Von St. Stephan nach St. Marx. Gerhard Tötschinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Tötschinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783902998934
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wusste politische Probleme diplomatisch zu lösen, so auch im Umgang mit dem Babenberger Heinrich.

      1165 erschien er selbst in Wien, wohnte zwei lange Wochen Am Hof bei seinen Verwandten – da ließ sich die kleine Residenz offenbar schon herzeigen. 24 Jahre später kam er wieder, und nicht alleine. Heinrich Jasomirgott war schon gestorben, nun war sein Sohn Leopold V. der Gastgeber, dem die Geschichte den Beinamen »der Tugendreiche« verliehen hat.

      Herzog Heinrich war Ende November 1176 beim Überqueren einer morschen Holzbrücke in Melk samt seinem Pferd eingebrochen, er verletzte sich dabei schwer und konnte nicht mehr geheilt werden. Er wurde 1177 in seiner Gründung beigesetzt, in der Kirche des Schottenstifts. Als die unruhigen Zeiten und etliche Umbauten sein Hochgrab massiv beschädigt hatten, fand man eine neue Grabstätte. In der Krypta hat der erste Herzog von Österreich seine ewige Ruhe gefunden. Dort liegt er Seite an Seite mit seiner Frau, der byzantinischen Prinzessin Theodora Komnena, und der Tochter Agnes.

      Der zweite Wiener Aufenthalt Friedrich Barbarossas war eine Folge seines Aufrufs zu einem neuen Kreuzzug, er zog noch einmal in das Heilige Land. In Regensburg hatte er sein Heer gesammelt, 15 000 Mann, nun marschierte das größte Kreuzzugsheer, das es jemals gegeben hatte, nach Wien; der Kaiser reiste auf der Donau. In Wien wusste man ihn dann glanzvoll zu unterhalten.

      Leopold V. hatte den weiten Platz vor seiner Wohnburg zum Turnierplatz gemacht, in seinem Palast blühte höfisches Leben. Da traten Minnesänger auf, wie der herzogliche Hofdichter Reinmar von Hagenau oder Walther von der Vogelweide, Künstler, die an den ersten Höfen des Reichs bestehen konnten. Nun sangen und dichteten sie für den Kaiser – der gerne länger blieb, was nicht zuletzt zum Wohl der Wiener Wirtschaft massiv beitrug. Die Wirte verdienten, Waren wurden getauscht, die Hufschmiede waren im Stress.

      15 000 abenteuerlustige Männer auf Reisen – das muss man sich erst einmal vorstellen. Das bedeutet zuerst einmal, dass auf jeden Wiener, jung und alt, ein waffenstarrender Tourist gekommen ist. Väter und nervöse Ehemänner müssen eine schlimme Zeit gehabt haben. Dabei hatten sie noch Glück – die Franzosen und Engländer hatten sich für den Weg zu Wasser entschieden, mit Friedrich Barbarossa reisten also Norddeutsche, Bayern, Franken …

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       Walter von der Vogelweide, Figurine von Helmut Krauhs, 1960

      Am 11. Mai 1189 war der Kaiser in Regensburg aufgebrochen. Am 22. Mai wurde die ungarische Grenze erreicht. Solch eine große und schwer bewegliche Menschenmasse brauchte natürlich viel länger für weite Distanzen als eine heutige Vergnügungsreisegesellschaft. Immerhin, auch wenn das Gros nur einige Tage in Wien blieb, der Herrscher mit seiner Entourage blieb länger. Aber am 4. Juni war auch er in Gran, wo ihn das ungarische Königspaar erwartete.

      An diesem Dritten Kreuzzug nahm auch Herzog Leopold V. teil, mit einer kleinen Begleiterschar, er brach im August 1190 auf. Für ihn und für das Reich sollte dieser Kreuzzug zum Schicksal werden, ebenso wie für Friedrich Barbarossa. Der Kaiser war auf dem Weg nach Jerusalem im Juni 1190 im Fluss Saleph ertrunken, er hatte sich, obgleich nicht mehr jung, in der Mittagshitze zu viel zugetraut.

      Der Babenberger führte zunächst bei der Belagerung der Festung Akkon ab Jänner 1191 das Kommando über das deutsche Ritterheer. Im Frühjahr stellten sich ihm französische und englische Ritter zur Seite, und am 12. Juli 1191 war Akkon erobert.

      Aber nun gab es einen Streit um den Vorrang. Herzog Leopold habe bei der Eroberung nur eine Nebenrolle gespielt, erklärte der König von England, Richard Löwenherz. Er soll das Banner des Babenbergers, von diesem vielleicht etwas vorschnell als Siegeszeichen aufgepflanzt, von der Mauer gerissen und in den Graben geworfen haben. Damit hebt eine Reihe von historischen Berichten an, die man unter »Dichtung und Wahrheit« subsumieren kann. Das führt uns auf Gebiete außerhalb Wiens, aber bald kehren wir zurück.

      Die erste Unwahrheit ist die, jahrhundertelang auch in Schulen verbreitete, Behauptung, Österreichs Farben Rot-Weiß-Rot hätten ihren Ursprung in Akkon. Herzog Leopold habe löwengleich den ganzen Tag lang gekämpft und sich am Abend von seiner Berufskleidung befreit. Über der Rüstung trug er das weiße Kleid des Kreuzritters, nun nahm er seinen Gürtel ab – und darunter war der Stoff noch weiß, aber der große Rest war vom Blut der Feinde rot. Aha, wird Leopold V. gesagt haben, gar nicht schlecht, da haben wir also eine schöne Fahne.

      Doch die babenbergischen Farben waren Rot-Silber-Rot, und im silbernen Kleid wird selbst der Herzog nicht gekämpft haben. Und wenn es wirklich so gewesen wäre, hätten auch andere größere und kleinere Länder den österreichischen Bindenschild als Symbol, denn die übrigen Ritter haben sicher nicht untätig zugesehen, wie ihnen der Herzog von Österreich die Eroberungsarbeit abnimmt. Babenbergs Farben waren außerdem schon zuvor in Gebrauch.

      Auch die angebliche Folge des Fahnenstreits, die Fehde zwischen König Richard und Herzog Leopold, ist eine Legende.

      Leopold V. verließ Akkon und das Heilige Land und zog nach Hause. Im Spätherbst 1191 war er wieder in Wien. Auch die Engländer hatten ihren Kreuzzug beendet, ohne ihr Ziel, Jerusalems Eroberung, zu erreichen. Der König reiste zu Schiff in Richtung Frankreich, um heimzukehren.

      Nun hatte er sich aber kurz vorher mit dem früheren Verbündeten Philipp II., Frankreichs König, verfeindet. Der ließ seine Häfen für englische Schiffe sperren, ein anderer Weg musste gefunden werden. Also fuhren die Engländer über die Adria – da entstanden weitere Legenden, von Schiffbruch bis zum Überfall durch Piraten. Wie auch immer, Richard reiste weiter nach Kärnten, in Friesach erkannte man ihn – und hätte ihn beinahe festgenommen.

      Doch er reiste unbehelligt weiter, wollte über Wien nach Bayern, zu seinem Schwager Heinrich dem Löwen. Offenbar wusste er noch nicht, dass er auf der Fahndungsliste stand. Kaiser Heinrich VI. hatte Richards Festnahme mit Philipp, dem König von Frankreich, verabredet. Die Gründe dieser Abmachung führen zu weit weg vom Thema, also weiter: Richard ahnte wohl auch nicht, wie weit Leopolds Abneigung gegen ihn und Treue zum Kaiser führen könnten. Sonst hätte er kaum die Reiseroute über die Residenzstadt Wien gewählt. Jedenfalls – und das ist historisch außer Zweifel – kam er bis Erdberg, nunmehr ein Ortsteil des 3. Bezirks. Dort erkannte man ihn, der sich als einfacher Pilger getarnt hatte, in einem kleinen Gasthaus an der Ecke Erdbergstraße 41 und Schwalbengasse 17. Ein Reisegefährte soll Lebensmittel in großer Menge gekauft und in fremder Währung bezahlt haben. Am 21. Dezember 1192 wurde der König festgenommen und zu Herzog Leopold gebracht. Da standen die beiden Widersacher von Akkon einander wieder gegenüber, der mit dem Löwenherzen und der Tugendreiche.

      Nach wenigen Tagen brachte man den Engländer auf die Burg Dürnstein, und der Babenberger meldete dem Kaiser die Gefangennahme. Schon am 27. Dezember traf die gute Nachricht bei Heinrich VI. ein. Der Meldereiter muss seinen Beruf beherrscht haben, notabene bei den damaligen Straßen und Ende Dezember!

      Jetzt kommen wir zur nächsten Geschichtsfälschung. 1851 ist die Geschichte der Wiener Stadt und Vorstädte von Albert A. Wenedikt erschienen. In diesem Jahr hat der Tourismus in Österreich schon eine beachtlichen Umsatz gemacht. Da liest man: »Bis vor einigen Jahren hatte man – leider anstandslos – die unerhörte Frechheit, im Schlosse Greifenstein an der Donau (!!!) einen hölzernen engen Käfig, beiläufig Schweinestall, als Richards Gefängnisort den fremden Besuchern zu zeigen. Die Engländer schnitten sich, man könnte sagen balkenweise, Späne zum Andenken herunter und bewahrten solche als heilige Reliquien auf, trotzdem augenscheinlich von Zeit zu Zeit das Material sich als nagelneu angefertigt zeigte. Wie sinnlos und der geschichtlichen Wahrheit widersprechend diese Erzählung, zeigt der Brief Richards aus der Gefangenschaft an seine königliche Mutter, in welchem er ausdrücklich erwähnt, vom Herzoge in der ehrenhaftesten Art gehalten zu werden.«

      Greifenstein einfach für das wahre Dürnstein zu erklären, ist schon sehr kühn. Schließlich erscheint auch noch der treue Hofsänger Blondel auf der Szene, der sich von Burg zu Burg singt, bis er seinen König gefunden hat: auch das ein Märchen.

      Tatsächlich war Richard Löwenherz fast drei Monate in Leopolds Hand, am 28. März wurde der Gefangene dem Kaiser übergeben und in die Reichsburg Trifels im Pfälzer Wald