Von St. Stephan nach St. Marx. Gerhard Tötschinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Tötschinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783902998934
Скачать книгу
die Hälfte. 23,3 t Silber hatten sie in langen Verhandlungen den Engländern und den französischen Verwandten Richards abpressen können, eine riesengroße Summe, deren heutiger Wert sich schwer schätzen lässt. Sie soll den Einkünften von zwei Jahren des englischen Staatshaushalts entsprochen haben und stürzte das Land in eine schwere Krise. Mit dem Reichstag in Mainz im Februar 1194 endete Richards Gefangenschaft.

      Der Kaiser brauchte das Geld für einen Feldzug gegen das aufständische Sizilien. Herzog Leopold V. aber verwendete seinen Teil in einer Weise, die heute mit dem Modewort Nachhaltigkeit bezeichnet würde. Er ließ den alten Stadtgraben zuschütten, der von der Freyung bis St. Stephan verlief. Und er gab Wien eine moderne Stadtmauer, deren Dimensionen sich bis ins 19. Jahrhundert nicht änderten.

      Das war noch lange nicht alles – Leopold gründete südlich von Wien eine neue Stadt, die auch so genannt wurde: Wiener Neustadt. Das kleine Friedberg bekam eine Stadtmauer, und Hainburgs Befestigungen wurden ausgebaut.

      In dieser spannenden Zeit florierender Wirtschaft, in den Jahren zwischen 1189 und 1194, wurde in Wien eine Münzprägestätte gegründet, ältere bestanden in Enns, Krems und Fischau. Damals gab es schon eine kleine jüdische Gemeinde, der erste in Urkunden genannte Name eines Juden war Schlomo, das meint Salomon. Er hatte das Amt des Münzmeisters inne, also die Leitung der gerade gegründeten Wiener Prägestätte. Das Lösegeld für Richard Löwenherz wurde von ihm verwaltet. 1194 erscheint sein Name, wir wissen aber nur wenig von ihm. Er diente unter Leopold V. und danach unter Friedrich I. In der Seitenstettengasse, neben der Ruprechtskirche, besaß er vier Grundstücke, in der Gegend des Judenplatzes. Das war die Basis des ersten Wiener Ghettos, mit der ersten Synagoge 1204. Eine Gruppe von Kreuzfahrern, die auf ihrem Heinweg durch Wien kamen, hat Schlomo und seine Familie 1197 ermordet – dazu noch weitere Personen, insgesamt waren es 16. Das war zwar das erste, aber lange nicht das letzte Unglück, das die Wiener Judengemeinde getroffen hat.

      Allerdings waren die Babenberger ungewöhnlich judenfreundlich. Ihre »Judenordnung« war die toleranteste Minderheitenregelung im deutschsprachigen Raum. Auf die Schändung jüdischer Friedhöfe und die Ermordung jüdischer Mitbürger stand die Todesstrafe. In den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts wurde Wien zu einem geistigen Zentrum des Judentums. Der jüdische Friedhof lag in der Nähe des Kärntnertors. Auch in den wenigen Jahren der Herrschaft Ottokar Přemysls florierte die jüdische Gemeinde und wuchs zur größten im deutschen Sprachraum.

      Das änderte sich freilich ab dem Jahr 1267. Das vierte Laterankonzil hatte im Jahr 1215 in seinem Canon Nr. 68 den christlichen Gemeinden vorgeschrieben, an Juden keine öffentlichen Ämter zu vergeben. Schon damals wurde bestimmt, dass Juden und Moslems sich einer Kleiderordnung zu unterwerfen hätten. Diese Regelungen wurden nun verschärft. Juden durften keine Bäder und keine Gasthäuser betreten, sie durften keine christlichen Dienstboten beschäftigen, nicht am Handel teilnehmen, kein Gewerbe ausüben und keine Landwirtschaft betreiben – so blieb ihnen nur das Geldgeschäft und der Altwarenhandel. Vor allem aber mussten sie einen gelben spitzen Judenhut tragen – und dem Pfarrer eine Steuer bezahlen, die Stolgebühr.

      Am 31. Dezember 1194 starb Herzog Leopold mit erst 37 Jahren in Graz, nach einem ungemein reichen Leben. Er hatte bei einem Turnier einen offenen Beinbruch erlitten, an dessen Folgen er verstarb. Ihm folgte sein Sohn Friedrich I., der nur kurz der Regent von Ostarrichi war – von 1194 bis 1198. Zu den von seinem Vater übernommenen Problemen zählte das Vorhaben, zu einem neuen Kreuzzug auszurücken. Leopold V. hatte das, vom Bannstrahl des Papstes getroffen, versprochen. Der Sohn begann also, das Versprechen einzulösen – aber es gelang ihm nur zum Teil. Er reiste ab – und starb auf der Reise.

      Ihm folgte Leopold VI., sein jüngerer Bruder. Er erwies sich als echter Glücksfall für sein Land und besonders für dessen Hauptstadt. Seine Regierungszeit währte von 1198 bis 1230, sein Beiname wurde »der Glorreiche«. Wien wurde erweitert, seine Grundfläche verdoppelt. Im Jahr 1221 bekam Wien zusammen mit dem Stadtrecht das Stapelrecht. Das war eine wichtige Maßnahme auf dem Weg zum Wohlstand. Während wir heute unter dem Transitverkehr stöhnen, der Österreichs Autobahnen belastet, war damals der Transit vor allem von Bayern und da wieder aus Regensburg nach Ungarn und weiter ostwärts ein Segen. Wer über die Wiener Route exportieren wollte, musste seine Ware zwei Monate lang den hiesigen Kaufleuten anbieten. So wurden Felle, edle Tuche, Edelmetall hier gelagert, Wiens Wirtschaft erlebte dank dem florierenden Zwischenhandel einen lang anhaltenden Aufstieg. Andere Städte des Reichs erlangten dieses Stapelrecht erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts, wie die norddeutschen Hansestädte. Das Stadtrecht Wiens hatte unter anderem zur Folge, dass ein Rat von 24 Bürgern – allesamt erfolgreiche Handelsleute – in Wirtschaftsfragen ein Mitspracherecht erhielt.

      Leopold VI. förderte auch die Kunst seiner Zeit – Walther von der Vogelweide und Reinmar von Hagenau waren ständige Artists in Residence, Ulrich von Liechtenstein und Neidhart von Reuental gaben am Herzogshof Gastspiele. Letzterer freilich wurde erst unter Leopolds Sohn Friedrich zum Wahlwiener.

      Leopold war wie schon sein Großvater Heinrich Jasomirgott mit einer byzantinischen Prinzessin verheiratet, Theodora, einer Enkelin des Kaisers Isaak II. Angelos. Mit diesen beiden, seiner Großmutter und seiner Ehefrau, kam eine Atmosphäre von Internationalität am Herzogshof auf. Die Damen brachten aus ihrer fernen Heimat einen kleinen Hofstaat mit, Zofen, Kindermädchen, vielleicht auch Rezepte. Das sei die Wurzel des Wiegenliedes Heidschi, Bumbeidschi gewesen, hört man in Wien. Aber die wirklichen Byzantinisten sind nicht dieser Meinung, das sei eine Erfindung.

      Leopold dachte jedenfalls nicht in lokalen oder regionalen Bahnen, sein Horizont war weiter. Seine Grundhaltung war auf Harmonie und Ausgleich gerichtet. In der langjährigen Auseinandersetzung zwischen Papst Innozenz und Kaiser Friedrich II., die bis zur Exkommunikation Friedrichs geführt hatte, wusste er zu vermitteln. 1230 zog er nach Italien, in San Germano wurde verhandelt.

image

      Stift Klosterneuburg. Babenbergerstammbaum: Papst Gregor IX., Herzog Leopold VI., Kaiser Friedrich II.

      Wer auf seinen Spuren diesen Ort sucht, wird ihn nicht finden. Der Name kommt in Italien mehrfach vor, unser San Germano wurde 1863 auf seinen früheren Namen Cassino umbenannt. Das Städtchen liegt 130 km südlich von Rom, an der Autobahn A1, der Strada del sole. Dort traf der Babenberger Leopold VI. Papst Gregor IX. und den Staufer Friedrich II.

      Ende August waren die zähen Verhandlungen beendet, es kam zur Versöhnung. Das war der letzte Staatsakt des Herzogs – in San Germano ist er gestorben. Damit war nach einem Vierteljahrtausend die Epoche der Babenberger beinahe zu Ende, mit einer Glanzzeit des Landes und seiner Hauptstadt. Dem Glorreichen folgte »der Streitbare«, Friedrich II.

      Manche dieser von der Nachwelt ersonnenen Beinamen sind schwer nachvollziehbar – andere hingegen treffen tatsächlich einen wesentlichen Charakterzug. Herzog Friedrich II. war außerordentlich streitbar, sein kurzes Leben lang. Er kam am 12. Juni 1211 in der Burg von Wiener Neustadt zur Welt, seine Brüder starben früh und er erbte – zwar das Land seines Vaters, aber nicht dessen Weitblick und diplomatisches Geschick. Schon als Jüngling übte er sich in Opposition gegen seinen Vater, weit über das gewöhnliche Maß von Generationenkämpfen hinaus.

      Mit 19 Jahren kam er an die Macht, und sogleich gab es innenpolitische Probleme. Das mächtige Geschlecht der Kuenringer hatte treu zu Friedrichs Vorgängern gehalten – nun stellten sie sich gegen den neuen Landesherrn an die Spitze einer großen Gruppe Adeliger. Sie blieben nicht alleine, der junge Herzog hatte bald nur mehr Gegner, in allen Ständen.

      Er suchte förmlich nach Feinden. Sein Vater Leopold VI. hatte zu den benachbarten Ungarn gute Beziehungen gehabt, er war mit König Andreas II. 1217 zum Fünften Kreuzzug aufgebrochen. Friedrich brach diesen Frieden unmittelbar nach Andreas’ Tod 1235 und fiel in Ungarn ein, mit dem Ziel, die Stephanskrone zu erobern. Das ist wörtlich zu nehmen, nicht nur symbolisch. Denn der Besitz der Krone bedeutete den Ungarn tatsächlich die Königswürde.

      Béla IV., der Kronprinz und nunmehr neue ungarische König, hatte sowohl das Recht als auch, wie der Aggressor schnell erkennen musste, die Macht auf seiner Seite. Sein Heer besiegte den Babenberger, schlug ihn in die Flucht und verfolgte ihn fast bis Wien.