreiben Konflikte als Beziehungserleben, z. B. die Spannung in frühen Interaktionen, die sich in einer aktuellen Partnerschaft zwischen Autonomie- und Abhängigkeitsstreben wieder abbilden können.

      Zentrale Entwicklungsthemen und die dem Leben innewohnende Antinomie werden dann als Grundkonflikte beschrieben. Hier handelt es sich um das Zusammentreffen von exstenziellen Grundbedürfnissen mit problematischen interpersonellen Konstellationen34 (image Übersicht).

      Grundbedürfnisse und Grundkonflikte

      • Grundbedürfnis in Beziehung zu sein

      → Grundkonflikt der Nähe

      Wunsch nach Nähe versus Angst vor Überwältigung

      • Grundbedürfnis nach Geborgenheit beim anderen

      → Grundkonflikt der Bindung (Depressiver Grundkonflikt)

      Verlangen nach einem haltgewährenden, idealen Objekt versus Objektenttäuschung, -entwertung, -vermeidung

      • Grundbedürfnis autonom zu sein

      → Grundkonflikt der Autonomie

      Autonomiewunsch versus Objektverlustangst

      • Grundbedürfnis identisch zu sein

      → Grundkonflikt der Identität

      Bedürfnis, eigene Identität zu leben versus Anpassung an Erwartungen und Verbote anderer

      Konflikte sind eine Gegebenheit des Lebens und der menschlichen Entwicklung. Sie stellen eine Chance für Wachstum und Reifung dar. Der Umgebung kommt dabei eine wichtige Funktion zu: Die einer hilfreichen Umwelt, welche Entwicklungen ermöglicht35. Wenn sie allerdings unlösbar sind bzw. wenn ihre Lösung durch ungünstige Einflüsse, z. B. durch eine uneinfühlsame Erziehung, behindert wird, dann werden sie verdrängt und stellen eine ernsthafte Gefahr für das innere Gleichgewicht und die weitere Entwicklung dar. Verdrängte ungelöste Konflikte bilden ein Risiko für die Entstehung einer Konfliktstörung.

      Das Konzept von Krankheiten als Konfliktfolge36 setzt allerdings ein reifes oder zumindest mittleres Strukturniveau und ein konsolidiertes Ich und Überich voraus. Wenn diese Entwicklungsstufe nicht erreicht ist, können Konflikte als solche im Ich nicht wahrgenommen und weiterverarbeitet werden. Insofern gilt dieses Konzept nur für Konfliktstörungen im Sinne klassischer Neurosen, also für die Konfliktpathologie.

      Konflikte bei der Entwicklungspathologie

      In den Frühphasen der Entwicklung ist ein konsolidiertes Ich noch nicht vorhanden. Hier fehlen die strukturellen Voraussetzungen für ein Konflikterleben im eigentlichen psychoanalytischen Sinne, d. h. als intrapsychischer Prozess zwischen psychischen Instanzen. Psychische Spannungszustände werden am Anfang des Lebens nicht begrifflich als Konflikte gefasst, die sich in die psychische Struktur einprägen, sondern bilden Spuren im vorsprachlichen Gedächtnis. Für ein eigentliches Konflikterleben fehlen insbesondere Mentalisierung und Symbolisierung. Die Betrachtung richtet sich deshalb auf den erlittenen Mangel, auf Entbehrungen, auf die unzureichende Förderung der Entwicklung, auf ungenügende Entwicklungsbedingungen und auf traumatische Erfahrungen. Ungünstige Entwicklungsbedingungen wirken nachhaltig auf die Persönlichkeitsentwicklung ein und hinterlassen Defekte in der Persönlichkeitsorganisation. Wir sprechen daher von einer Entwicklungspathologie.

      Diese Konstellationen werden bisweilen aus der Sicht einer Konfliktpsychologie betrachtet. Es handelt sich jedoch nicht um motivationale Konflikte, sondern um kritische Entwicklungspositionen, die ihre Spuren hinterlassen. Man kann die Störungen der Entwicklung auf präverbale Konfliktäquivalente37 zurückführen. Dabei schlägt sich das Misslingen der frühen Bewältigung in der Persönlichkeitsorganisation als Schwäche der Integration von Selbst- und Objektrepräsentanzen und als Dysfunktion von Ichfunktionen nieder. Es bestimmt darüber, welches Strukturniveau für das Erleben und Verhalten eines Menschen maßgeblich wird. Wenn Grundbedürfnisse nicht angemessen beantwortet werden, resultieren psychosoziale Beeinträchtigungen. Sie sind danach sekundäre Folgekonflikte struktureller Störungen und nicht Folge von primären aktualisierten Konflikten.

      Abwehr und Abwehrmechanismen

      Die Prozesse, die eingesetzt werden, um überwältigende Erfahrungen aus dem Feld bewusster und subliminaler Wahrnehmungen auszuklammern, bilden die Abwehr. Sie laufen im Wesentlichen automatisch ab, werden nicht bewusst erlebt und nicht willentlich eingesetzt und gesteuert. Abwehr dient der Bewältigung des konflikthaften, defizitären oder traumatisierenden Beziehungserlebens. Erinnerungen, Phantasien, Bedürfnisse und Impulse, Affekte und Konflikte werden auf diese Weise der Reflexion entzogen; man muss und kann unter dem Einfluss der Abwehr nicht länger darüber nachdenken.

      Abwehrmechanismen (image Übersicht) sind wichtige Ichfunktionen. Sie unterliegen im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung einem Entwicklungsprozess. Daher unterscheidet man zwischen einer »frühen« Spaltungsabwehr und einer später entstehenden »reifen« Verdrängungsabwehr.

      Abwehrmechanismen: Formen der Erlebnisverarbeitung

      Ubiquitäre Abwehr (alle Ebenen der strukturellen Entwicklung)

      • Internalisierung

      Internalisierung ist ein Grundmechanismus der Entwicklung, der für die Aneignung von Eigenschaften notwendig ist. Sie tritt je nach