Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman. Nina Kayser-Darius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Kayser-Darius
Издательство: Bookwire
Серия: Kurfürstenklinik Paket
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740970673
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ihr Sohn verschwunden war. Wahrscheinlich war sie längst verzweifelt auf die nächste Polizeistation gelaufen.

      *

      Als das Telefon klingelte, saß Gabriele direkt daneben. Sie erschrak, dachte aber nicht daran, den Hörer abzunehmen. Es konnte nur Rainer sein, und er war wirklich der letzte Mensch, mit dem sie jetzt sprechen wollte. Sie hatte den Anrufbeantworter eingeschaltet und wartete darauf, was er zu sagen hatte.

      Doch es war nicht Rainers Stimme, die gleich darauf erklang. Es war ein Mann, den sie nicht sofort erkannte, bis er seinen Namen nannte. »Frau Plessenstein, sind Sie zu Hause? Oder schlafen Sie? Wenn Sie zu Hause sind, dann heben Sie doch bitte ab, es ist dringend. Hier ist Adrian Winter von der Notaufnahme – wir haben uns kürzlich kennengelernt. Ihr Sohn ist mit einem Beinbruch bei uns eingeliefert worden, und er hat schon nach Ihnen gefragt. Ich weiß, daß Sie…«

      Gabriele riß den Hörer von der Gabel und schaltete zugleich den Automaten aus. »Herr Winter?« rief sie. »Was sagen Sie da? Florian hat sich ein Bein gebrochen? Wie ist das passiert? Ist es schlimm?«

      »Nun ja«, antwortete Adrian zögernd, »es ist ein offener Bruch, und er hat außerdem eine Gehirnerschütterung und ist völlig unterkühlt, weil er ins Wasser gefallen ist…«

      »Aber wo denn? Und wieso mitten in der Nacht?« rief sie.

      »Haben Sie ihn denn noch nicht vermißt?«

      »Er wollte bei seinem Freund Max übernachten«, antwortete sie.

      »Der ist auch hier. Er hat einen Rettungswagen gerufen, und jetzt steht er unter Schock. Es scheint eine längere Geschichte zu sein.«

      »Ich komme!« rief sie. »Wird er schon operiert?«

      »Noch nicht, wir wärmen ihn erstmal auf. Aber der OP ist bereits verständigt.«

      »Warten Sie noch!« bat sie. »Ich will vorher mit ihm sprechen, das wird ihn beruhigen. Bis gleich, in einer Viertelstunde bin ich da.« Sie legte auf und hatte kaum fünf Minuten später die Wohnung verlassen.

      *

      Dr. Konrad Eder kam in die Notaufnahme, als Adrian seine Gespräche mit Gabriele Plessenstein und Frau Sennelaub, Max’ Mutter, gerade beendet hatte.

      »Schwester Monika sagte, daß ihr zwei Jungen hier habt, Adrian?« fragte er.

      »Gut, daß du kommst«, erwiderte dieser ernst. »Einer davon ist der Sohn von Frau Plessenstein.«

      »Was sagst du da? Was ist passiert?« fragte Konrad.

      Adrian erzählte ihm, was er wußte, und fügte dann hinzu: »Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Die beiden sind jedenfalls weggelaufen, soviel steht fest. Frau Plessenstein ist auf dem Weg hierher, sie will noch kurz mit dem Jungen reden, bevor er operiert wird. Und ich hätte gern, daß du mit seinem Freund sprichst, er heißt Max und ist ziemlich durcheinander.«

      Konrad Eder nickte. »Natürlich«, sagte er ruhig. »Wo ist er denn?«

      Adrian zeigte ihm den Weg, und gleich darauf setzte sich der junge Kinderarzt neben die Liege, auf der Max lag. Der Junge war noch immer sehr blaß und zitterte. Schwester Monika hatte ihn ebenfalls in eine angewärmte Decke gehüllt, aber sie schien nicht viel zu nützen, denn das Zittern wollte nicht aufhören. Trotzdem hatte er kalten Schweiß auf der Stirn.

      »Max?« sagte Konrad sanft und lächelte den Jungen an. »Ich bin Konrad Eder und arbeite hier als Kinderarzt.«

      Er wartete, ob Max reagierte, doch das tat er nicht. Immerhin schien er zuzuhören.

      »Deine Eltern sind auf dem Weg hierher«, fuhr Konrad fort. »Ich habe gehört, daß du dafür gesorgt hast, daß ein Rettungswagen für deinen Freund kommt – das hast du ganz großartig gemacht.«

      Max zitterte noch ein bißchen stärker. »Ich dachte, er wäre vielleicht tot. Flo, meine ich. Er war so still und lag so komisch da – ich hatte solche Angst.«

      Er würgte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, denn er wollte nicht anfangen zu weinen, doch der Arzt sagte: »Heul ruhig ein bißchen, das hilft. Wußtest du das nicht? Wenn man geweint hat, fühlt man sich oft viel besser.«

      Er strich dem Jungen sanft über die Wange und lächelte so lieb, daß Max sich nicht länger anstrengte, die Tränen zurückzuhalten. Er schluchzte leise, dann erzählte er dem Arzt stoßweise die ganze Geschichte. Sie klang noch immer ziemlich wirr und durcheinander, aber Konrad Eder hatte schon viele Gespräche mit Kindern geführt, und er konnte sich das, was Max nicht erzählte, recht gut zusammenreimen.

      »Flo kann froh sein, daß er einen so guten Freund wie dich hat«, sagte er, als der Junge schwieg. »Und du mußt um ihn keine Angst mehr haben. Er hat eine Gehirnerschütterung, deshalb war er auch bewußtlos. Und er hat sich ein Bein gebrochen. Außerdem bekommt er sicher eine böse Erkältung. Aber er wird wieder gesund werden, und das ist ja die Hauptsache, nicht?«

      »Meine Eltern denken, ich schlafe heute nacht bei Flo«, schniefte Max. »Und Flos Mutter denkt, er schläft bei mir. Das haben wir uns ausgedacht, damit sie uns nicht so schnell suchen.«

      »Ganz schön schlau«, meinte Konrad. »Aber habt ihr nicht daran gedacht, welche Sorgen sie sich machen würden, wenn sie euer Verschwinden bemerken?«

      »Wir haben doch deshalb die Briefe geschrieben«, erklärte Max. Er wirkte jetzt schon wieder etwas lebhafter, nicht mehr so apathisch wie zuvor. Und das Zittern ließ ebenfalls nach.

      »Was für Briefe?« wollte Konrad wissen.

      »An meine Eltern und an Flos Mama«, antwortete Max. »Damit sie wissen, daß wir nichts gegen sie haben. Flo wollte ja nur nicht, daß dieser Rainer sein neuer Papa wird. Aber er wollte seiner Mutter keine Angst machen.«

      »Ach, so ist das«, meinte Konrad. »Aber die Briefe haben sie wohl noch nicht bekommen, oder?«

      »Haben wir doch vorhin erst losgeschickt.«

      »Ich bin sicher, das kommt alles in Ordnung«, sagte Konrad beruhigend. »Geht’s dir ein bißchen besser?«

      Max nickte. »Das Heulen hat wirklich geholfen«, erklärte er. »Vielleicht mach’ ich das in Zukunft öfter.«

      »Es hilft nur, wenn man wirklich Kummer hat«, erklärte Konrad. »Nicht etwa, wenn man seinen Willen durchsetzen will und aus Trotz heult, wie kleine Kinder das manchmal machen.«

      »Das mach’ ich sowieso nicht«, erwiderte Max verächtlich.

      »Ich geh’ mal nach deinem Freund gucken«, sagte Konrad.

      »Aber du kommst wieder!« Das klang fast wie ein Befehl, und Konrad nickte lächelnd.

      *

      Gabriele Plessenstein rannte vom Parkplatz aus direkt in die Notaufnahme, wo sie völlig außer Atem ankam. Adrian sah sie kommen und wartete auf sie.

      »Wo ist er?« keuchte sie völlig außer Atem.

      »Kommen Sie«, sagte er ruhig. »Gut, daß Sie da sind, er hat schon mehrmals nach Ihnen gefragt, wir wollen ihn jetzt gern in den OP bringen.«

      Gemeinsam betraten sie die Notfallkabine, in der Florian lag. Neben ihm stand Konrad Eder und sprach leise mit dem Jungen. Er lächelte Gabriele aufmunternd zu, zog sich aber sofort zurück, um sie mit ihrem Sohn allein zu lassen.

      »Flo!« Mit Tränen in den Augen beugte sie sich über ihn und streichelte seine Wangen. »Warum hast du nicht mit mir gesprochen? Warum bist du einfach weggelaufen?«

      Er war sehr blaß. Das Schmerzmittel und die warmen Decken hatten ihn außerdem müde gemacht. »Er soll nicht mein neuer Papa werden«, murmelte er. »Ich mag ihn nicht, Mama. Er ist gemein.«

      »Er wird nicht dein neuer Papa«, flüsterte sie. »Ich habe ihn heute abend weggeschickt. Er hat sich über dich lustig gemacht, nicht wahr?«

      »Er hat gesagt, ich werde nie ein richtiger Mann und hänge immer noch an deinem