Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman. Nina Kayser-Darius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Kayser-Darius
Издательство: Bookwire
Серия: Kurfürstenklinik Paket
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740970673
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dieser ja von Anfang an behauptet.

      *

      Thomas Laufenberg stand von seinem Schreibtisch auf und streckte sich. Auch dies war wieder ein langer Arbeitstag gewesen – er schlief in den letzten Wochen selten einmal länger als fünf oder sechs Stunden. Aber noch fühlte er sich ganz wohl dabei. Doch auf Dauer konnte er natürlich nicht die halben Nächte in der Klinik verbringen, es gab schließlich auch noch ein Leben außerhalb dieser Mauern.

      Er verließ sein Büro und fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoß. Er wollte den Eingangsbereich schon verlassen, als er, einer plötzlichen Eingebung folgend, den Weg zur Notaufnahme einschlug. Vielleicht hatte der störrische Dr. Winter ja Nachtdienst. Irgendwann würde er ihm sowieso sagen müssen, daß in den nächsten Monaten mit neuem Personal für die Notaufnahme nicht zu rechnen sei. Er hatte alles versucht, aber bisher keine Lösung gefunden.

      Er hatte Glück und traf Adrian Winter tatsächlich an. Dieser verließ gerade eine der Kabinen und war sichtlich erstaunt, noch zu dieser späten Stunde den Verwaltungsdirektor zu sehen.

      »Ist das ein Höflichkeitsbesuch?« erkundigte er sich mit kaum verhohlenem Spott in der Stimme.

      »Guten Abend, Herr Dr. Winter«, sagte Thomas Laufenberg unbeirrt. »Nein, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie und dachte, ich überbringe sie Ihnen persönlich.«

      »Eine schlechte Nachricht?« Adrian runzelte die Stirn und überlegte, ob der andere sich vielleicht über ihn lustig machte. »Mitten in der Nacht kommen Sie in die Notaufnahme, um mir eine schlechte Nachricht zu überbringen? Soll das ein Witz sein?«

      »Leider nicht«, antwortete der Verwaltungsdirektor. »Ich habe unseren Stellenplan und unsere Finanzen ausführlichen Prüfungen unterzogen. In den nächsten sechs Monaten kann ich Ihnen bei Ihrem Personalproblem leider nicht helfen. Danach läßt sich vielleicht etwas machen.«

      Adrian starrte ihn an. »Moment mal«, sagte er langsam. »Sie kommen tatsächlich mitten in der Nacht hierher, um mir zu sagen, daß Sie mir leider nicht helfen können?«

      »Ich dachte«, erwiderte der andere sachlich, »daß es vielleicht besser ist, es Ihnen persönlich zu sagen, als es Sie durch eine schriftliche Mitteilung wissen zu lassen. So können Sie Ihren Ärger wenigstens wieder direkt an mir auslassen.«

      Ein ganz kleines Lächeln lag in seinen Augen, aber es war zu klein, als daß Adrian es hätte entdecken können. Außerdem kannte er Thomas Laufenberg nicht gut genug, um auf solche Feinheiten zu achten.

      »Das werde ich auch tun!« sagte er aufgebracht. »Wenn Sie glauben, ich nehme das hin wie ein Opferlamm, nur weil Sie sich die Mühe machen, mich mitten in der Nacht an meinem Arbeitsplatz aufzusuchen, um mir mitzuteilen, daß sich an unserer schlechten Situation nichts ändert – dann haben Sie sich gewaltig geirrt! Das ist doch bloß wieder ein Trick, um mich dazu zu bringen, daß ich endlich Ruhe gebe und aufhöre, mehr Personal zu verlangen. ›Wir tun, was wir können, Herr Winter, aber leider, leider…‹ Wenn Sie wüßten, wie oft ich das schon gehört habe! Es kommt mir allmählich zu den Ohren heraus!«

      Er hatte unwillkürlich die Stimme erhoben, so daß Julia Martensen aus einer der Kabinen kam und erstaunt fragte: »Alles in Ordnung?« Dann erst erkannte sie, mit wem ihr Kollege in einen solch heftigen Wortwechsel verwickelt war, und grenzenlose Verblüffung zeigte sich auf ihrem Gesicht.

      »Nichts ist in Ordnung, Julia«, antwortete Adrian. »Herr Laufenberg ist hierher gekommen, um uns zu sagen, daß wir auch in den nächsten Monaten mit zu wenig Personal auskommen müssen. Das sagt er mir persönlich mitten in der Nacht. Vielen Dank, Herr Laufenberg. Ich bin beeindruckt, daß Sie offenbar auch Überstunden machen!«

      Der Verwaltungsdirektor lächelte, machte eine kleine Verbeugung und sagte höflich: »Es tut mir leid, daß Sie meinen Besuch offenbar ganz falsch aufgefaßt haben. Es war, offen gestanden, eine spontane Eingebung, noch in der Notaufnahme vorbeizugehen und zu sehen, ob ich Sie vielleicht zufällig erwische. Ich hatte mir die Zahlen gerade angesehen und dachte, je eher ich Sie informiere, desto besser. Das nächste Mal schreibe ich Ihnen, Herr Dr. Winter. Gute Nacht Ihnen allen.«

      Er drehte sich um und ging. Nein, Adrian Winter war ganz und gar nicht sein Freund, daran gab es keinen Zweifel. Er würde es sich in Zukunft gut überlegen, ob er noch einmal den persönlichen Kontakt mit ihm suchte.

      »Verdammt!« murmelte Adrian Winter, als Thomas Laufenberg nicht mehr zu sehen war. »Der Mann macht mich wirklich wahnsinnig!«

      Julia Martensen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloß ihn jedoch wieder. Adrian sah nicht so aus, als könne er in dieser Nacht auch noch Kritik vertragen.

      *

      Gabriele saß allein in dem Ärztezimmer auf der Kinderstation, während Konrad die Runde bei seinen kleinen Patienten machte. Sie hörte ihn leise mit dem Kollegen reden, der ihn vertreten hatte, solange er in der Notaufnahme gewesen war. Langsam trank sie den Kaffee, den er ihr fürsorglich eingeschenkt hatte, und versuchte, ihre noch immer reichlich wirren Gedanken zu ordnen.

      Rainer hatte also sehr wohl gewußt, was mit Florian los war – er war nur zu feige gewesen, es ihr zu sagen. Sie würde ihren Sohn noch einmal ausführlich zu diesem Thema befragen, und sie konnte nur hoffen, daß Rainer keinen allzu großen Schaden mit seinen dummen und unsensiblen Bemerkungen angerichtet hatte.

      Die Tür öffnete sich, und Konrad Eder kam zurück. »Alles in Ordnung«, sagte er lächelnd. »In dieser Nacht scheint es zumindest bei uns auf der Station ruhig zu bleiben.« Er sah sie prüfend an. »Sie sind noch immer ziemlich durcheinander, nicht wahr?«

      »Ja«, gab sie zu. »Das bin ich. Und ich schimpfe gerade heftig mit mir. Ich habe nämlich in den letzten Tagen durchaus gemerkt, daß etwas nicht in Ordnung ist, aber Florian ist mir ausgewichen, als ich ihn danach gefragt habe. Ich hätte hartnäckiger sein müssen.«

      »Ich weiß nicht, ob das viel genützt hätte«, meinte er nachdenklich. »Er mußte doch glauben, daß Sie die Sache herunterspielen würden, wenn er Ihnen davon erzählt hätte – denn dieser Mann war ja Ihr Freund. Es wäre Ihnen bestimmt schwergefallen zu glauben, daß er Florian mit Absicht verletzte, indem er ihn demütigte und verspottete. Sie haben ihm vertraut.«

      »Schlimm genug!« Ihre Stimme war sehr leise, aber er verstand trotzdem, was sie sagte. »Wissen Sie, Herr Eder, mein Instinkt hat mir schon die ganze Zeit gesagt, daß das nichts werden kann. Rainer – also, mein Ex-Freund – konnte mit meinem Sohn nichts anfangen. Er wollte am liebsten, daß ich Florian in ein Internat geschickt hätte. Ich hätte mich schon von ihm trennen sollen, als er zum ersten Mal diesen Vorschlag machte. Ich bin nun mal eine Frau mit einem Kind. Und das werde ich auch bleiben.«

      »Ich finde es wunderbar, daß Sie das sind«, sagte er ebenso leise wie sie. Seine Stimme war warm, und seine sanften braunen Augen lächelten sie an.

      »Danke schön«, erwiderte sie verlegen. »Es tut mir gut, daß Sie das jetzt sagen. Es war eine schreckliche Nacht – auch schon, bevor der Anruf von Herrn Winter kam.«

      Er fragte nicht, was sie damit meinte, er konnte es sich denken. Dann sah er, daß ihre Augen feucht wurden, und er lachte leise. »Ich habe schon Florians Freund Max vorhin den guten Rat gegeben, ruhig ein bißchen zu weinen, weil das erleichtert. Ihnen kann ich jetzt nur das gleiche empfehlen, Frau Plessenstein. Weinen Sie, es wird Ihnen gut tun. Und außer mir wird es niemand bemerken.«

      Sie lachte auch, aber ihr Lachen ging schon bald in ein Schluchzen über. Er stand auf, setzte sich neben sie und nahm sie ganz selbstverständlich in den Arm. »Weinen Sie ruhig«, sagte er und wiederholte diese drei Worte noch öfter. Sie klangen wie der Refrain eines tröstlichen Liedes.

      Und so weinte Gabriele. Sie weinte leise, und es schien, als könne sie gar nicht mehr damit aufhören. Aber endlich, nach ziemlich langer Zeit, beruhigte sie sich doch. Sie trocknete sich das Gesicht mit einem Taschentuch, und dann sagte sie, mit einer Stimme, die noch nicht wieder ganz fest war: »Ihr Rat an Max war ausgezeichnet. Ich glaube, es hat wirklich geholfen.«

      Er strich ihr vorsichtig eine Strähne