Unterstützung bei der Bewältigung
Das Bewältigungsverhalten stellt im Allgemeinen den subjektiv bestmöglichen Umgang eines Kranken mit seiner Krankheit dar. Es ist eine kreative Leistung, die akzeptiert und respektiert werden sollte, auch wenn sie nicht unbedingt den persönlichen Vorstellungen des Behandlers entspricht. Unter bestimmten Voraussetzungen sind aber psychotherapeutische Interventionen erforderlich, um Bewältigungsversuche zu verbessern: Wenn das Bewältigungsverhalten selbstschädigend erscheint und z. B. notwendige diagnostische oder therapeutische Maßnahmen vermieden werden oder wenn es mit starken somatopsychischen Anpassungsstörungen verbunden ist.
Oft steht ein Arzt oder Psychologe, der psychisch belastete körperlich Kranke begleitet, vor der Frage, welche Patienten »Problempatienten« und welche »einfache« Patienten sind: Ein ruhiger, willfähriger Patient mag zwar »bequem« im Umgang sein, kann aber aufgrund seiner depressiven Verarbeitung zu einer resignativen Hinnahme seiner Krankheit gelangen, die ihm eine aktive Bewältigung erschwert. Dagegen kann ein Patient, der gegen seine Krankheit ankämpft, als sehr »schwierig« erscheinen, wenn er den Arzt oder Psychologen als einen Repräsentanten seiner Ängste und Verluste erlebt und einen Teil seiner Auseinandersetzung mit der Krankheit auch gegen diese richtet.
1.3 Die therapeutische Beziehung
Während die psychologische Betreuung von Klinikpatienten früher eine integrierte Aufgabe der Arztrolle war, ist sie in den letzten 30 Jahren mehr und mehr in die Hände klinischer Psychologen übergegangen. Das Konzept der therapeutischen Beziehung beschreibt, wie Patienten und ihr Arzt oder betreuender klinischer Psychologe miteinander in Beziehung stehen und welche Prozesse dabei eine Rolle spielen.
Die Beziehung zwischen einem Kranken und seinem Behandler wird von beiden Beteiligten gemeinsam gestaltet. Dabei kommen bewusste und unbewusste, individuelle und soziale Vorerfahrungen, Stile und Rollenvorgaben zum Tragen. Medizinsoziologisch betrachtet besteht die Beziehung aus einem Zusammenspiel zwischen der Krankenrolle und der Rolle des Arztes23 bzw. Psychologen. Diese Rollen sind zueinander komplementär.
Die therapeutische Beziehung wird von Persönlichkeitsfaktoren geprägt, die in der Begegnung zusammentreffen (Empathie, Klagsamkeit usw.). Dabei kommt auch der soziale Hintergrund der Einzelnen zum Tragen. Es macht einen Unterschied aus, ob ein Arzt oder Psychologe eine Bäuerin oder einen Industriemanager untersucht. Ebenso spielt der Kontext der Begegnung eine Rolle. Ein Untersuchungsgespräch auf der Intensivstation wird sich anders gestalten als in der Landarztpraxis oder einer psychoanalytischen Fachpraxis. Der Wandel sozialer Normen der letzten Jahrzehnte betrifft auch die therapeutische Beziehung. Früher war diese von einem starken hierarchischen Gefälle bestimmt, in dem der Arzt als »Halbgott in Weiß« eine unanfechtbar überlegene Position inne hatte; heute stehen der »aufgeklärte Patient« und sein Behandler viel stärker in einem partnerschaftlichen Verhältnis zueinander.
Deskriptiv lässt sich die therapeutische Beziehung auf zwei verschiedenen Ebenen beschreiben:
• Die Sachebene bezieht sich auf den Inhalt (das Was) von Informationen. Auf dieser Ebene beurteilt der Behandler als Experte den Kranken und die Krankheit aufgrund der Symptome und der körperlichen und seelischen Befunde. Daraus ergeben sich therapeutische Maßnahmen, die mit dem Patienten besprochen werden.
• Die Beziehungsebene bezieht sich auf den Modus (das Wie) des Informationsaustausches. Sie ist stark von Gefühlen und Empfindungen geprägt. Auf dieser Ebene sind nicht nur bewusste Eigenschaften, Einstellungen, Erlebnis- und Verhaltensweisen beteiligt, sondern auch unbewusste und irrationale Gefühle, Phantasien und Beziehungsmuster, die mit den realen Personen unmittelbar wenig zu tun haben, sondern unter dem Druck der Krankheitssituation auf die therapeutische Beziehung übertragen werden.
Die Patientenrolle
»Patienten-« bzw. »Krankenrolle» ist ein medizinsoziologischer Begriff. Er beschreibt die psychosozialen Vorgaben, die sich für Betroffene aus einem Krankheitsgeschehen ergeben. Danach ist ein Kranker vorübergehend von seinen normalen sozialen Verpflichtungen befreit. Er wird weitgehend von der Verantwortung für sein Kranksein entbunden und hat dafür die Verpflichtung, alles zu tun, um gesund zu werden, d. h. speziell, mit dem Behandler zu kooperieren.
Seine Bereitschaft, sich an die Anweisungen des Arztes oder Psychologen zu halten und mit ihm zu kooperieren, wird als Compliance bezeichnet. Sie ist ein Ausdruck des Umgangs mit der Krankheit, also des Krankheits- und Bewältigungsverhaltens. Sie ist aber auch ein Ausdruck der Beziehung zum Behandler. Non-Compliance ist meistens ein Zeichen für eine Störung der therapeutischen Beziehung.
Der Kranke genießt einen besonderen Genesungsschutz, z. B. durch die Krankschreibung und die Übernahme der Krankheitskosten durch das Sozialsystem. Die Vorteile, die mit dem Kranksein verbunden sind, z. B. Schonung, Versorgung und Trost, werden als Krankheitsgewinn bezeichnet. Er ist notwendig, um im Schutze der sozialen Entlastungen und Gratifikationen die Genesung zu fördern. Er kann aber auch dazu führen, dass der Kranke unbewusst an seiner Erkrankung festhält, um die Sicherheit, welche die Krankenrolle gewährt, nicht zu verlieren.
Die Anpassung an eine chronische Krankheit wird von der Medizinsoziologie als Patientenkarriere24 beschrieben. Damit ist das Krankheitsgeschehen als psychosozialer Prozess gemeint. Er führt zu einer Veränderung des Selbstbildes und des Lebens des Kranken, der in einen ständig enger werdenden Bezug zum medizinischen Versorgungssystem tritt. Mit einer medizinischen Diagnose wird dem Patienten eine bestimmte Rolle, also ein durch Normen geregeltes Verhalten vorgegeben, in das er im Verlaufe seiner Patientenkarriere hineinwächst. Das gilt für somatische, psychische und psychosomatische Krankheiten in gleicher Weise.
Die Behandlerrolle
Die ärztliche bzw. klinisch-psychologische Tätigkeit ist mit einem definierten Rollenverhalten verbunden. Vom Behandler wird z. B. erwartet, dass er sein Bestes für die Heilung oder Linderung der Störung tut, den Patienten ungeachtet seiner Person behandelt, eine affektive Neutralität wahrt und den Patienten nicht zur emotionalen Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gebraucht und seine eigenen Interessen hinter denen des Patienten zurückstellt.
Dieses professionelle Rollenverhalten beschreibt ein Idealbild des Arztes und gilt auch für den klinisch tätigen Psychologen. Innerhalb dieser normativen Beziehung gibt es immer auch eine persönliche Beziehung zwischen Behandler und Patient, in der bewusste und unbewusste individuelle Beziehungsmuster wirksam werden. Sie kann unter psychodynamischen Aspekten betrachtet werden: Die Art und Weise, wie der Patient und sein Behandler miteinander umgehen, zeigt, wie sie Beziehungen gestalten, erleben und welche früheren Erfahrungen sie bewusst und unbewusst in die Beziehung hineintragen. Deshalb wird die Beobachtung der therapeutischen Beziehung in der psychosomatischen Diagnostik auch als ein Zugangsweg genutzt, um die verinnerlichten Beziehungserfahrungen zu erkennen (
Regression der therapeutischen Beziehung: Übertragung, Gegenübertragung und Kollusion25
Die therapeutische Beziehung hat neben der sozialen eine innerseelische, psychodynamische Dimension. Sie beruht darauf, dass das Selbsterleben der Betroffenen in der Situation als Patienten bzw. Kranke mit äußeren und inneren Konflikten verbunden ist, mit Ängsten, Phantasien, Reaktivierungen traumatischer Erlebnisse und mit dem Zustand physischer und psychischer Schutzlosigkeit. Dadurch werden Abhängigkeitsbedürfnisse lebendig, die dem Abhängigkeitserleben der frühen Entwicklungsjahre der Kindheit ähneln. Diese »Rückkehr« in entwicklungsmäßig überholte Erlebnis- und Verhaltensweisen wird als Regression bezeichnet.
Im Zustand der Regression erlebt der Kranke sich wie ein Kind. Entsprechend schreibt er den Ärzten,